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Merkels Chefökonom zum Zollstreit mit Trump: „In seiner Wahrnehmung kann es nur einen Gewinner geben“

Professor Lars-Hendrik Röller war wirtschaftspolitischer Berater der Bundeskanzlerin und hat den Zollstreit in Donald Trumps erster Amtszeit begleitet. Im Gespräch sagt er, was sich seitdem verändert hat und wie die EU verhandeln sollte.

Lesedauer: 5 Minuten

Nora Miethke

Professor Röller, ab August wollen die USA Importe aus der EU mit einem Zoll von 30 Prozent belasten. Viele Mittelständler befürchten hohe Gegenzölle von Europa, weil die USA ein wichtiger Markt für sie sind. Andere fordern wiederum härtere Maßnahmen. Wie sollte die EU verhandeln?

Man muss hart verhandeln, damit es nicht dazu kommt. Die EU hat in den letzten Jahren mehrere Instrumente geschaffen, um sich zu wehren. Zum Beispiel gibt es eine Verordnung über Subventionen aus Drittstaaten, die man natürlich auch auf amerikanische Unternehmen anwenden könnte. Außerdem gibt es das Instrument für das internationale öffentliche Auftragswesen, wo amerikanische Unternehmen stärker von öffentlichen Beschaffungen ausgeschlossen werden könnten. Der letzte große Hebel, den Europa hat, sind die Dienstleistungen. Ich denke, eine vernünftige Lösung ist möglich. Aber es hängt davon ab, wie der amerikanische Präsident am Ende entscheidet.

Mit Dienstleistungen meinen Sie die Internetdienste von Google, Amazon & Co.?

Genau. Frankreich hat eine Digitalsteuer ins Spiel gebracht. Ob das kompatibel mit der Welthandelsorganisation ist, muss man sehen. Die Zukunft des Welthandelssystems ist eine spannende Frage, die wir im Oktober auf dem Berlin Global Dialogue diskutieren wollen. In Europa wurde die Handelspolitik richtigerweise an die EU-Kommission abgegeben. Sie muss sich aber immer rückkoppeln mit den Mitgliedsstaaten und sich ein Verhandlungsmandat genehmigen lassen. Dieses wird dann aber auch oft öffentlich. Die Europäer sind dadurch notwendigerweise transparenter in ihren Verhandlungspositionen im Unterschied zu den USA. Dort bleibt vieles im Unklaren, was ja als strategischer Vorteil propagiert wird. So konnte Präsident Trump die Zollpause im Alleingang noch einmal verlängern. Aber irgendwann muss Europa reagieren. In der ersten Amtszeit von Präsident Trump standen auch Autozölle im Raum, und wir hatten darüber hinaus Zölle auf Stahl und Aluminium, die übrigens nie wirklich abgeschafft worden sind. Damals konnten wir die Autozölle abwenden, aber heute ist eine andere Zeit.

Sie haben in der ersten Amtszeit als wirtschaftspolitischer Berater von Angela Merkel indirekt mitverhandelt. Wiederholt sich die Geschichte, oder was ist heute anders?

Obwohl sich Technologien und Märkte stark weiterentwickelt haben, bleibt Präsident Trump bei seinem Zoll-Thema. Trump hofft, dass so die Anreize wachsen, in Amerika zu investieren. Das ist sein Hauptthema: Er empfindet das Handelsdefizit als unfair. Die angekündigten Zölle sind nicht ökonomisch definiert, sondern seine Ableitung davon, wie groß das Handelsdefizit ist. Deshalb werden plötzlich auch arme Staaten in Afrika, die gar keine nicht-amerikanischen Produkte kaufen, mit Zöllen belegt. Ich denke, sein Wille, etwas zu bewegen, ist stärker geworden. Er hat die Wahl deutlich gewonnen. Das führt dazu, dass er seine Position sehr viel selbstbewusster und rigoroser vertritt.

Haben Sie Trump selbst erlebt, wie verhandelt er hinter den Kulissen?

Präsident Trump kommt ursprünglich aus der Immobilienbranche. Diese Haltung spiegelt sich auch in seinen Verhandlungstaktiken wider: In seiner Wahrnehmung kann es nur einen Gewinner geben. Die USA sind nach wie vor das mächtigste Land der Welt, sowohl wirtschaftlich als auch militärisch. Als Europäer müssen wir uns jetzt also fragen: Wie gehen wir mit dieser neuen Situation um? Wie können wir uns aufstellen, um auch in Zukunft resilient zu bleiben? Wir müssen jetzt unsere Hausaufgaben machen.

Welche sind das?

Die Antwort kann nur heißen: mehr Europa. Es müssen nationale Interessen zurückgestellt werden bei Regulierungsfragen oder der Bildung einer Kapitalmarktunion.

Wo müsste Deutschland nationale Interessen zurückstellen?

Neben dem notwendigen Bürokratieabbau ist eine wichtige Frage, wie wir in Europa die Verteidigungsindustrie künftig finanzieren.Hier müssen wir enger zusammenarbeiten. Verteidigungspolitik ist bislang eher national. Ein anderer Punkt ist der Kapitalmarkt, oder wie sie jetzt genannt wird, die Spar- und Investitionsunion. Kapital ist in Europa ja genügend vorhanden. Deutschland hat mit die höchsten Sparquoten. Hier müssen Hürden bei den Finanzplätzen und der Aufsicht überwunden werden, damit mehr in Europa investiert wird. Jetzt geht es darum, große Pakete richtig zu schnüren, um die eigene Industrie zu fördern, ohne, dass andere Länder Nachteile haben.

Über die Kapitalmarktunion wird seit Jahren debattiert. Warum kommt Europa nicht voran?

Eine Hürde ist das Insolvenzrecht, eine andere die unterschiedliche Unternehmensbesteuerung, aber auch die Fragen des Finanzplatzes, etwa: Wo sitzen die Aufsichtsbehörden mit welchen Kompetenzen? Wir reden seit mindestens zehn Jahren darüber – jetzt ist der Zeitpunkt, es endlich zu machen! Die Finanzierungsmöglichkeiten von Start-ups in der Wachstumsphase müssen verbessert werden, damit nicht so viele nach Amerika abwandern. Neben den seit Jahren erfolgreichen traditionellen Unternehmen brauchen wir auch neue Champions in Deutschland, in Europa.

Sie haben in einem Kommentar betont, dass Künstliche Intelligenz im Handelsstreit eine Brücke zwischen Europa und den USA sein könnte für Zusammenarbeit. Was haben die Deutschen in Sachen KI zu bieten, was für die Amerikaner interessant ist?

Industrie. Bei der KI-Entwicklung neuer Technologien sind die Chinesen und Amerikaner sehr stark. US-Unternehmen, die jetzt in Deutschland investieren, sind sehr daran interessiert, dass wir KI-Anwendungen in der Industrie anbieten. Auch hier ist Regulierung ein wichtiges Thema. Der AI-Act der EU-Kommission verfolgt einen risikobasierten Ansatz. Für jeden Bereich wird die KI-Nutzung mit einem Risiko versehen, und beim höchsten Risiko wird die KI-Technologie – wie etwa Gesichtserkennung – verboten. Da muss überlegt werden, ob es ein europäisches Modell für KI geben kann, das auf Vertrauen setzt, oder ob wir uns damit aus dem Markt herauskatapultieren. Die EU-Kommission befindet sich hier in einem Konsultationsprozess und muss entscheiden, ob sie den AI-Act noch einmal aufmacht, oder ob sie die Liste der Anwendungen überarbeitet. Es ist eine Grundsatzdiskussion, die für unseren Standort immens wichtig ist, wie wir in Europa den Trade-Off zwischen Verbraucherschutz und Innovation richtig hinbekommen.

Sächsische Europaabgeordnete warnen davor, dass Europa in den Zollverhandlungen Amerika entgegenkommt, indem es die KI-Richtlinie lockert. Sie sehen Spielraum bei der strengen KI-Regulierung?

Ja, ich sehe Spielraum. Aber: Wir sollten nicht die Regeln lockern, um in den Zollverhandlungen etwas anzubieten. Dies gilt insbesondere auch im digitalen Bereich, wo amerikanische Unternehmen sehr dominant sind. Ob wir unsere Standards und Regeln ändern, sollten wir über unseren Interessen und demokratischen Entscheidungen definieren, beispielsweise, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit und den eigenen Wohlstand zu sichern.

Zur Person

Lars-Hendrik Röller, geboren am 19. Juli 1958 in Frankfurt am Main, ist ein deutscher Ökonom. Er war von 2011 bis 2021 wirtschaftspolitischer Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Leiter der Wirtschafts- und Finanzabteilung im Bundeskanzleramt. 2022 wurde er von der Investmentgesellschaft BlackRock als Berater angestellt.

Hinter allem steht der Machtkampf zwischen den USA und China um die Technologieführerschaft. Wie müsste sich jetzt Deutschland gegenüber China positionieren? Sollten sich Unternehmen lieber andere Märkte suchen?

Sowohl Deutschland als auch Europa sollten eigene Positionen zu China vertreten. Ich halte es für falsch und zum Nachteil für unseren Standort, eine Zusammenarbeit mit China kategorisch auszuschließen. Gleichzeitig dürfen wir nicht naiv sein. Uns muss klar sein, dass die Chinesen ein großes Interesse an Expansion haben. Aber eine pragmatische Chinapolitik ist weiterhin wichtig. Generell gilt: Wir müssen in Deutschland und Europa strategisch überlegen, wie wir uns in einer multipolaren Welt aufstellen. Das ist auch Thema des Berlin Global Dialogue im Oktober. Wir müssen unsere Abhängigkeit sowohl China als auch den USA gegenüber reduzieren, ohne die Zusammenarbeit abzubrechen. China ist inzwischen technologisch sehr weit fortgeschritten – stellenweise kann es sich anbieten, zusammenzuarbeiten. Davon können auch sächsische Unternehmen profitieren. Hier braucht es eine gute Balance zwischen strategischer Vorsicht und Pragmatismus.

Viele Ostdeutsche hoffen auf eine Rückkehr billiger Erdgaslieferungen aus Russland, wenn der Angriffskrieg in der Ukraine vorbei ist. Hoffen sie vergeblich?

Es ist schwer einzuschätzen, wie sich die Situation entwickelt. Allerdings erwarte ich auf absehbare Zeit keine Veränderung. Eine erneute Zusammenarbeit mit dem russischen Präsidenten ist nur schwer vorstellbar. Gut ist, dass wir uns schon sehr unabhängig vom russischen Gas gemacht haben.

Zur Info: Seit 2023 bringt der Berlin Global Dialogue Führungskräfte aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft zusammen, um gemeinsam Lösungen für die dringendsten globalen Herausforderungen zu entwickeln. Die diesjährige Konferenz findet vom 22 – 23 Oktober unter dem Motto „Shifting Power, Shaping Prosperity“ auf dem historischen Campus der ESMT Berlin statt.

SZ

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