Von Michael Rothe
Ullersdorf. Zweite Heimat – so heißt das Wirtshaus am Golfplatz in Ullersdorf, einem Stadtteil von Radeberg. Dabei ist das rund 100 Hektar große Areal längst zur 1. Heimat geworden: für ugewöhnlich viele Vögel und anderes Getier inmitten reichhaltiger Flora. „Golf und Naturschutz schließen sich aus“, heißt es von Kritikern des als elitär verschrienen Sports. Die 27-Loch-Anlage nordöstlich von Dresden will das Gegenteil beweisen. Und sie lädt Zweifler vier, fünf Mal im Jahr ein, sich bei öffentlichen Spaziergängen selbst ein Bild zu machen.
An diesem Mittwochnachmittag versammeln sich knapp 30 Neugierige neben dem Clubhaus – darunter Anwohner aus der benachbarten Eigenheimsiedlung. Unter Führung des Dresdner Vogelkundlers Roland Pürschel macht sich der Trupp auf den Weg. Der Experte ist mit Feldstecher, Stativ und Fernrohr für jede Entdeckung gewappnet.
Schon nach wenigen Metern wartet vor Abschlag 2 und ganz ohne Vergrößerungsglas die erste Überraschung: eine etwa 100 Quadratmeter große, kunterbunte Blumenwiese. „Wir wollten weg von der Eintönigkeit und haben fünf ausgewählte Flächen zu Bienenweiden erklärt“, erklärt Uwe Neumann, Chef der Golfanlage mit 15 Beschäftigten. Diese Areale, auch eine Augenweide, würden vom Mähroboter verschont. Das Ergebnis: „Golfplatzhonig“, der in Kooperation mit einem Imker aus Ohorn verkauft wird.
„Wir haben hier 26 Vogelarten identifiziert: von der Amsel bis zum Zilpzalp“, sagt Neumann, der bei den kleinen Exkursionen meist selbst dabei ist. Auf dem Platz lebe sogar der scheue Neuntöter. Um den Vogel des Jahres 2020 anzusiedeln, hätten die Greenkeeper extra Totholz aus Windbruch als Nistplatz aufgeschichtet.
Fernglas statt Kassettenrekorder zur Jugendweihe
Da meldet sich Anführer Pürschel zu Wort und zeigt auf eine solche Benjeshecke. Und als hätte er ihn bestellt, sitzt dort so ein Vertreter aus der Familie der Würger – kaum größer als ein Spatz und entgegen seinem martialischen Namen beschaulich. Schnell baut der Erklärer sein Stativ auf. Die 50-fache Vergrößerung des Fernrohrs macht den Vogel für alle Begleiter sichtbar. Er spießt seine Beute auf Zweigen und Dornen auf, ehe er sie vertilgt.
Für die Töne sorgen andere: Amseln, Drosselrohrsänger, Goldammer, Grünspecht, Grasmücke, Kernbeißer. Eine kleine Bachstelze freut sich über das kurzgeschorene Green. Pürschel kennt sie alle. Der 64-Jährige hat den Blick und das Gehör.
Der gelernte Spielwarenverkäufer hat sich sein Wissen nicht durch ein Studium angeeignet, sondern durch regelmäßige Exkursionen und Vorträge in der Fachgruppe Ornithologie beim Kulturbund. Von klein auf sei er in der Natur, „und zur Jugendweihe gab’s statt des üblichen Kassettenrekorders ein Fernglas“, erzählt Pürschel. Heute ist der angehende Rentner und zweifache Großvater oft mit seinem vierjährigen Enkel unterwegs, gibt die Neugier und Liebe zur Natur weiter.
Zwei Weißstörche machen der Gruppe ihre Aufwartung – und ein Wiedehopf auf der Durchreise. „Der Golfplatz ist das einzige Kiebitz-Revier im Großraum Dresden“, weiß der Vogelkundler.
Aber die Anlage kümmert sich nicht nur um gefiederte Gäste. Im Rahmen der Aktion „Genial sozial“ haben die Greenkeeper gemeinsam mit Schülern eine Futterstelle für Rehe gebaut. Der Chef des siebenköpfigen Teams heißt Ronny Hempel. „Bei uns leben Dachse, Füchse, Hasen“, sagt der Mann, der den Platz seit dem Bau vor 31 Jahren kennt. Eine extra angelegte Streuobstwiese mit 30 Bäumen, zwei Insektenhotels und Nistkästen sind weitere Argumente gegen voreilige Pauschalkritik. Und sie sind Kriterien für das Gütesiegel „Golf und Natur“ des Deutschen Golf Verbandes. Die Ullersdorfer tragen die Auszeichnung, die umweltbewusste und nachhaltige Betriebsführung würdigt, seit vorigem Jahr in Silber. Auch der Platz in Possendorf südlich von Dresden kann seit diesem Frühjahr mit Bronze aufwarten. Beide Sportstätten werden von Karl Schwald, Chef und Mitinhaber des Dresdner Schmierstoffspezialisten Elaskon, sowie seinem Sohn und Ex-Golfprofi Michael Muthreich betrieben.
Die interessierte Wandergruppe, zu drei Vierteln weiblich, zieht es weiter. Helga Frankenstein aus dem benachbarten Wohngebiet ist wiederholt dabei. „Fast wie ein Landschaftspark“, schwärmt sie vom leicht hügeligen Gelände mit Teichen, Bachläufen, Bäumen und Blick ins Schönfelder Hochland. „Das ist schon besser als ein Gewerbegebiet vor der Nase“, sagt sie.
Graugänse, Stockente und das Schwanenpärchen am Teich sind nicht nur nett anzuschauen, sie hinterlassen auch Unschönes. Darum kümmern sich dann Hempel und sein Trupp – neben Bodenarbeiten wie Striegeln, Belüften, Mähen, Sanden. Einen Golfplatz zu unterhalten, ist aufwändig und kostet.
400 Regneranlagen sind unterirdisch verrohrt, ein Teich mit Regenwasser spendet das nötige Nass. Erst wenn das zur Neige geht, werde das öffentliche Netz angezapft, versichert der Greenkeeper. Das Vorurteil vom Ressourcenverbrauch sei falsch. Und er wehrt sich gegen ein weiteres: „Bei uns gibt es kein Unkraut nicht, weil wir Gift verspritzen, sondern weil wir die Greens täglich schneiden“, so der Rasenprofi. „Da hat der Löwenzahn irgendwann die Nase voll und wächst nicht mehr.“ Chemie werde nur auf einem Prozent der Fläche eingesetzt: Spurennährstoffe und marginal Stickstoff.
In Deutschland sind etwa 680.000 Golfer registriert. Geschätzt frönt eine weitere Million unorganisiert diesem Hobby. Laut Golfverband gibt es bundesweit rund 830 Plätze, die meisten, nämlich 174, in Bayern. In Sachsen sind es 18. Speziell in den 1990ern gab es einen Golfplatz-Boom, auch im Nachwende-Osten. Das Überangebot führte zu einem Verdrängungswettbewerb, der über den Preis ausgetragen wurde. Die Folge: Fusionen und Pleiten.
In den ersten zehn Jahren rote Zahlen
„Auch die Anlage in Ullersdorf hat in den ersten zehn Jahren rote Zahlen geschrieben und nur dank des Hauptsponsors überlebt“, räumt Uwe Neumann ein, der die Geschäfte seit 2016 führt. Mittlerweile stehe das Unternehmen auf soliden Füßen – dank Förderern und Obolus‘ der 850 Clubmitglieder. Auch Oldstars wie Radrennfahrer Olaf Ludwig, Boxer Axel Schulz und Handballer Stefan Kretzschmar wurden schon gesichtet. An diesem Mittwoch ist Fußball-Legende Eduard Geyer vor Ort. Golfbetriebswirt Neumann wehrt sich gegen das Image der Reichen und Schönen. Seine Aktiven kämen aus allen Schichten, sagt der Mann mit Handicap 14,. Ihr Jahresbetrag: 1.900 Euro, für Studenten 460 Euro. Dafür könnten beide Plätze bei Dresden genutzt werden. Derzeit seien 70 Kinder im Jugendtraining. Der Platz bietet Kurse für jedermann: vom Schnuppern bis zur Platzreife. Und es herrschen strenge Regeln wie Leinenpflicht für Hunde, Wegezwang für Golfcarts und Trolleys – und Platzarbeiten der Pfleger haben Vorrang.
Zwischendurch kommt einer der beiden Mähroboter vorbei. Via GPS programmiert, stutzen sie exakt die Greens und auf 4 Millimeter. „15.000 Euro kostet so ein Teil, aber das ist die Zukunft“, sagt Neumann. Denn die Technik sei Tag und Nacht einsetzbar und frage nicht nach Urlaub, nur nach Strom.
Es gibt viel zu lernen auf der Tour – auch für die 13-jährige Lenja, die vielleicht mal Ornithologin werden will. Eine Dame mit zwei Kindern fragt, ob es Fische im Teich gebe. Hempel bejaht. „Und wer nutzt sie?“ „Der Fischreiher“, antwortet Hempel. Alle lachen.
Ein Blässhuhn verschwindet mit seinen fünf Jungen im Schilf. „Der Mensch ist hier nicht das Problem“, sagt Pürschel, der selbst keinen Bezug zum Golfsport hat. Auch er, bis vor zwei Jahren Mitglied des Naturschutzbundes Nabu, sei skeptisch gewesen, habe aber dazugelernt. Wie alle an diesem Nachmittag.
Nach anderthalb Stunden geht der kurzweilige Ausflug am Loch 13 zu Ende: mit Beifall, einem Schauer und – fast schon kitschig – einem Regenbogen. Die nächste Auflage gibt es am 22. Oktober.



