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Nach der Galeria-Pleite: Warum das Görlitzer Kaufhaus eine Chance hat

Kaufhäuser gelten derzeit wieder mal als Auslaufmodell. Doch nicht nur bei Führungen durch das Görlitzer Kaufhaus ist die Stimmung eine andere. Auch ein Handelsexperte aus Heilbronn glaubt an die Zukunft dieser Häuser.

Lesedauer: 6 Minuten

Man sieht das Görlitzer Kaufhaus mit einer Gruppe von Touristen
Am Freitag führte Ina Stephan (dritte von rechts) wieder Interessierte durch das Görlitzer Kaufhaus. Die meisten Besucher waren Touristen. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Von Sebastian Beutler & Ingo Kramer

Als Ina Stephan die Tür an der Seite öffnet, werden die Besucher neugierig. Direkt neben dem alten Aufzug ein verstecktes Treppenhaus, im unteren Teil mit braunen Kacheln gefliest? „Ja, ich kannte dieses Treppenhaus früher auch nicht“, sagt die Mitarbeiterin der Stöcker Kaufhaus GmbH & Co. KG. Doch tatsächlich: Die Treppe führt hinauf in die anderen Etagen des Kaufhauses am Görlitzer Demianiplatz.

Neben dem alten Aufzug im Kaufhaus gibt es eine Tür, die in ein Treppenhaus führt
© Paul Glaser/glaserfotografie.de

Einmal pro Woche, manchmal auch zweimal, führt Ina Stephan Interessierte durch das Kaufhaus. Die Termine stehen auf einem Zettel am Haupteingang. Um teilnehmen zu dürfen, muss man sich vorher telefonisch anmelden, die Nummer steht auch auf dem Zettel. An diesem Freitag war es um 13.30 Uhr soweit. Allerdings: Betreten werden darf aus Sicherheitsgründen nur das Erdgeschoss. In den oberen Etagen fehlt der Fußbodenbelag, sodass Besucher stürzen könnten. Doch durch den großen Lichthof kann man auch von unten einen Blick auf alle Etagen erhaschen.

Und dabei manche Überraschungen erleben. Ina Stephan deutet auf die Säulen oben im dritten Stock. Sie sind mit kunstvollen Verzierungen verkleidet, goldene Muster auf weißem Grund. „Die Verkleidungen stammen von den Dreharbeiten für den Hollywood-Film ,Grand Budapest Hotel‘ zwischen Herbst 2012 und Frühling 2013“, erläutert Ina Stephan. Das sollte damals für orientalisches Flair sorgen. „Der Denkmalschutz war nicht begeistert“, sagt Ina Stephan: „Aber die Amis machen halt einfach und fragen nicht lange.“

Die Optik der Säulen im dritten Stock stammt von den Dreharbeiten für den Hollywood-Film „Grand Budapest Hotel“, erklärt Ina Stephan.
© Paul Glaser/glaserfotografie.de

Die Säulenoptik ist nicht das einzige, was von Dreharbeiten geblieben ist – nicht nur von „Grand Budapest Hotel“, sondern beispielsweise auch vom „Haus der Träume“, wo das Gebäude zum „Kaufhaus Jonass“ wurde. Interessant ist auch der Fußbodenaufbau im Parterre. Das Eichenparkett sei dort schon zu DDR-Zeiten herausgerissen und durch einen Terrazzo-Boden ersetzt worden. Doch auch von dem ist nichts zu sehen, denn Karstadt hat Anfang der 1990er Jahre einen hellen PVC-Belag darübergelegt. Der wiederum ist heute auch nur noch in den Seitenbereichen zu sehen. Der große Mittelteil dagegen besticht mit seiner edlen Marmor-Optik. Doch die ist nicht echt. „Das ist Filmfolie“, erklärt Ina Stephan den überraschten Besuchern. Wer genau hinschaut, erkennt im Marmor-Boden ein großes „J“. Das stammt auch vom Film: Es steht für „Kaufhaus Jonass“.

Von den beiden Aufzügen rechts und links ist nur noch einer zu sehen. Was mit dem anderen passiert ist? Ina Stephan schmunzelt: „Der ist natürlich auch noch da.“ Lediglich eine Stoffbahn, die wie eine massive Wand wirkt, verbirgt ihn. Der Stoff ist nicht Hollywood: „Der wurde für den Euro Fashion Award aufgehängt, der 2016 und 2018 im Kaufhaus stattgefunden hat.“

Die Immobilie ist schon die halbe Miete

Dass die Immobilie, dieser Einkaufspalast aus dem Jugendstil-Zeitalter, schon die halbe Miete für ein Görlitzer Kaufhaus ist, das schätzt Carsten Kortum allein von Fotos aus dem Internet ein. Der 56-Jährige ist Professor an der Dualen Hochschule in Heilbronn, war lange Jahre auch im Lidl-Konzern tätig und gilt als einer der Experten für den Nonfood-Einzelhandel.

Und er ist einer der ganz wenigen in Deutschland, die die Betriebsform „Kaufhaus“ nicht aufgeben wollen, nur weil ein Konzern wie Galeria Kaufhof nun schon zum wiederholten Mal in die Insolvenz gegangen ist. Als die Schlecker-Drogerien pleite gingen, hätte auch niemand gesagt, die Drogerien seien Schnee von gestern, sagt er, sondern es gab bessere Angebote von dm und Müller, die frühzeitig ein modernes Konzept entwickelt und immer wieder investiert hätten. Daran mangelte es Kortums Ansicht nach bei Galeria Kaufhof.

Carsten Kortum ist Professor an der Dualen Hochschule Heilbronn und einer der letzten Verfechter eines modernen Kaufhaus-Konzeptes.
© Kortum

Die neuerliche Pleite des letzten deutschen Kaufhaus-Konzerns setzt auch neue Fragezeichen hinter die Wiederbelebung des Görlitzer Kaufhauses. Doch bislang hat sich Eigentümer und Investor Winfried Stöcker von den Abgesängen auf das Kaufhaus nie beirren lassen. Bis heute hält er an seinen Plänen für den Millionenbau fest, seine Bauunterlagen liegen nun auch bei der Stadt Görlitz, es ist wegen des hohen Denkmalwertes des Gebäudes und der vielschichtigen Teilbauten mit dem vergrößerten Parkhaus ein diffiziles und aufwendiges B-Planverfahren. Zwar poltert Stöcker in Lübeck in regelmäßigen Abständen über die Schwerfälligkeit der Dresdner Denkmalpflege, die ein entscheidendes Wörtchen mitspricht, aber noch hat er nicht die Laune am Görlitzer Kaufhaus verloren.

Auch Carsten Kortum glaubt an eine Zukunft für Kaufhäuser in Deutschlands Innenstädten. Er sieht gerade im Ausland gute Vorbilder, nicht nur in Millionenstädten. Und einfach haben es Kaufhäuser auch dort nicht. Dass das „Macy’s“ in New York wieder im Aufschwung sei, findet Kortum genauso erwähnenswert wie das Galeries Lafayette in Strasbourg/Elsass, spanische Kaufhäuser, Breuninger in Süddeutschland oder inhabergeführte Mode-Kaufhäuser, von denen es noch rund 100 in Deutschland gibt. Überall würden es die Eigentümer verstehen, moderne Sortimente mit Service und Einkaufserlebnis zu verbinden. Die Kunden von heute und morgen wollen angeregt und inspiriert werden, davon ist Kortum überzeugt.

Kaufhäuser sind zwar keine Macht im deutschen Einzelhandel mehr, machen zusammen noch zwei Milliarden Euro Umsatz im Jahr, das ist so ein Prozent dessen, was der deutsche Einzelhandel über alle Märkte und Center im Jahr umsetzt. Doch Kaufhäuser in den Innenstädten sind wichtig für die Stadtentwicklung, für die Wiederbelebung der Stadtzentren und häufig haben die Menschen eine ganz emotionale Bindung an sie, in Görlitz noch verstärkt mit den Filmproduktionen wie „Grand Budapest Hotel“ und „Haus der Träume“.

Winfried Stöcker beim Neujahrsempfang des Görlitzer OBs Anfang des Jahres. Er hält an der Wiederbelebung des Görlitzer Kaufhauses fest.
© Paul Glaser/glaserfotografie.de

All das sieht Kortum auch in Görlitz gegeben: Eine Immobilie, die wirklich ein Juwel ist, kein nüchterner Zweckbau aus der Nachkriegszeit, wie an so vielen Galeria-Standorten. Und er sieht durchaus auch Vorteile, dass das Görlitzer Haus nicht mehr einem Konzern angehört, sondern einem Alleininvestor, der das nötige Geld für die Wiederbelebung besitzt und nicht in erster Linie auf die Rendite schauen wird. Das hat Stöcker auch immer erklärt.

Diese Vorteile können vielleicht den großen Nachteil der geringen Kaufkraft ausgleichen. Denn das ist die Schwäche des Görlitzer Standorts. Das spiegelt sich auch im Angebot des Görlitzer Einzelhandels wider. Das beste Beispiel ist die immer wieder versuchte Ansiedlung einer Douglas-Parfümerie. Bis heute gelang das in Görlitz nicht. Doch hat eben Stöcker auch die Chance, das Kaufhaus ganz neu zu entwickeln. Das Görlitzer Haus ist seit 2009 geschlossen, zwar muss er auf das Gebäude Rücksicht nehmen, aber nicht mehr darauf, wo was einmal hier angesiedelt war. Das Kaufhaus neu zu erfinden, dafür hat Stöcker freie Hand.

Und so stimmt das Konzept Stöckers, so weit es im Internet abgebildet ist, schon ziemlich mit der Gedankenwelt von Kortum für ein funktionierendes Warenhaus überein: ein großer Lebensmittel-Anbieter und eine Drogerie als Zugpferde für viele Kunden im heutigen City-Center, Mode im Kaufhaus, Spielzeugläden wie Spiele Max, Erlebnisse wie die Bowlingbar, ein Sportartikel-Geschäft wie Intersport, ein geplantes Restaurant unterm Dach des historischen Kaufhauses.

Vielleicht, so Kortum, würden sich auch Event-Flächen im Kaufhaus anbieten, wo Lesungen stattfinden oder Produkte vorgeführt werden. In der Gastronomie-Abteilung könnten Kochschulen eingebunden werden oder auch Pop-up-Gastronomie. Dabei mieten sich junge Gastronomen am Anfang ihres Weges ein und probieren sich aus. Die Wirkung gerade auf junge Kunden sei enorm. Und darauf komme es an, Kartoffelsalat und Würstchen wäre jedenfalls der falsche Weg. Hinzukommen müssten eine große Sortimentstiefe, Markenwaren mit Zugkraft, Manufakturware zum Austesten, Beratung und Erlebniswelten. Das zusammen ergibt das Erlebnis Einkaufen, verhindert auch zu viele Dopplungen mit dem sonstigen Einzelhandel, sodass jeder Platz für seine Existenz hat. Nur in den Keller würde Kortum nicht investieren, da wolle niemand mehr hingehen.

Die verzierte Glaskuppel im Kaufhaus Görlitz am Demianiplatz begeistert viele Besucher.
© Paul Glaser/glaserfotografie.de

In den Keller geht es auch bei der Führung am Freitag nicht. Aber Ina Stephan gibt noch einige Ausblicke auf die Zukunft: „Der Antrag auf denkmalschutzrechtliche Genehmigung ist gestellt, alle noch fehlenden Unterlagen sind nachgereicht.“ Sie hoffe wirklich, dass die Ämter und Stöcker einen Weg finden und sich einig werden. Einmal im Monat sei Stöcker vor Ort. Wie alt er mittlerweile ist, will ein Besucher wissen. „77“, sagt Ina Stephan: „Aber er hat gute Gene, seine Mutter ist 100 geworden.“

Dann schwärmt sie, was alles entstehen könnte. Im angrenzenden City-Center, das Stöcker 2018 kaufte, wolle er alles für den täglichen Bedarf verkaufen, von Lebensmitteln bis Drogerieartikeln. Im Kaufhaus hingegen soll es hochwertige Mode und andere edle Dinge geben, ganz oben ein schönes Restaurant und eine Dachterrasse mit Riesengebirgsblick. Einen Bauzeitplan oder gar einen Eröffnungstermin könne sie aber nicht nennen, bedauert Ina Stephan.

Nächste Führungen am 22. und 29. April, jeweils 10.30 Uhr. Anmeldung unter Telefon 0172-1588131

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