Berlin. Im Sommer 2024 herrschte noch Champagnerlaune. Nach jahrelangen und zähen Verhandlungen hatten sich EU-Kommission, Bundesregierung und der Energiekonzern LEAG endlich auf die Modalitäten der Entschädigungszahlungen für den Braunkohleausstieg im Lausitzer Revier geeinigt. Das sei ein „wichtiger Schritt“ für die Menschen der Region sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) seinerzeit. Sachsens damaliger Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) sprach von einem „guten Tag für die Lausitz“ und sein damaliger Brandenburger Amtskollege Jörg Steinbach (ebenfalls SPD) nannte die Einigung einen „Meilenstein für Brandenburg und Sachsen“.
Heute, ein gutes Dreivierteljahr später, ist die Feierstimmung verflogen. Denn die mit großem Tamtam kurz vor der Europawahl verkündete politische Einigung ist nach Informationen des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) noch immer nicht in einem schriftlichen Vertrag fixiert worden.
Es geht um 1,75 Milliarden Euro
Politik und LEAG hatten sich in dem Eckpunktebeschluss darauf geeinigt, dass der Bund eine Entschädigung in Höhe von maximal 1,75 Milliarden Euro für die endgültige Stilllegung aller Braunkohlekraftwerke in der Lausitz bezahlt. Vereinbart wurde ein gestuftes Auszahlungsverfahren. 1,2 Milliarden Euro sollen in jedem Fall fließen und fixe Kosten des früheren Ausstiegs etwa für Sozialvereinbarungen sowie nötige Änderungen der Revierplanung abdecken.
Die Restsumme von bis zu 550 Millionen Euro soll an die Voraussetzung entgangener Gewinne gekoppelt werden. Das Geld darf nur dann ausgeschüttet werden, wenn der Betrieb der Kraftwerke über das gesetzliche Stilllegungsdatum hinaus wirtschaftlich wäre. Mit der verzögerten Auszahlung der Teilsumme will die EU-Kommission dem langen Ausstiegszeitraum Rechnung tragen und eine mögliche Überkompensation verhindern.
LEAG-Chef Thorsten Kramer hatte die Einigung seinerzeit als „essenziellen Baustein“ für die Transformation zu einem grünen Energieunternehmen bezeichnet, doch der Manager ist Ende vergangenen Jahres von seinem Posten abberufen worden. Dass die Verhandlungen über den Entschädigungsvertrag nun ins Stocken geraten sind, liegt aus Sicht von Habecks Leuten aber weniger am aktuellen LEAG-Management als an der tschechischen Konzernmutter EPH. Deren Vertreter würden einen Abschluss mit immer neuen Forderungen verhindern.
Scharfe Kritik aus dem Wirtschaftsministerium
„Ich habe zunehmend das Gefühl, dass EPH einen Vertragsabschluss bewusst verzögert, wenn nicht gar torpediert“, sagt der parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Michael Kellner (Grüne), dem RND. „Wer zu einem Abschluss kommen will, verhandelt so nicht.“ Bei ihm wachse die Sorge, dass der Deal am Ende scheitere, sagt Kellner, der für die Brandenburger Grünen im Deutschen Bundestag sitzt. Für die Region wäre das aus seiner Sicht verheerend. „Sowohl die Beschäftigten als auch die Lausitz sind angewiesen darauf, dass die Entschädigungsmittel fließen“, sagt Kellner.
Über die Motive einer möglichen Verzögerungstaktik mag er nicht spekulieren. Nur so viel: „Einen besseren Deal als diesen wird EPH mit der EU-Kommission nicht hinbekommen.“ Im Gegenteil: Durch die CO₂-Bepreisung sowie den massiven Zubau an Solar- und Windkraft lasse sich mit Kohlestrom immer weniger Geld verdienen, glaubt der Grüne. Deshalb würde die Entschädigung bei einer Neuverhandlung aus seiner Sicht geringer ausfallen.
EPH gehört zur Firmengruppe des tschechischen Milliardärs Daniel Křetínský, der in zahlreiche deutsche Unternehmen investiert hat. 2009 übernahm er die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft (Mibrag). 2016 kaufte er vom schwedischen Energieversorger Vattenfall das Kohlegeschäft in der Lausitz, die heutige LEAG. Weitere kleinere Kraftwerke folgten.
Křetínský beschränkt seine Aktivitäten nicht auf den Energiesektor. 2018 erwarb er Anteile am Düsseldorfer Handelskonzern Metro, im vergangenen Jahr Teile der Stahlsparte von Thyssenkrupp. Auch in anderen europäischen Ländern ist der Mann aktiv, er besitzt Anteile an der französischen Zeitung „Le Monde“, an den Fußballclubs Sparta Prag und West Ham United sowie an der britischen Post.
Vor allem die Grünen misstrauen Křetínský

Quelle: dpa
Das große Interesse des Investors an deutschen Kohleunternehmen hat in Teilen der Politik immer wieder zu Misstrauen geführt. Vor allem bei den Grünen ist die Sorge verbreitet, Křetínský könnte die letzten Gewinne aus dem auslaufenden Braunkohlegeschäft ziehen und die Unternehmen danach in die Insolvenz schicken. Die Folgekosten des Bergbaus blieben dann am Staat hängen. Zwar müssen die Kohlekonzerne Rückstellungen für die Rekultivierung der Tagebaue bilden, deren Höhe aber reicht nach Meinung vieler Grüner nicht aus.
Auch Wirtschaftsstaatssekretär Kellner ist misstrauisch. „Sollte es den Versuch geben, möglichst lange mit der Kohle Geld zu verdienen, um sich dann aus dem Staub zu machen, ohne für Sozialkosten und Bergbaufolgekosten einzustehen, dann werden wir ihn verhindern“, sagte er. EPH-Eigentümer Křetínský müsse nun seiner Verantwortung nachkommen und den Weg für die Zukunft der Lausitz frei machen.
Weder LEAG noch EPH wollten sich bis Redaktionsschluss auf eine Anfrage des RND äußern.