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So viele Streiks wie noch nie in Sachsen

Sachsen liegt bei der Zahl der Arbeitskämpfe im Osten an der Spitze und bundesweit im ersten Drittel. Der DGB-Landeschef spricht von mehr "Traute".

Lesedauer: 2 Minuten

Man sieht eine Warnweste von Verdi.
DGB-Gewerkschaften wie Verdi tragen die Hauptlast der Streiks. Für bundesweites Aufsehen sorgen aber auch ihre Konkurrenten wie die Lokführergewerkschaft GDL. © dpa

Von Michael Rothe

Dresden. In Deutschland und speziell in Sachsen wächst die Streikbereitschaft. Mit bundesweit 312 Arbeitskämpfen gab es im vergangenen Jahr einen neuen Rekord. Das geht aus einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hervor, das solche Konflikte seit 2006 registriert.

Neben überregionalen Arbeitskämpfen bei der Bahn, der Post, an Flughäfen, im öffentlichen Dienst oder im Einzelhandel, weist das Institut 20 Aktionen nur in Sachsen aus – Arbeitsniederlegungen von mindestens einem Tag, meist aber länger. Die Auseinandersetzungen standen im Zeichen hoher Inflation und damit verbundenem Reallohnverlust. Die Folge: vielfach zweistellige Lohnforderungen. Zudem hat die Arbeitsmarktlage die Verhandlungsposition der Beschäftigten verbessert.

„Die Sachsen trauen sich was und das ist gut“, kommentiert DGB-Landeschef Markus Schlimbach die Statistik. „Mehr Tarifverträge, höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen fallen nicht vom Himmel, sondern müssen von den Beschäftigten mit den Gewerkschaften erkämpft werden“, sagt er. Angesichts niedriger Löhne und stark gestiegener Preise sei es wichtig gewesen, derart in die Offensive zu gehen.

In Sachsen wird anteilig mehr gestreikt als im Westen

Sachsen rangiert bei der Zahl der Arbeitskämpfe im Osten an der Spitze und bundesweit im ersten Drittel. Schlimbach kennt die Ursachen: „Die geringe Tarifbindung, der Lohnrückstand zum Westen und die Unwilligkeit vieler Arbeitgeber Tarifverträge abzuschließen, führen zu mehr Häuserkämpfen“, sagt der Gewerkschafter.

„Gemessen am Anteil der Beschäftigten wird in Sachsen sogar mehr gestreikt als im Westen“, sagt Thorsten Schulten, einer der WSI-Autoren auf Anfrage von Saechsische.de. „Das Ost-Image vom braven Arbeitnehmer stimmt längst nicht mehr“, so der Wissenschaftler.

Trotz der bundesweiten Zunahme um 87 Streiks blieb die Zahl der insgesamt Teilnehmenden mit geschätzt 857.000 und der rechnerisch mehr als 1,5 Millionen Ausfalltage unter dem Höchststand von 2015. Dass Deutschland 2023 und auch im ersten Halbjahr 2024 von Teilen der Öffentlichkeit gleichwohl als „Streikrepublik“ wahrgenommen wurde, liege vor allem daran, dass die Auswirkungen mehrerer Arbeitskämpfe unmittelbar im Alltag vieler Menschen zu spüren waren, wie die Auseinandersetzungen im öffentlichen Dienst, im Nahverkehr, an den Flughäfen und bei Post und Bahn, heißt es vom WSI.

Deutschland bei Streiks nur im unteren Mittelfeld

Wie konfliktreich eine Tarifauseinandersetzung ablaufe, hänge aber „mindestens ebenso von der Entschlossenheit und Kompromissbereitschaft der Arbeitgeberseite“ ab. Die Haltung von Arbeitgebern habe 2023 und in der ersten Jahreshälfte 2024 stellenweise erheblich zur Eskalation beigetragen. Der Report nennt explizit den Arbeitskampf bei der Schrott- und Recyclingfirma SRW Metalfloat in Espenhain bei Leipzig. Dort war der Kampf zur Durchsetzung eines Tarifvertrags nach 180 Tagen Streik und nachfolgender Aussperrung im Frühjahr erfolglos abgebrochen worden.

Auch 2024 dürfte ein arbeitskampfintensives Jahr werden, so die Prognosen. Zuletzt gab es in der Chemieindustrie, in der Druckbranche und im Bankensektor Warnstreiks – aber letztlich Tarifabschlüsse. Und bei der City-Bahn in Chemnitz wird nach 15 Streikrunden wieder über einen Einstieg in die 35-Stundenwoche verhandelt. Viel wird von der Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie im Herbst abhängen. Dort fordert die IG Metall für die rund 3,9 Millionen Beschäftigten ein Lohnplus von sieben Prozent, was die Arbeitgeber – prompt und wie immer – als unerfüllbar zurückgewiesen haben.

Im internationalen Vergleich liegt Deutschland aber nur im unteren Mittelfeld. In Ländern wie Frankreich oder Finnland ist das Streikvolumen um ein Vielfaches höher. Laut WSI fielen im mehrjährigen Mittel in Belgien 103 Arbeitstage pro 1.000 Beschäftigte aus, in Kanada 83, in Dänemark 53. In Deutschland waren es 18.

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