Von Miriam Schönbach
Göda. Die Mühlenkatze huscht bei den frostigen Temperaturen noch schnell durch die geöffnete Tür des Gebäudes, unter dessen Dach seit über 250 Jahren Getreide gemahlen wird. Die alte Mühle mitten im Gödaer Ortsteil Spittwitz ist die Stelle, wo der ortsansässige Handwerksbetrieb Rätze-Mühle Bio-Saaten verarbeitet. „Wir haben heute Demeter-Dinkel für die Bio-Bäckerei Spiegelhauer in Pirna vermahlen. Das Getreide kommt vom Biobauern Ignaz Wessela aus Crostwitz“, sagt Müllermeister Sebastian Unger. Regionaler geht es wohl kaum.
Und doch will die Rätze-Mühle mit der Initiative Slow-Food Lausitz ein neues Regional-Marketing-Projekt aus der Taufe heben. An jenem Nachmittag sind neben der Mühlenkatze auch Bäckermeister Stefan Richter aus Kubschütz, der Bio-Landwirt Ronny Rebisch aus Cannewitz in der Gemeinde Panschwitz-Kuckau und Kerstin Mickan, Co-Vorsitzende von Slow Food Lausitz versammelt. Der Verein habe aktuell beim Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung Förderung für die Idee „Ährliches Original“ beantragt, berichtet Kerstin Mickan. „Es gab bereits positive Rückmeldungen, wir sollten jetzt noch einige Fragen beantworten und hoffen bis März auf eine Zusage.“
Getreide aus der Region soll vor Ort verarbeitet werden
Slow Food ist eine weltweite Vereinigung von Menschen, die aufs bewusste Genießen setzen und im Ehrenamt die Kultur des Essens und Trinkens pflegen und lebendig erhalten wollen. Jene Gruppe hat es sich als Aufgabe gestellt, umweltfreundliche Lebensmittelproduzenten und -verarbeiter bekannt zu machen und zu unterstützen. Die Initiative fördert eine zukunftsgewandte Landwirtschaft und Fischerei, artgerechte Viehzucht und traditionelles Lebensmittelhandwerk.
Dazu gehört eben auch, der Vermarktung des Bio-Getreides aus der Region unter die Arme zu greifen. Im Juli 2023 haben sich Biobauern aus dem Drei-Städte-Eck Bautzen, Kamenz und Bischofswerda auf Einladung des Bio-Landwirts Marko Schmole zum ersten Stammtisch auf dessen Hof in Nucknitz getroffen. Neben regelmäßigem Austausch wollen sie als loser Verbund ihre Sorgen teilen, aber auch dafür sorgen, dass ihr Getreide aus der Region in der Region verarbeitet wird – und vor allem auch den Endverbraucher erreicht.
Dieses Vorhaben will nun Slow Food Lausitz mit dem Projekt „Ährliches Original“ unterstützen. „Es gibt einfach derzeit noch zu wenig Bäcker, die mit Bio-Getreide backen. Parallel ist aber genügend Biogetreide da, das aber nur in geringen Mengen abgenommen wird, weil der Absatz nicht da sei“, sagt Sebastian Unger. Dabei habe zum Beispiel Corona dem lokalen Lebensmittelhandwerk in die Karten gespielt. Es seien damals viele Kunden in den Mühlenladen gekommen, um sich zum Beispiel Mehl für die Wiederentdeckung der Bäckerei zu Hause zu kaufen. Viele von ihnen würden bis heute in das Geschäft an der Bischofswerdaer Straße in Spittwitz kommen.
Bäcker sollen für Bio begeistert werden
Ronny Rebisch sorgt für den Biogetreide-Nachschub in der alten Spittwitzer Rätze-Mühle. Vor knapp zehn Jahren hat der Landwirt den Umstieg von der konventionellen auf ökologische Landwirtschaft beschlossen, seit 2017 arbeitet sein Familienbetrieb in Cannewitz nach den Richtlinien des Bioanbau-Verbands GÄA. Der vermahlene Bio-Dinkel ist auf seinen Feldern gewachsen, auch Bio-Haferflocken stammen von seinem Hof. Er gehört zum losen Verband des Lausitzer Biobauern-Stammtischs, zum dem gut 15 Betriebe sich regelmäßig treffen, inzwischen sogar mit Interessierten aus dem Landkreis Görlitz.
Vernetzung – dass soll auch die Formel für das „Ährliche Original“ werden. Die Initiative von Slow Food und der Rätze-Mühle will Bäcker für Bio begeistern, ohne, dass sie gleich Bio-Bäckereien werden müssen. „Es ist eine Auftaktveranstaltung geplant, es soll Schulungen, das Siegel, eine Homepage und Werbematerialien geben. Wir wollen Landwirte und Bäcker und darüber auch die Kunden miteinander ins Gespräch bringen. Wir wollen vermitteln: Ährliche Originale – das ist essbare Heimat“, sagt Kerstin Mickan.
Eigenes Siegel für „Ährliches Original“ geplant
Dabei sollen die Bäcker selbst entscheiden können, welche ihrer Produkte aus dem Backofen sie mit dem Siegel „Ährliches Original“ versehen, so dass der Kunde sieht: Unter dieser Kruste oder diesem Streusel steckt lokales Bio-Getreide. Bäckermeister Stefan Richter ist sich sicher, dass die Idee bei den Kollegen auf fruchtbaren Boden fällt. „Es gab erste Gespräche mit der Bautzener und der Görlitzer Bäcker-Innung. Die Resonanz ist durchweg positiv,“ sagt der sächsische Bäcker-Obermeister aus Kubschütz.
Er ist zugleich Mitglied bei Slow Food Lausitz und verwendet schon lange in seiner Backstube Getreide, das direkt vor der Haustür angebaut wurde. So steckt zum Beispiel in seinen Vogelhochzeitsspezialitäten Dinkelmehl aus der Rätze-Mühle, vielleicht sogar vom Hof Rebisch in Cannewitz. Das Quartett an diesem Nachmittag vermittelt bereits eine Vorstellung, wie die Zusammenarbeit klappen kann. Das Feld ist im besten Sinne des Wortes bereitet.