Görlitz. Jetzt geht es Schlag auf Schlag. An diesem Mittwoch findet in Schwarzheide das 4. Lausitzforum statt, bei dem Vertreter aus Wirtschaft und Politik eine Zwischenbilanz von fünf Jahren Strukturwandel ziehen wollen. Am Tag darauf erklären die Gewerkschaften in Bad Muskau, wie sie sich die zweite Projektphase des Strukturwandels ab kommendem Jahr vorstellen. Und am Freitag tagt der regionale Begleitausschuss im Lausitzer Revier.
Der hat in den vergangenen Jahren immer wieder Projekte beschlossen, die mit den Kohleausstiegsgeldern umgesetzt werden. Doch an diesem Freitag werden solche Beschlüsse ausbleiben. Diese Erwartung jedenfalls äußerte der Görlitzer Landrat Stephan Meyer, der dem Beirat angehört. Noch immer gibt es keine neue Förderrichtlinie für die zweite Projektphase.
Und überhaupt fehlt auch die letzte Klarheit, welche Gelder eigentlich noch in dem Kohletopf drin sind. Darauf verwies letztens erst Boxbergs Bürgermeister Hendryk Balko, der als Sprecher der sächsischen Gemeinden in der Lausitzrunde eigentlich einen guten Überblick haben müsste.
Bürgermeister beklagen Überforderung
In dieser Phase nun legt das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in Cottbus die Ergebnisse einer Umfrage unter allen Bürgermeistern der Reviergemeinden in Deutschland vor, die bis spätestens 2038 aus der Kohleverstromung aussteigen müssen. Das sind 651 Städte und Gemeinden.
Zwar haben nicht alle Antworten an das Institut geschickt, doch gelten die nun vorgelegten Ergebnisse als aussagekräftig. Und für Carola Neugebauer, Leiterin des Kompetenzzentrums Regionalentwicklung im BBSR, sind die wichtigsten Lehren aus der ersten Förderphase: Die Kommunen benötigen „unbürokratische Verfahren, verlässliche Unterstützung und eine Politik, die die unterschiedlichen Herausforderungen vor Ort versteht“.
Die Kommunen beklagen eine anhaltende Überforderung. Neben ihrem normalen Geschäft sollen sie millionenschwere Förderprojekte stemmen. Da kommen nicht nur kleinere Gemeinden an ihre Grenzen, auch wenn der Kreis Görlitz beispielsweise über seine Wirtschaftsfördergesellschaft Eno mit zusätzlichen Mitarbeitern hilft, die Projekte zu entwickeln und zu beantragen.
Die Ergebnisse der Befragung zeigen, worauf es ankommt: unbürokratische Verfahren, verlässliche Unterstützung und eine Politik, die die unterschiedlichen Herausforderungen vor Ort versteht. – Carola Neugebauer, Leiterin des Kompetenzzentrums Regionalentwicklung im BBSR
Dennoch: Die Lausitzer Städte und Gemeinden fühlen zu 73 Prozent wachsenden finanziellen Druck, in den Anrainerkommunen sind es sogar 91 Prozent. Auch der zeitliche Handlungsdruck wächst. Zwar ist der Kohleausstieg 2038 eigentlich noch weit, doch das betrifft nur den letzten Block des Boxberger Kraftwerkes. Schon zuvor, Ende 2029, wird das halbe Kraftwerk in Boxberg abgeschaltet. So sieht es in anderen Revieren ebenso aus.
Stimmung in der Oberlausitz am schlechtesten
Erschwerend kommt aber hinzu, dass gerade in der Lausitz die Sorgen über die Zukunft besonders hoch und die gegenwärtige Stimmung auch mit dem Blick darauf, ob die Region den Kohleausstieg gut bewältigt, besonders schlecht ist.
45 Prozent aller befragten Kommunen in der Lausitz äußern sich negativ über den Strukturwandel, nur 37 Prozent positiv. Zwar sind auch in allen anderen deutschen Revieren die negativen Äußerungen ausgeprägt, aber dort gibt es auch besonders viele positive Äußerungen. Beispiel Rheinisches Revier: 39 Prozent negativ oder eher negativ, 54 Prozent positiv oder eher positiv.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass im Rheinischen Revier die Bürgermeister am optimistischsten auf den Kohleausstieg schauen mit 52 Prozent, dagegen sehen nur fünf Prozent der sächsischen Kommunen im Lausitzer Revier eher die Chancen.
Tendenziell besonders negativ sehen kleinere Landgemeinden mit wenig Personal und finanziellem Spielraum die Situation. Dort ist also der Druck am höchsten und es sind nicht selten diese kleineren Landgemeinden, die am nächsten dran sind an den Kraftwerken und Tagebauen. So bedingen und verstärken sich die Dinge gegeneinander in der Lausitz.
Diese drei Entwicklungen belasten die Oberlausitzer Kommunen
Dass sich die Oberlausitzer Kommunen, vor allem die Nachbargemeinden der Tagebaue und Kraftwerke, besonders unter Druck fühlen, liegt wiederum an drei Dingen. Zum einen wird der Antragsprozess für die Kohleausstiegsgelder als sehr bürokratisch und intransparent eingeschätzt. Zum zweiten ist die Kritik im Lausitzer Revier besonders ausgeprägt, dass die Gelder auch in Kommunen gehen, die weit weg von den Tagebauen sind.
Gesetzlich ist das erlaubt, 53 Prozent der Kommunen beklagen es dennoch. Und schließlich sehen sie sich alle mit einer Fülle von Aufgaben konfrontiert, denen sie sich auch ohne Kohleausstieg hätten stellen müssen.
Fragt man die Bürgermeister, welche Aufgaben besonders dringend zu lösen sind, dann gibt es diese Reihenfolge: Erhalt der öffentlichen Infrastruktur mit rund 90 Prozent, gefolgt von der Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Gesundheits- und Pflegeversorgung. Es folgen die Gewerbeansiedlung, die Fachkräftesicherung und die Digitalisierung der Verwaltung sowie die Förderung von Kultur- und Freizeitangeboten mit rund 70 Prozent.
SZ


