Leipzig. Wo immer ihre Landung angekündigt wurde, fanden sich unzählige Schaulustige ein, um sie aus der Nähe zu sehen. So auch in Leipzig, wo die AN-225 – das größte Flugzeug der Welt – mehrfach zu Gast war.
Erstmals im Westen zu sehen war der Gigant der Lüfte mit dem Namen „Mrija“ (Traum) im Jahr 1989 auf der Pariser Luftfahrtschau – auf ihrem Rücken, also Huckepack, transportierte der Riese die Raumfähre Buran. Für die rund 300.000 Besucher in Paris der Hingucker, die Sensation schlechthin.
Mit dem Testpiloten am Wrack des Giganten
Mit eben diesen spektakulären Bildern ihrer Landung auf dem Pariser Flughafen Le Bourget beginnt die Reportage „Der Gigant – die legendäre Antonow“, die jetzt in der Arte-Mediathek abrufbar ist.
Unmittelbar nach diesen Sequenzen, die zum Teil aus bisher unveröffentlichten Archivmaterial der Ukrainer stammt, zeigt die Doku die Erstürmung des Werkflughafens Hostomel bei Kiew am 24. Februar 2022, zeigt den Beschuss aus Hubschraubern, die Landung von russischen Soldaten, die Zerstörung der in Hostomel stationierten Flugzeuge – auch der „Mrija“.

Quelle: Dirk Schneider
Anschließend begleitet die Doku den Testpiloten der AN-225 und Helden der Ukraine, Oleksandr Holunenko, zum Wrack des fast vollständig zerstörten Fliegers. Der Zuschauer spürt die Verzweiflung des Piloten, die Trauer und dass er die Tränen nur schwer zurückhalten kann.
Antonov-Chefs wussten vom bevorstehenden Angriff
Der Film geht auf die bis heute nicht vollständig geklärten Umstände der Zerstörung ein, lässt mehrere Protagonisten der damaligen Stunden zu Wort kommen. So auch Aleksander Gritsenko. Er war der Direktor der deutschen Tochter von Antonov in Leipzig. Gritsenko erzählt davon, dass er bereits einen Monat vor der Zerstörung des Flughafens Hostomel Hinweise der Nato auf einen bevorstehenden Angriff der Russen erhalten hat, ebenso das Angebot aus Deutschland, die Maschinen zum Flugplatz Leipzig zu bringen.
„Ich begann mit der Ausarbeitung eines Evakuierungsplans für unsere Flugzeuge. Aber am 15. Februar 2022, kurz vor dem russischen Angriff, wurde ich entlassen und konnte mich nicht mehr kümmern.“
Die Parkplätze in Schkeuditz waren bereits am 26. Januar dafür reserviert. Ferner versichert Pilot Dmytro Antonov, der mit dem Flugzeugriesen, wie er sagt, die Erde 39-mal umrundet hat, dass die AN-225 trotz eines noch nicht reparierten Triebwerks flugfähig war. Er selbst habe die Maschine bereits mit nur fünf der sechs Triebwerke geflogen und sicher landen können, erzählt er.
Ich begann mit der Ausarbeitung eines Evakuierungsplans für unsere Flugzeuge. Aber am 15. Februar 2022, kurz vor dem russischen Angriff, wurde ich entlassen und konnte mich nicht mehr kümmern. – Aleksander Gritsenko, Antonov-Chef in Leipzig
Doch die Führung des Flugzeugbauers in Kiew verweigerte den Befehl, die AN-225 in Sicherheit zu bringen. Dmytro Antonov: „Die Mrija war bereit. Man musste nur den Befehl zur Evakuierung geben. Viele Fluggesellschaften hatten ihre Flugzeuge bereits evakuiert. Unsere Flugzeuge blieben.“

Quelle: Copyright: Antonov Company
All das erzählt der in Leipzig lebende Journalist Dirk Schneider in seiner rund einstündigen Reportage, doch er stellt es nicht in den Mittelpunkt. Was gut ist, denn die Vorfälle kommen einem bis heute nicht gelösten Krimi gleich. Auch der häufig geforderte Wiederaufbau der AN-225 ist nicht Thema der Doku.
Genialer Konstrukteur: Oleg Antonov
„Der Gigant – die legendäre Antonow“ widmet sich hauptsächlich der Entstehung des Flugzeugs, beleuchtet die Hintergründe in Zeiten des Kalten Krieges, geht auf die Vorherrschaft im Weltall, den Wettlauf bei der Entwicklung von riesigen Transportern in der Sowjetunion und den USA ein. Und porträtiert zugleich den genialen russisch-ukrainischen Flugzeugkonstrukteur Oleg Konstantinowitsch Antonov, dessen Namen die ukrainische Flugzeugschmiede trägt.
Dabei spricht Dirk Schneider mit Wegbegleitern des 1906 in Troizk bei Moskau geborenen und 1984 in Kiew gestorbenen Wissenschaftlers. Und er kann dabei auf exklusives Archivmaterial aus dem Filmarchiv in Kiew zurückgreifen. Unterstützt wird er dabei von Archivar und Museumschef Anton Dovbusch, der das Material für die Reportage gescannt hat. „Darunter vieles, das erstmals der Öffentlichkeit gezeigt werden kann“, so der gebürtige Thüringer Schneider.
Im Gespräch mit dieser Zeitung zeigt sich der Filmemacher besorgt über ein aktuelles Schreiben des Archivars. Darin teilt Dovbusch mit, „dass die Antonov-Gesellschaft am 24. Mai 2025 schwer von ballistischen Raketen und Drohnen getroffen wurde.“ Auch das Museumsgebäude sei Ziel des Angriffs gewesen. Ausrüstung und Exponate seien aber unversehrt.
„Bisher ist das Glück auf unserer Seite …“, schreibt Dovbusch weiter. Und er bedankt sich, dass mit dem Film „Der Gigant“ ein Teil des Archivmaterials überlebt – selbst wenn es noch schlimmer kommen sollte in Kiew.