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Schlechte Aussichten für den Krebs

Rotop Pharmaka ist eine Top-Adresse in der Nuklearmedizin. Jetzt planen die Rand-Dresdner den nächsten Wachstumsschritt. Und der Chef Jens Junker schlachtet dafür eine heilige Kuh.

Lesedauer: 4 Minuten

Ein Mann steht vor einem Bildschirm mit Logo.
Jens Junker ist seit 2014 Geschäftsführer der Rotop Pharmaka GmbH in Dresden. Vorher war der Sachsen 20 Jahre lang für verschiedene Maschinenbauer Geschäftsführer u.a. in Tschechien, Polen, China und den USA. Foto: Arvid Müller

Von Michael Rothe

Dresden. Bei Rotop Pharmaka in Dresden-Rossendorf ist es eng. „Ich kann gar nicht alle 210 Beschäftigten zeitgleich am Platz haben“, räumt Geschäftsführer Jens Junker ein. „Gut, dass Homeoffice erfunden wurde.“ Er selbst teilt sich mit einem anderen Manager ein kleines Büro mit Blick auf das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR): zwei Schreibtische hinter einem Sideboard, nur durch eine Akustikwand getrennt. „Wenn andere auf wenig Platz zurechtkommen sollen, muss ich mit gutem Beispiel vorangehen“, sagt der 61-Jährige.
Das Wachstum der Belegschaft steht für den Boom radiopharmazeutischer Arzneimittel, das Betätigungsfeld des Unternehmens. Und es steht für eine ganz besondere Erfolgsgeschichte auf dem Campus im äußersten Nordosten der Landeshauptstadt.
Rotop, eine der weltweit führenden Adressen in Nuklearmedizin und molekularer Bildgebung, hat seine Wurzeln im früheren Zentralinstitut für Kernforschung, einst Teil der Akademie der Wissenschaften der DDR. Dort wurde 1958 nach Inbetriebnahme eines Forschungsreaktors mit der Herstellung radioaktiver Stoffe begonnen. Und als Erkennungszeichen für ROssendorfer IsoTOPe entstand das ROTOP-Logo.
Vor diesem Signet auf einer grünen Fläche aus Naturmoos präsentiert der Chef unscheinbare, aber hochwertige Produkte seines Hauses: kleine Fläschchen mit gefriergetrocknetem weißem Pulver, das im Kampf gegen Krebs Leben retten kann. Grundkomponenten eines Radiopharmakons sind der Wirkstoff und die radioaktive Substanz, die – wegen einer Halbwertzeit von wenigen Stunden – erst beim Arzt oder beim Patienten in einem tragbaren bleiernen Generator zusammengeführt werden.
Das dann gespritzte, leicht radioaktive Kontrastmittel docke an die Zellen des zu untersuchenden Organs an und mache sie unter einer speziellen Kamera sichtbar – z. B. zur Diagnostik von Lymphknoten bei Brustkrebs, von Nieren, Herz, Hirn, Schilddrüse oder Knochenmetastasen, erklärt der Unternehmer. „Wenn Sie mit dem Flieger über den Atlantik düsen, bekommen sie mehr Strahlung ab“, gibt er Entwarnung.
„Das ist Wissen, welches wir uns in Jahrzehnten angeeignet haben und das wir auf zwei Produktionslinien in Kits abfüllen – bis zu 5000 Fläschchen in einer Charge“, sagt Junker. Der automatisierte Prozess dauere zwei Tage.

Im vorigen Jahr habe Rotop Anwendungen für fast eine Million Patienten hergestellt. Das mache ihn sehr stolz, so der Sachse. Die Hauptabnehmer säßen in Deutschland, Europa und den USA.
Das noch immer produzierte erste Produkt, das patentierte Radioisotop Mag-3 zur Sichtbarmachung der Nierenfunktion, steht auch für den Neubeginn im Jahr 2000. Mit ihm hatte Gründerin Monika Johannsen diesen Schritt mit zehn Beschäftigten im Radeberger Technologiezentrum gewagt. Davor war Rotop tot. Junker nennt es „eine der tragischen Nachwendegeschichten, als Westkonzerne Ostfirmen nur übernahmen, um Konkurrenz auszuschalten“.
2010 dann der Umzug in einen Neubau beim HZDR, der 2016 um Reinräume und Labore erweitert wurde. Heute hat das Unternehmen drei Geschäftsbereiche: Neben besagten diagnostischen Radiopharmaka werden seit 2020 gebrauchsfertige radioaktive Patientendosen für Diagnosen oder Therapien vorproduziert. Die Fläschchen zur Parkinson-Diagnostik müssen binnen 18 Stunden auch mal in Norditalien sein oder per DHL-Flieger von Leipzig aus in Lissabon, Madrid oder Belfast. Ihr Wert kann in die Tausende Euro gehen.

Neid auf milliardenschwere Förderung der Chipindustrie
Maßgeschneiderte Dienstleistungen in Auftragsentwicklung und -herstellung von Radiopharmaka runden das Portfolio ab. Viele Produkte entstehen in Kooperation mit dem Helmholtz-Institut. So ist die Nachtschicht an dessen Teilchenbeschleuniger Zyklotron für die Produktion von Iod-123 reserviert, dem Ausgangsstoff der Patientendosen.
Der Geschäftsführer lobt die Förderung durch EU- und Landesmittel, die das bisherige Wachstum möglich gemacht hätten – auch über die Mittelständische Beteiligungsgesellschaft Sachsen. „Ohne diese Hilfen wäre Rotop nicht da, wo es heute ist“, sagt der Mann, der zuvor 20 Jahre als Geschäftsführer mehrerer Maschinenbauer im Ausland unterwegs war.
Dennoch ist Junker neidisch auf die milliardenschwere Förderung der Chipindustrie. Er wünscht sich ähnliche Programme für Sprunginnovationen in Schlüsselbranchen wie Krebstherapie und Radiopharmaka. Als er mit dem Biotech-Pionier Wilhelm Zörgiebel 2013 in die GmbH einstieg, hatte die Firma 40 Beschäftigte. Heute erwirtschaften fünfmal so viele Hochqualifizierte aus 15 Nationen gut 30 Millionen Euro Jahresumsatz. Sie kommen unter anderem aus Polen, Indien, Mexiko, Kolumbien, Marokko, Italien, Belarus.
Rotop legt großen Wert auf Ausbildung, hat selbst fünf Lehrlinge und engagiert sich im Nuklid-Netzwerk, einer Abteilung im Biosaxony-Cluster. Dennoch ist Not an Mann und Frau – speziell im Bedienerbereich und in der Qualitätssicherung.

Kein vergleichbares Investment in der Branche
So sehr die Belegschaft auch zusammenrückt, finanziell war es nie eng. „Wir haben immer gutes Geld verdient und selbst in der Corona-Zeit schwarze Zahlen geschrieben“, sagt der Chef. Die Erlöse seien auch in neue Anlagen reinvestiert worden und das Unternehmen jährlich im Schnitt um 15 Prozent gewachsen.
Doch was Rotop jetzt vorhat, ist allein nicht zu stemmen: der Bau von zwei Fabriken für hohe Stückzahlen in der Krebstherapie im benachbarten Gewerbegebiet. Baubeginn soll im nächsten Jahr sein, die Produktion 2028 starten. Langfristig könnte sich die Belegschaft auf 400 Leute verdoppeln. Und die Finanzierung? Der Chef beziffert die Kosten mit dem zweifachen Jahresumsatz. Derzeit gebe es in Europa kein vergleichbares Investment in der Branche, sagt er.
Junker hat sich „lange schwergetan, Kapitalgeber reinzulassen“. „Aber wer in der Weltelite mitspielen will, kommt nicht umhin, Investoren an Bord zu holen“, sagt er. Mit der Botschaft hatte er jüngst beim Dresdner Investorentag auf Schloss Albrechtsberg versucht, anderen Kapitalsuchenden die Angst vor „Heuschrecken“ zu nehmen.
Sächsische Wachstumsunternehmen hätten 2024 fast eine halbe Milliarde Euro eingesammelt, heißt es von der Innovationsplattform Futuresax. „Wir müssen uns vom romantisierenden Weltbild des Unternehmertums verabschieden“, sagt Ulrike Hinrichs, Vorstandssprecherin des Bundesverbands Beteiligungskapital. Es sei „nicht mehr so, dass der Unternehmer reingeht und auch wieder rausgeht“.
Therapeutikum „Made in Dresden-Rossendorf“
Dem Rotop-Boss war wichtig, dass seine Investoren eine deutsche Firmenkultur leben. Daher habe er sich gegen US-Anbieter entschieden, die ab und an mal vorbeischauten. Er wollte strategische Partner wie die Investmentgesellschaften Genui aus Hamburg und SHS in Tübingen sowie den WMS Wachstumsfonds Mittelstand Sachsen in Leipzig. Sie hätten jetzt die Mehrheit – „aber das ist dann so“, sagt der Minderheitsgesellschafter.
Solange er sich fit fühlt, will der dreifache Familienvater weitermachen. Gleichwohl denkt er an die Zukunft der Firma und hat einige Manager eingestellt, welche die Firma mal übernehmen könnten.
Weltweit sind etwa 200 Unternehmen mit Radiopharmaka unterwegs, davon zehn in Europa, drei in Deutschland. Aber Rotop, das im November 25. Geburtstag feiert, sei bundesweit der einzige Anbieter dieser Art von Kontrastmitteln, sagt Junker.
Der Chef prophezeit der therapeutischen Nuklearmedizin eine Blütezeit. Allein in den USA seien zehn Milliarden Dollar in Start-ups investiert worden. Derzeit liefen 600 klinische Studien. Nach deren Erfolg und Zulassung der Arzneimittel brauche es Adressen, die 10.000 bis 20.000 Patientendosen pro Jahr herstellen. „Und das sind wir“, gibt sich der Dresdner, der in Chemnitz studiert hat, zuversichtlich.
Die Chancen stünden gut, dass es in 20 Jahren für viele Krebsarten eine Therapie mit Radiopharmaka gibt, sagt der Experte. Vor allem beim Kampf gegen Prostatakrebs tue sich was, aber auch beim Blasen-, Lungen- und Bauchspeicheldrüsenkrebs. Er spricht von goldenen Aussichten für Patienten – und für beteiligte Firmen. Der Unternehmer träumt von einem Therapeutikum, auf dem „Made in Dresden-Rossendorf“ steht und mit dem pro Jahr mehr als 100.000 Patienten versorgt werden. In zehn Jahren könnte es so weit sein.

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