Suche

Künstliche Intelligenz als Chef-Bürokratin

Prognose: Ohne neue Digitalisierungsschübe bekommen Sachsens Verwaltungen ihre Nachwuchsprobleme nicht mehr in den Griff.

Lesedauer: 4 Minuten

Ein Mann tippt mit seiner Hand an einen Bildschirm.
In der Theorie macht die Digitalisierung vieles leichter, gerade in der Verwaltung kommen die positiven Veränderungen aber nur schleppend voran. Das schreckt auch den Nachwuchs ab. Symbolfoto: Adobestock

Von Heiko Weckbrodt

Deutschland und ganz konkret auch Sachsen gelten im Vergleich zu skandinavischen oder baltischen Staaten immer wieder als Nachzügler, wenn es darum geht, Behördengänge zu digitalisieren: Im jüngsten „eGovernment Benchmark 2022“ der Europäischen Kommission kam die Bundesrepublik auf einen mauen 21. Platz unter insgesamt 35 verglichenen Ländern. Und im „Behörden-Digimeter“ der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ schnitt der Freistaat Sachsen im jüngsten Update vom März 2023 ebenfalls nur mäßig ab: Rang 8 unter 16 Bundesländern. Denn von insgesamt 575 Verwaltungsleistungs-bündeln, für die das Onlinezugangsgesetz (OZG) aus dem Jahr 2017 eigentlich eine Digitalisierung bis Ende 2022 gefordert hatte, kam Sachsen bis zum Stichtag nur auf 219 digitale Leistungen. Woran aber liegt diese weite Kluft zwischen Anspruch und Realität?
„Ein Problem war und ist sicher, dass das Onlinezugangsgesetz nie geregelt hat, wer die Digitalisierung dieser Verwaltungsleistungen finanziert“, meint Digitalisierungs-Staatssekretär Thomas Popp von der sächsischen Staatskanzlei. Auch habe man womöglich anfangs die Komplexität der damit verbundenen Digitalisierungsaufgaben in einem förderalen Staat wie Deutschland unterschätzt.
Denn wenn den Deutschen und speziell den Sachsen oft Digitalisierungs-Vorreiter wie Malta, Luxemburg oder Estland unter die Nase gerieben werden, vergisst man oft, dass dies eben auch alles recht kleine Länder mit eher monolithischen staatlichen Strukturen sind: „Staaten wie Estland haben das einfach Top-down gelöst“, argumentiert Beate Ginzel, die in Leipzig das Referat „Digitale Stadt“ leitet. Dort seien zentrale digitale Referenzlösungen geschaffen und im ganzen Land ausgerollt worden. In Sachsen sei das weit schwieriger: „Hier hat jede Kommune eigene Verwaltungsstrukturen mit eigenen Fachverfahren und Fachleuten mit ganz eigenen Vorstellungen, wie was zu lösen ist. Das zu digitalisieren und dabei nicht jedes Mal das Rad neu zu erfinden, ist eine große Herausforderung.“


Faktor Mensch im Fokus
Gelingen könne dies im Übrigen nur gemeinsam mit den Verwaltungsmitarbeitern und den Bürgern, die die neuen elektronischen Leistungen auch nutzen sollen. „80 Prozent der Digitalisierung bestehen aus der Kommunikation mit dem Menschen, die technische Lösung macht eigentlich nur 20 Prozent aus“, fasst Ginzel ihre Erfahrungen in Leipzig zusammen. Denn wenn sich die angestammten Fachleute in den Referaten gegen die Lösungen der Informationstechnologen stemmen oder die Bürger als Endnutzer das Prozedere im Netz als zu kompliziert empfinden, kann das konkrete Digitalisierungsprojekt ganz schnell scheitern.
Hinzu kommt ein Ressourcenproblem. „Große Kommunen wie Dresden oder Leipzig haben die Manpower, um eigene Pilotprojekte zu stemmen“, meint Michael Kaiser vom Innovationsnetzwerk „Smart Systems Hub“ aus Dresden. „Aber die typische sächsische Gemeinde ist viel zu klein und hat gar nicht die Ressourcen, um geeignete digitale Lösungen zu finden und zu entwickeln.“
Sinnvoll sei es da durchaus, auf private Ressourcen zuzugreifen, meint Kaiser: auf die innovative Gründerlandschaft im Freistaat, auf die vielen jungen Digitalunternehmen, die sich im Dunstkreis der Hochschulen ausgegründet haben. „Die haben oft richtig gute technologische Prozesse entwickelt. Aber das Problem ist, dass solche Start-ups meist nicht in die Vergabe-Traditionen der öffentlichen Verwaltungen hineinpassen.“ Gemeint ist: Kein Amtsleiter, kein Bürgermeister oder Stadtrat will hinterher angezählt werden, weil er die Steuergelder seiner Bürger an irgendein junges Luftikus-Unternehmen vergeben hat, das sich an einem Digitalisierungsprojekt im Nu verhebt oder gar übermorgen gleich wieder pleite- geht. Da geht der Zuschlag für ein neues eGovernment-Vorhaben im Zweifelsfall dann eben doch wieder an eines der etablierten Großunternehmen. Und die agieren oft wie ein großer Tanker auf See statt wie ein Start-up-Schnellboot: zuverlässig, aber nicht unbedingt immer superrasant.
Um dieses Problem zu lösen, hat der Hub Formate wie die „Digital Product Factory“ oder die „Thin[gk]athons“ erdacht: kleine, agile Entwicklungskollektive auf Zeit, in denen Jungunternehmen, Konzern-Spezialisten und Einzel-Innovatoren für wenige Tage oder Wochen zusammenarbeiten, bis sie gemeinsam eine brauchbare Prototypen-Lösung für eine konkrete Herausforderung gefunden haben. Erst kürzlich hat der „Smart Systems Hub“ beispielsweise einen solchen Thin[gk]athon zum Thema „IT Service Desk“ ausgerichtet: Der Staatsbetrieb „Sächsische Informatik-Dienste“ (SID) suchte eine pragmatische Lösung, um die wachsende Flut an Hilfeanfragen von sächsischen Verwaltungsmitarbeitern zu bewältigen, die Probleme mit ihrer Computertechnik haben. Tatsächlich entwickelten die spontan zum Thin[gk]athon in Dresden zusammengetrommelten Entwickler-Teams binnen drei Tagen prototypische „Künstliche Intelligenzen“ (KI), die künftig einen Großteil der Anfragen bearbeiten und viele Bürokraten-Probleme selbst lösen können.
„Solche Formate wie diese Thin[gk]athons brauchten wir noch viel mehr“, meint Beate Ginzel, die in der Fachjury saß, hinterher. „Wir sollten nicht mehr so sehr an Lastenheften kleben und alles bis zur Perfektion treiben, sondern neue digitale Lösungen auch einfach mal in der Praxis ausprobieren, so wie hier, und dann aus den Erfahrungen zu lernen, um besser zu werden.“


Universal-Pass fürs Internet
Für solch einen pragmatischen Ansatz hatten sich bereits vor zwei Jahren mehrere Akteure aus Forschung und Verwaltungspraxis im Freistaat zusammengetan: Das Projekt „ID-Ideal“ zielt darauf, in Sachsen eine Art digitalen Universalausweis für alle möglichen Dienste im Internet zu entwickeln, seien es nun der Online-Ticketkauf fürs Kino, der netzgestützte Pass-Antrag beim Bürgerbüro oder der Einkauf auf dem digitalen Marktplatz. Denn auch dies galt und gilt bisher als eines der größten Hindernisse für eine raschere Verbreitung digitaler Behördengänge: Für viele Verwaltungsakte bedarf es einer fälschungssicheren Authentifizierung durch den Bürger. Bisher aber sind nahezu alle Versuche in Deutschland, dafür eine datenschutzkonforme und dennoch breit akzeptierte Lösung zu etablieren, in die Binsen gegangen: Sowohl die DE-Mail wie auch der elektronische Personalausweis waren so kompliziert angelegt, dass nur vergleichsweise wenige Bundesbürger sie nutzen oder genutzt haben.

„ID-Ideal“ ist nun ein neuer Anlauf für einen datenschutzkonformen digitalen Ausweis, der aber weit unkomplizierter nutzbar sein soll als bisherige Konzepte. Dabei gibt die digitale Brieftasche mit dem „Pass“ nur die Identitätsdaten preis, die der Besitzer ausdrücklich teilen will. Die Federführung hat dafür die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Dresden übernommen. „Wir testen dieses System bereits in unseren Bibliotheken in Leipzig“, berichtet Ginzel. Das Konzept komme auch gut an – und werde entsprechend den Änderungswünschen der Bibliotheksnutzer fortlaufend verbessert. Hätte das „ID-Ideal“-Konsortium hingegen gewartet, bis in der Theorie alle Bedenken ausgeräumt sind, dann hätte es bis zum Praxisstart womöglich noch Jahre gedauert.
Baldige Fortschritte sieht Staatssekretär Popp derweil auch auf Landesebene nahen: Er rechnet in Zukunft mit Fortschritten in der digitalen Bauverwaltung, speziell bei den Bauanträgen, aber auch bei der internetgestützten Bürgerbeteiligung. Und ohne voll digitalisierte Verfahren, wie sie Sachsen entwickelt habe und entwickelte, sei beispielsweise die gestiegen Zahl an Wohngeldanträgen kaum zu bewältigen.
Auch Michael Kaiser vom „Smart Systems Hub“ prognostiziert aus ganz handfesten praktischen Zwängen heraus neue Digitalisierungsschübe in Sachsen: „Die Verwaltungen werden mehr Aufgaben digitalisieren und an KI-Algorithmen delegieren müssen, um ihre Nachwuchs-Probleme überhaupt in den Griff zu bekommen“, ist der Hub-Geschäftsführer überzeugt. „Ganz abgesehen davon entwickelt dieser technologische Pfad ein ganz neues Momentum, Berufe in der Verwaltung attraktiver für junge Leute zu machen, wenn monotone Arbeiten digital erledigt werden.“

Das könnte Sie auch interessieren: