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Sachsen will internationale Fachkräfte gewinnen – aber kommen sie auch?

Sachsen sucht im Ausland nach Willigen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Doch wie erfolgreich ist der Freistaat dabei? Und warum gibt es Kritik daran? Eine erste Bilanz.

Lesedauer: 3 Minuten

Ein junger Mann mit internationalen Wurzeln schüttelt Sachsens Wirtschaftsminister im Anzug die Hand.
Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) begrüßt bei einem Werksrundgang bei Omeras Abdoulle Bojang aus Gambia, der seit mehreren Monaten im Betrieb in der Fertigung arbeitet. © SMWA/Kristin Schmidt

Von Luisa Zenker

Ohne Zuwanderung geht es nicht. Dieser Satz ist immer wieder in der sächsischen Koalition zu hören. Denn die Sachsen gehen in Rente. Im Jahr 2030 fehlen dem Freistaat nach unterschiedlichen Schätzungen 150.000 bis 200.000 Arbeitskräfte.

Um die Lücke zu schließen, sucht Sachsen gezielt im Ausland nach Willigen. Dafür hat die Landesregierung mit den Kammern vor einem Jahr einen Pakt zur Gewinnung internationaler Fachkräfte unterzeichnet. Doch was ist seitdem passiert? Und wieso gibt es Kritik daran?

Wie viele Fachkräfte sind aus dem Ausland gekommen?

Der Pakt für mehr internationale Fachkräfte wurde im April 2023 geschlossen. Seitdem gab es noch „keinen spürbaren Anstieg der Erwerbsmigration“, schreibt das sächsische Wirtschaftsministerium auf Nachfrage von Saechsische.de. Demnach sind im Jahr 2022 rund 1.700 internationale Fachkräfte zum Arbeiten nach Sachsen gekommen, weitere 3.000 kamen für Studium und Ausbildung.

Damit liegt Sachsen im Vergleich zu den ostdeutschen Bundesländern vorn, bundesweit aber noch weit hinter Bayern, Hessen, Baden-Württemberg. Aktuellere Zahlen gibt es laut dem Ministerium nicht. Die Fachkräfte kommen überwiegend aus Indien, dem Iran, der Russischen Föderation, der Türkei, Weißrussland, Großbritannien, China und den USA.

Was hat der Freistaat seit dem Pakt im Ausland getan?

Sachsen will im Ausland präsent sein, heißt es in dem neunseitigen Papier, auf dem der Pakt basiert. Dafür hat der Freistaat im November ein Büro in Usbekistan eröffnet. „Das Interesse und die Nachfrage in Usbekistan ist sehr groß, insbesondere an einem Medizinstudium.“ Zudem wurde ein Büro in Indien aufgebaut. Beide Standorte fokussieren sich auf die Rekrutierung von Studierenden. Derzeit prüft man, gemeinsam mit Thüringen eine Anlaufstelle in Kirgisistan zu schaffen.

Der Freistaat hat sich mit den Kammern darauf verständigt, besonders in Ägypten, Brasilien, Indien, Vietnam und Zentralasien, darunter Kirgisistan und Usbekistan, um Fachkräfte zu werben. Grund sei hier die hohe Zahl an arbeitssuchenden Jugendlichen, die bestehenden Kontakte mit Sachsen, und die Verbreitung der deutschen Sprache. Vietnam zähle dazu, weil bereits eine große vietnamesische Gemeinschaft in Sachsen lebe. Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums berichtet aber vom Wettbewerb mit anderen Bundesländern. Sachsen sei für viele im Ausland kein Begriff.

Wie blicken die Unternehmen auf die bisherige Bilanz?

„Ernüchternd“ nennt Andreas Brzezinski, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Dresden die Bilanz nach einem Jahr des Paktes. Eine signifikante Zahl an ausländischen Arbeitskräften sei nicht vorhanden. Ansprechpartner würden in Sachsen für Personen im Ausland fehlen, die über die Chancen am sächsischen Arbeitsmarkt informieren, ergänzt Lars Fiehler, Sprecher der Industrie- und Handelskammer Dresden. Er nimmt ein größeres Interesse bei den Unternehmen für ausländische Fachkräfte wahr, auch im ländlichen Raum. „Allerdings herrscht noch große Unsicherheit hinsichtlich der gesetzlichen Regelungen und Zuständigkeiten.“ Die Unternehmen fürchten ihm zufolge Sprachbarrieren, erhebliche Kosten für die Gewinnung und Integration sowie Unklarheiten bei den ausländischen Qualifikationen. Die Gesamtdauer eines Einreiseprozesses dauere immer noch neun Monate.

Was sagt der Freistaat zu der Kritik?

Der Freistaat verweist auf das von der Bundesregierung beschlossene Fachkräfteeinwanderungsgesetz, welches seit November 2023 stufenweise in Kraft tritt. Es soll rechtliche Hürden abbauen. „Eines muss klar sein: Personalgewinnung ist grundsätzlich Aufgabe der Unternehmen“, betonte der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) zuletzt im Landtag. Die Regierung schaffe einzig Unterstützungsangebote.

Dafür hat der Freistaat neun „Welcome Center“ in Sachsen eröffnet. Ziel sind 13 solcher Büros, eines in jedem Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt. Sie helfen bei der Wohnungssuche oder bei aufenthaltsrechtlichen Anliegen. Weitere Projekte mit einem Sonderbudget von 7 Millionen Euro werden derzeit umgesetzt.

Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums stellt klar, dass der Fachkräftepakt eine gemeinsame Selbstverpflichtung vom Freistaat, den Kammern und ihren Unternehmen sei. Bedeutet im Klartext: Jeder der Beteiligten hat seine Hausaufgabe zu erfüllen.

Wo liegt die Verantwortung der Unternehmen?

Derzeit versucht die Handwerkskammer Dresden mit den VAMED-Kliniken in Pulsnitz, Pflegekräfte aus Vietnam und Brasilien zu rekrutieren. Seit mehreren Jahren arbeiten zudem die Leipziger Kammern an Ausbildungen in Ägypten und Vietnam. Ein erster Ausbildungszyklus endete im Herbst 2023. Von den 50 angestrebten Zuwanderern aus Vietnam sind 18 ausgebildete Fachkräfte eingereist. Bei diesem Projekt zeige sich die „Zurückhaltung der Unternehmen“, erläutert das Wirtschaftsministerium die niedrige Zahl.

Ein Projekt mit Kirgisistan war zuvor schiefgegangen. Der Freistaat hatte ein Projekt mit rund 50 Interessenten aus Kirgisistan organisiert. Für die Sprachkurse und Visa fielen allerdings Kosten von mehr als 10.000 pro Lehrling an. Sächsische Unternehmer griffen nicht zu. Stattdessen arbeiten die kirgisischen Fachkräfte nun in Bayern, weil sich die dortigen Unternehmen interessierten.

Was müsste noch getan werden?

„Es fehlt weiterhin der One-Stop-Shop, wo ich mich als Unternehmerin hinwende, wenn ich einen internationalen Bewerber einstellen will“, erklärt Janett Krätzschmar-König vom Intap-Netzwerk, das indische Arbeitskräfte mit sächsischen Unternehmen zusammenbringt. Es gebe derzeit ein Informationsüberangebot für die Unternehmen, führt Krätzschmar-König weiter aus. Der Grund: Bund, Länder und Kommunen schaffen parallele Unterstützungshilfen. „Es fehlt eine federführende Verantwortung, die Voraussetzungen schafft und Doppelstrukturen reduziert.“

Ihr zufolge benötigen die Unternehmen „Hilfe zur Selbsthilfe“. Kleinere Betriebe hätten gar nicht die Ressourcen, um etwa Dokumente zu übersetzen. Sie wünscht sich aber auch mehr Offenheit bei den Unternehmen – und den Fachkräften. Demnach müsse man ihnen klarmachen, dass man in Sachsen ein Drittel weniger verdient als in München, aber dafür günstigere Lebenshaltungskosten habe.

Die Industrie- und Handelskammer fordert darüber hinaus mehr Sprachkurse besonders im ländlichen Raum. Die Mitarbeiter in den Behörden sollten ihnen zufolge Englisch sprechen können. Außerdem berichten die Kammern von Unverständnis in den Unternehmen, wenn geflüchtete Helfer abgeschoben werden und sie gleichzeitig „viel Geld“ für die Rekrutierung internationaler Fachkräfte zahlen sollen. „Das führt bei Gesprächen mit Unternehmen regelmäßig zu emotionalen Diskussionen und zu Verdrossenheit gegenüber dem Thema“, sagt IHK-Sprecher Lars Fiehler.

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