Von Georg Moeritz
Dresden. Brummen und Zittern: Wer in den dreistöckigen Containerburgen auf der Infineon-Baustelle arbeiten möchte, muss innere Ruhe mitbringen. Zehn Kräne drehen sich auf Sachsens größter Baustelle im Dresdner Norden, und 800 Bauleute bringen 35.000 Tonnen Stahl an die richtigen Stellen. Sie arbeiten in Schichten, auch nachts.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) brachte am Donnerstag die letzte noch ausstehende Baugenehmigung für das vierte Fertigungsmodul der Mikrochipfabrik auf die Baustelle. Bisher sei mit Teilgenehmigungen gearbeitet worden, sagte Bauleiter Holger Hasse. Der erste Teil war der Aushub der 22 Meter tiefen Baugrube – genehmigt, weil eine „positive Prognose für das Gesamtprojekt“ vorlag. Es sei nicht möglich, fünf Jahre vor dem Produktionsstart im Detail zu wissen, welche Technologien bei der Produktion eingesetzt werden.
Kretschmer betonte die Bedeutung des Projekts: Dresden sei mittlerweile der beste Platz in Europa, um Mikroelektronik zu betreiben. Weil auch der taiwanische Chiphersteller TSMC in der Nachbarschaft investiere, werde es „Wachstumsschmerzen“ geben. Doch es werde gelingen, die Arbeitsplätze zu besetzen: „Wir wollen auch Menschen von außen herholen, die zur Wertschöpfung beitragen.“
Ziel von Infineon Dresden: 4.500 Arbeitsplätze
Infineon Dresden beschäftigt nach jüngsten Angaben von Geschäftsführer Raik Brettschneider nun mehr als 3.700 Menschen. Damit hat der Betrieb die benachbarte Chipfabrik von Globalfoundries mit ihren rund 3.000 Beschäftigten überholt. In den nächsten Jahren wächst Infineon Dresden dank des Neubaus auf rund 4.500 Beschäftigte. Die Angestellten kommen aus 59 Nationen, sagte der Geschäftsführer. „Wir profitieren von der Vielfalt.“

Im Herbst 2026 soll die Mikrochipproduktion im neuen Dresdner Werksteil beginnen. Damit kommt Infineon der geplanten Chipfabrik ESMC European Semiconductor Manufacturing Company zuvor. Dort will der taiwanische Investor TSMC 2.000 Arbeitsplätze schaffen – auch an dieser Fabrik ist Infineon aber beteiligt, zu zehn Prozent, wie auch Bosch und der niederländische Konzern NXP.
Infineons Reinraumfläche wächst auf 62.000 Quadratmeter
Die Infineon-Fabrik wird aber mit ihren insgesamt vier Modulen die größte in Europa sein, größer als die von Globalfoundries in Dresden und ST Microelectronics bei Grenoble in Frankreich. Die Manager wollten die genaue Fläche ihrer Reinräume für die Chipproduktion auf Nachfrage nicht verraten und nannten Schutz vor Konkurrenz als Grund. Doch aus den Veröffentlichungen geht hervor, dass die Reinraumfläche von Infineon Dresden mit dem Neubau von bisher 40.000 um 22.000 Quadratmeter wächst.
Der fünfstöckige Neubau wird gleich zwei Reinräume für die staubfreie Mikrochipproduktion enthalten. Die oberste Etage enthält die Zu- und Ablufttechnik, im Stockwerk darunter stehen die meisten Fertigungsanlagen zum Beschichten, Belichten und Ätzen der Siliziumscheiben. Im mittleren Stockwerk werden Chemikalien und Wasser eingeleitet. Eine Etage darunter befinden sich der zweite Reinraum sowie Aufbereitungsanlagen für Chemie und Wasser, im untersten Stockwerk wird die Energieversorgung eingebaut.

Im Sommer soll damit begonnen werden, die Versorgungsleitungen zu verlegen. Gerade im Mai sind die Bodenplatten fertig geworden, berichtete Franziska Scholz aus dem Bauteam bei einer Busrundfahrt für die Presse über die Baustelle. Die Produktion der Mikrochips nebenan sei dabei ständig weitergelaufen, obwohl sie nicht durch Erschütterungen gestört werden darf. Ein Warnsystem stoppte notfalls die Baumaschinen. Die Bodenplatten sind bis zu 1,90 Meter dick, um auch künftig die Chipproduktion vor Störungen zu schützen. Bis zu 70 Fahrzeuge mit Beton kommen pro Tag auf die Baustelle, meistens aus dem nahen Betonmischwerk in Dresden-Klotzsche.
Abbau bei Infineon Regensburg, Aufbau Dresden im Plan
Der Bau und die teuren Belichtungsanlagen kosten rund fünf Milliarden Euro. Infineon erwartet nach früheren Angaben rund eine Milliarde Euro Zuschüsse vom Staat dafür. Brettschneider sagte auf Nachfrage, für einen kleineren Teil aus dem Förderprogramm IPCEI gebe es bereits eine Bewilligung. Der größere Teil der Subventionen solle auf Grundlage des neuen Europäischen Chipgesetzes vom Bund kommen, daran werde gearbeitet.
Brettschneider sagte, Infineon arbeite mit am Wachstumspfad in Europa. Die Chips aus Dresden trügen zur Energiewende bei, etwa als Leistungshalbleiter in der Stromversorgung. Während der Bau in Dresden im Zeitplan ist und weiterläuft, baut Infineon im Werk Regensburg allerdings einige Hundert Stellen ab. Der Konzern hat ein Sparprogramm begonnen, weil die Nachfrage nach Chips derzeit schwächelt. Sie war nach der Corona-Pandemie zeitweise gestiegen, vor allem die Autoindustrie beklagte Nachschubmangel. Inzwischen haben viele Kunden ihre Lager gefüllt und bestellen erst einmal weniger. Der Infineon-Konzern rechnet aber auf Dauer wieder mit Wachstum der Branche.
Vorstandschef Jochen Hanebeck sagte vor wenigen Wochen auf die Frage, ob Infineon Schwierigkeiten bei der Suche nach ausländischen Arbeitskräften für Sachsen habe: „Wir werden die Anwerbung schaffen – jetzt und auch in Zukunft.“ Das Unternehmen trete für Vielfalt und Toleranz ein.
Infineon-Manager Wijburg mit Wissen aus drei Konzernen
In dem Dresdner Neubau will Infineon Mikrochips herstellen, die analoge und gemischte Signale verarbeiten können: für kleine Motorsteuerungen im Auto, für Ladegeräte, Rechenzentren und Anwendungen im Internet der Dinge. Außerdem werden Leistungshalbleiter produziert, wie schon im benachbarten Reinraum. Sie sind zum Schalten in größeren elektrischen Anlagen nötig. Nach Angaben des Unternehmens macht das „Zusammenspiel von Leistungshalbleitern und Analog/Mixed-Signal-Bausteinen besonders energieeffiziente und intelligente Systemlösungen“ möglich.

Infineon nutzt in Dresden auch den Reinraum seiner ehemaligen Tochterfirma Qimonda. Die war 2009 in Insolvenz gegangen, weil die Massenproduktion von Speicherchips nicht mehr mit Asien konkurrieren konnte. Damals fielen rund 4.000 Arbeitsplätze in Dresden weg. Später kaufte Infineon die Gebäude aus der Insolvenzmasse und richtete sie zur Produktion von Leistungshalbleitern ein – das sind robuste Chips, die vor allem in der Energieversorgung benötigt werden. Infineon produziert sie auch in Villach in Österreich, das Werk dort arbeitet eng mit Dresden zusammen.
Auf der Baustelle traf Ministerpräsident Kretschmer am Donnerstag auch Infineon-Vorstandsmitglied Rutger Wijburg. Er ist seit zwei Jahren im fünfköpfigen Vorstand des Dax-Konzerns. Vorher hat der Niederländer zehn Jahre in Dresden gearbeitet – erst als Geschäftsführer der Mikrochipfabrik von Globalfoundries, dann bei Infineon. In den Niederlanden war er zuvor „Senior Vice President“ beim Mikrochipkonzern NXP, der nun auch am nächsten Dresdner Bauprojekt ESMC beteiligt ist. Die Chipkonzerne arbeiten zunehmend zusammen, das erleichtert ihnen auch den Zugang zu Subventionen. Am Mittwoch hatten sich in Dresden Vertreter von 31 europäischen Regionen getroffen, die von der Branche profitieren.