Dresden/Leipzig. Frau Cavazzini, Trump hat Strafzölle auf Stahl, Aluminium und jetzt auch auf Autos verhängt. Kommt noch mehr?
Das weiß man nicht genau bei Trump. Es gibt Anzeichen, dass nächste Woche das nächste große Paket kommt, was Auswirkungen auf Sachsen und uns alle haben wird.
Womit müssen wir rechnen?
Er will sogenannte reziproke Zölle auf den Weg bringen.
Was soll das sein?
Der amerikanische Präsident hat eine sehr ungewöhnliche Interpretation davon, was in Europa Zölle sind. Er bezieht in seine Berechnungen alles ein, was seiner Ansicht nach unfair ist und amerikanischen Unternehmen schadet. Zum Beispiel die Mehrwertsteuer. Dabei ist sie kein Zoll, sondern eine Verbrauchssteuer, die genauso auch auf in Europa hergestellte Produkte erhoben wird. Ihn ärgert auch die Digitalsteuer, die in fünf EU-Ländern erhoben wird, und die europäische Regulierung der digitalen Dienste. Unter diese Regeln fallen natürlich auch die großen US-Techkonzerne. Das alles wirft er in einen Topf und sagt, deshalb führen wir jetzt diese sogenannten reziproken Zölle ein, im schlimmsten Fall auf alle Produkte aus Europa.
Auf alle Produkte?
Ja, das ist wirklich eine Kampfansage, wenn das wirklich alles so kommt. Mehr denn je wird jetzt klar, warum es so wichtig ist, dass Deutschland in der EU ist. Allein könnten wir nicht gegenhalten.
Politische Kosten für Trump in die Höhe treiben
Was könnten die Folgen für Sachsen sein?
Sächsische Unternehmen, die für den amerikanischen Markt herstellen, müssen sich darauf vorbereiten, dass ihre Produkte in den USA nicht mehr gekauft werden. Für die amerikanischen Verbraucherinnen und Verbraucher werden sie einfach deutlich teurer. Das kann hier Produktion und Arbeitsplätze gefährden. Umgekehrt müssen sich auch die Verbraucher in Sachsen auf höhere Preise einstellen. Die EU-Kommission hat als Gegenreaktion auf die US-Zölle auf Stahl und Aluminium schon Zölle auf Motorräder, Jeans und Whiskey angekündigt. Sie wurden zwar erst einmal zurückgestellt, weil die EU-Kommission die Zeit bis zur tatsächlichen Einführung für Verhandlungen mit den USA nutzen will. Parallel wird jetzt aber auch schon an viel umfangreicheren Gegenmaßnahmen gearbeitet und die können auch Sachsen wirtschaftlich treffen. Dennoch sind sie politisch richtig: Eine andere Sprache als Stärke versteht Trump leider nicht, wenn wir ihn zum Einlenken bewegen wollen.
Könnte es sein, dass die EU-Kommission im schlimmsten Fall von „reziproken“ Zölle auf alle Produkte mit gleicher Münze heimzahlt und alle US-Waren mit Zöllen belegt?
Das ist ausgeschlossen, weil die Kommission und das Europaparlament keinen Handelskrieg anfangen wollen, nach dem Motto, haut der meinen Turm um, haue ich seinen um. Wir sind nicht im Kindergarten. Stattdessen wird an Gegenmaßnahmen gearbeitet, die uns am wenigsten schaden, aber gezielt Trumps Machtbasis, die tief republikanisch geprägten Wahlkreise, trifft, wie etwa die Gegenzölle auf Bourbon und Jeans. So kann die EU erreichen, dass die politischen Kosten zu Hause für Trump so hoch werden durch Inflation und Absatzprobleme für die Unternehmen in seinen Wahlkreisen, dass er seine Politik aufgrund des innenpolitischen Drucks ändert.
Trump will durch die Zölle auf Autos deutsche Hersteller zwingen, mehr in den USA zu produzieren. Das gilt für andere Produkte auch. Sind die sächsischen Firmen stärker betroffen, weil sie kaum Produktionsstätten in den USA haben?
Das kann so sein, wobei auch die Unternehmen, die in den USA produzieren, betroffen sind, da sie oft Stahl und Aluminium aus Europa oder China beziehen. Oder sie lassen Produkte in Mexiko montieren. Die Lieferketten gerade in der Automobilbranche sind extrem verflochten. Mit Blick auf die aktuellen Zahlen kann ich jetzt nicht erkennen, dass viele Unternehmen als Konsequenz in den USA eine Fabrik aufmachen wollen. Der Trend ist andersherum. Kapital wird abgezogen, wegen der großen Unsicherheit.
Strategie von Zuckerbrot und Peitsche
Sie halten Gegenmaßnahmen für politisch richtig, warum?
Es braucht eine Strategie von Zuckerbrot und Peitsche. Europa muss signalisieren, jederzeit bereit zu sein für einen Deal, was Trump auch erreichen will. Dabei muss die EU aber Stärke zeigen, sonst verhandelt er nämlich gar nicht erst mit uns, sondern erpresst. Ich war gerade eine Woche in Washington und habe eine Ausschussreise des Europaparlaments geleitet. Wir haben viele Gespräche geführt mit Abgeordneten und mit der Trump-Administration. Ich hatte schon das Gefühl, die nehmen einen nicht ernst, wenn man Schwäche zeigt. Sie halten Europa für schwach und uneinig. Deshalb müssen wir hart reagieren, ähnlich wie es Kanada tut. Und als Europa Einigkeit demonstrieren. Ich konnte auf der Münchner Sicherheitskonferenz die kanadische Außenministerin hören. Ihr Appell war deutlich: Ihr müsst jetzt Zähne zeigen, sonst kommt ihr keinen Schritt voran.
Wo ist ihre rote Linie, über die nicht verhandelt werden kann?
Ehrlich gesagt bin ich mir immer noch nicht so ganz sicher, was Trump eigentlich will. Wenn er nur will, dass wir mehr Trucks aus den USA oder mehr Sojabohnen kaufen sollen, dann lässt sich darüber reden. Aber bei meinen Gesprächen in Washington habe ich herausgehört, dass er Ziele weit darüber hinaus anvisiert, zum Beispiel, dass Europa die Regulierung der großen Digitalkonzerne und Plattformen abschafft oder abschwächt, die wir in der letzten Legislaturperiode erst verabschiedet haben. Unsere Gesetze anzugreifen ist für mich und für viele meiner Kolleginnen und Kollegen im Europaparlament eine rote Linie: Wenn amerikanische Tech-Unternehmen hier auf unserem Markt aktiv sind, müssen sie unseren Regeln folgen. Und genau hier liegt auch unsere Stärke: Der europäische Binnenmarkt ist der größte Verbrauchermarkt für Digitalkonzerne.
Umdenken bei extremen Rechten im Europaparlament
Ist Europa einig bei den Gegenmaßnahmen?
Europa muss jetzt einig sein, es gibt keine andere Wahl. Ich beobachte interessante Denkprozesse bei den extremen Rechten. Sie finden das Vorgehen von Trump im Bereich Migration gut. Aber sie verstehen schon, dass Trumps Zollpolitik gegen ihre eigenen Interessen gehen. Die rechtspopulistische Rassemblement National (RN) in Frankreich ist viel vorsichtiger und will sich nicht mehr mit Trump zeigen.
Auf der USA-Reise war auch ein polnischer Abgeordneter der PIS-Partei mit. Ihm hat man in den Gesprächen die Enttäuschung angesehen. Er war gerade zu geschockt. Die PIS-Partei war ein enger Verbündeter der Republikaner. Nun haben viele Polen das Gefühl, sie werden mit der Hilfe für die Ukraine hängengelassen. Spannend wird auch, wie die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni reagiert, wenn sie feststellt, wie die italienische Industrie unter Trumps Tiraden leidet.
Es gibt also ein Zusammenrücken?
Ja, durchaus. Aber ich glaube schon, dass einzelnen Lobbyinteressen wieder stärker hervortreten werden, sobald es in die Details geht, welche Zölle in welcher Höhe auf den Weg gebracht werden.
Wird in Brüssel an Maßnahmen gearbeitet, Umsatzverluste für betroffene Firmen abzufedern?
DieEU-Kommission hat das auf demSchirm. Ich finde aber, hier müssen wir mehr tun. Wir müssen unsere Handelsschutzinstrumente auf stärker nutzen. Denn durch die Zölle werden Handelsströme umgelenkt. Ein Beispiel: Schon jetzt gibt es eine Überproduktion an chinesischem Stahl. Wenn Stahl aus China, Brasilien oder Mexiko nicht mehr auf den amerikanischen Markt kommen, wird er noch stärker in die EU drängen. Deswegen müssen wir Schutzmaßnahmen auf den Weg bringen. Solche Schutzzölle sind legitim und mit WTO-Recht vereinbar.
Und was ist mit speziellen Förderprogrammen zur Stützung betroffener Unternehmen?
Ich fände es richtig, wenn man übermäßig betroffene Unternehmen vorübergehend stützt, um diese Durststrecke zu überwinden. In den USA wächst parallel der innenpolitische Druck auf Trump durch steigende Inflation und fallende Aktienkurse. Es gibt schon eine Chance, dass mit Gegendruck Trump einlenken muss.
Wenn die EU nun Schutzzölle auf Stahl aus China erhebt, besteht dann nicht die Gefahr, dass es zu einem globalen Handelskrieg kommt?
Ja, man muss natürlich sehr aufpassen. Aber ehrlicherweise gehen andere Länder viel egoistischer und geostrategischer vor als wir. Ein wichtiger Grund, warum Deutschland jetzt in der Wirtschaftsflaute steckt, ist nicht das Heizungsgesetz oder das Lieferkettengesetz, sondern der zweite China-Schock. China hat strategisch entschieden, sich Stück für Stück abzukoppeln. Studien zeigen, es wird stärker exportiert und weniger importiert. Dadurch brechen wichtige Märkte für die Europäer weg, wie etwa im Autobereich. Es geht jetzt darum, auszuloten, wo Europa und China stärker zusammenarbeiten können als Reaktion auf die Politik von Trump. Wir werden als EU immer in diesem Spannungsfeld zwischen China und den USA sein, müssen jetzt aber strategischer agieren und nicht alles mit uns machen lassen.
Ex-Außenminister Sigmar Gabriel schlägt vor, Kanada in die EU aufzunehmen. Was halten Sie davon?
Es gibt schon sehr, sehr enge Handelsbeziehungen. Aber jetzt kommt es auf emotionale Signale an. Ein symbolisch schöner Schritt wäre, noch mal ein Abkommen zu mehr Kooperation zu schließen. Das wäre jetzt richtig und würde Trump ärgern. Schon deshalb sollte man es machen.
SZ