Von Constanze Knappe
Hat die Lausitz Frauen-Power? Für Dorit Baumeister ist das gar keine Frage. Die Referatsleiterin für Bau und Stadtplanung in Weißwasser ist mit ihrer Quirligkeit und Kreativität selbst eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Frauen sich in den Strukturwandel einbringen. Mit ihrem Team bearbeitet sie nicht nur die alltäglichen Dinge wie Schlaglöcher, sondern eben auch die Großprojekte im Strukturwandel wie den Bahnhof, wo am Freitag voriger Woche der Startschuss für Umbau und Sanierung fiel, oder die ehemalige Glasfachschule, die mit Kohleausstiegsgeld zu einem attraktiven Bildungsstandort werden soll.
Dorit Baumeister ist eines der Gesichter einer großangelegten Kampagne des Freistaates Sachsen zum Strukturwandel. Mit „Hier wird was“ sind nach Aussage von Regionalentwicklungsminister Thomas Schmidt (CDU) gleich drei Botschaften verknüpft: Man wolle zeigen, dass in der Lausitz etwas entsteht, dass sich die Menschen selbst einbringen können und dass der Freistaat sie dabei unterstützt. Die Kampagne sei nötig, weil es noch immer viele falsche Klischees und Vorurteile über die Lausitz gibt, dem wolle und müsse man entgegenwirken, so der Staatsminister.

Großplakate an 62 Orten
Gestern stellte er in der Tourist-Information Boxberg die Kampagne vor. Seit voriger Woche hängen Großplakate an 62 Standorten, darunter vier in Weißwasser, acht in Hoyerswerda, aber auch in Bautzen, Görlitz, Kamenz, Zittau und in weiteren Orten. Sie sollen zum Nachdenken anregen, zum Mitmachen animieren und zeigen, dass es endlich losgeht.
Er könne nachvollziehen, dass mancher am Strukturwandel zweifelt, weil nach außen bislang recht wenig sichtbar ist, so Thomas Schmidt. Das liege auch daran, dass die Arbeit der sogenannten Kohle-Kommission schon eine Weile zurückliegt und der Gesetzgebungsprozess ebenfalls länger dauerte. So richtig gestartet sei man deshalb erst vor zweieinhalb Jahren. Mittlerweile sind 76 Projekte mit einem Finanzvolumen von 408 Millionen Euro bewilligt. „Der Strukturwandel ist kein Vorhaben der Zukunft. Wir sind längst mittendrin“, betonte Schmidt. Absichtserklärungen und Planungen seien ja schlecht sichtbar zu machen, doch inzwischen würden die ersten Projekte in die Umsetzung gehen.
Fünf Gesichter für die Kampagne
Für die Kampagne wurden fünf Protagonisten ausgewählt. Neben Dorit Baumeister in Weißwasser ist das Ines Hofmann vom Städtischen Klinikum Görlitz. Mit Blick auf den neuen OP-Roboter beantwortet sie die Frage, ob Know-How und die Lausitz zusammenpassen, mit „Das ist mal sicher“. Oder der Bernsdorfer Bürgermeister Harry Habel, der sich mit seiner Verwaltung stark für die Erweiterung des Industrieparks Strassgräbchen und Ansiedlung eines österreichischen Unternehmens engagiert. 500 Jobs sind in Aussicht. Die Frage, ob es was bringt, die Lausitz zu wandeln, stellt sich für ihn nicht. Oder der Erzieher René Büttner aus der Kita in Ralbitz-Rosenthal. Mehr Platz für Kinder bietet Familien Perspektiven. Wo er herkommt, laufen die jungen Leute der Lausitz jedenfalls nicht weg. Über den auf jedem Plakat aufgedruckten QR-Code gelangt man zu einem Video, in dem die Person zu dem Gesicht das jeweilige Projekt genauer vorstellt.
Als „wichtigste Ressource“ im Strukturwandel sieht Thomas Schmidt „die kreativen Köpfe, die hier etwas bewegen wollen“. Der Strukturwandel sei eben nicht von oben aufgesetzt. Und genau das will die Kampagne „Hier wird was“ vermitteln. Die Großplakate seien aber nur der Anfang. Mit Online-Werbung und auf Social-Media-Kanälen geht sie weiter. 100.000 Euro lässt sich der Freistaat das kosten – finanziert aus dem Haushalt des Sächsischen Staatsministeriums für Regionalentwicklung. 2024 sollen neue Gesichter zu sehen und immer die Protagonisten mit konkreten Projekten verknüpft sein.
Die Kampagne „Hier wird was“ richtet sich nach innen. Sie soll die Menschen in der Region motivieren. Eines wollte der Staatsminister an der Stelle noch loswerden: Es ärgere ihn das Vorurteil von einem geschlechterspezifischen Strukturwandel. Viele Frauen würden sich stark für die Umgestaltung der Lausitz engagieren. Und auch die bewilligten Projekte bringen keineswegs nur Jobs für Männer.Auf „Hier wird was“ aufbauend plant die Sächsische Agentur für Strukturentwicklung (SAS) eine größere Kampagne, die nach außen wirkt. Etwa mit Plakaten in Berlin und anderswo soll dafür geworben werden, in die Lausitz zu gehen, weil in der einstigen Kohleregion Zukunft entsteht.
Mit „grünem“ Carbon in die Zukunft
Ob in der Lausitz was ohne Kohle läuft? Da muss Dr.-Ing. Mario Naumann nicht lange überlegen. „Wir arbeiten daran“, ist seine Antwort. Und das darf man durchaus wörtlich nehmen. Denn der wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Strukturleichtbau der TU Chemnitz ist ein Gesicht der Kampagne, weil er als Projektleiter der „CarbonLabFactorySachsen“ mit seinen Mitstreitern quasi Himmel und Hölle in Bewegung setzt, um eine Pilotanlage zur Produktion von sogenanntem „grünen Carbon“ in Boxberg zu errichten.

Im September 2020 hatten Staatsminister Thomas Schmidt, Leag-Vorstand Hubertus Altmann, Professor Dr. Lothar Kroll als Direktor des Instituts für Strukturleichtbau der TU Chemnitz und Vertreter der Fraunhofer Gesellschaft eine Absichtserklärung in Boxberg unterzeichnet, bis 2026 an diesem Standort eine solche Anlage zu bauen. Bund und Freistaat geben dafür insgesamt 62 Millionen Euro. Wie gestern zu vernehmen war, sei man kurz davor, die Gelder bereitzustellen – etwa je zur Hälfte an die TU Chemnitz und an den Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB) als Projektträger. Damit gehe das Vorhaben als „erstes Projekt aus dem Landesarm“ in die Umsetzungsphase, betonte Schmidt.„Wenn alle bewegten Teile in Deutschland nur zehn Prozent leichter wären, könnten 100 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden“, hatte Prof. Dr. Lothar Kroll in jenem September vor drei Jahren in Boxberg erklärt. Gestern betonte er abermals, dass der Leichtbau „ein Schlüssel für den Klimaschutz“ sei, weil mit Carbonfasern 80 Prozent Gewicht eingespart werden könnten. Und das in allen Bereichen, etwa bei Autos, Flugzeugen, Maschinen, Windkraftanlagen oder Tennisschlägern. Ebenso könnten mit Carbonfasern Stahlträger in Betonbauteilen ersetzt werden, was Energie und Kosten spart. Carbon ist extrem reißfest, steif, leicht und recyclebar. Und durch die Verwendung nachwachsender Rohstoffe wie Cellulose und Algen wird er „grün“ und damit ein Werkstoff der Zukunft, so Prof. Kroll. Noch sei Carbon zu teuer, um andere Werkstoffe zu ersetzen. Aber auch daran werde geforscht.
Hier sollen 150 Mitarbeiter forschen
In Boxberg soll eine Anlage für angewandte Forschung entstehen und drumherum Produktionslinien für Leichtbaustoffe. Vergleichbares gebe es bislang nur in den USA und Australien. Somit hätte die Anlage in Boxberg ein europaweites Alleinstellungsmerkmal. Nach Aussage von Kroll könnten in der Forschung mal bis zu 150 Mitarbeiter beschäftigt sein, in der begleitenden Industrie drei- bis viermal so viele.Gebaut werden soll die Anlage im Gewerbegebiet des Ortsteils Kringelsdorf. Für den ursprünglich gedachten Platz am Kraftwerk Boxberg bräuchte es erst eine Bauleitplanung, die bis 2026 aber nicht zu schaffen sei, so Bürgermeister Hendryk Balko (WV Boxberg). Auf dem nun favorisierten kommunalen Grundstück befanden sich einst Tagesanlagen des Tagebaus Reichwalde. Balko freut sich, dass „gerade dort eine einzigartige Infrastruktur für Forschung und Entwicklung entsteht“. Das sei nur folgerichtig für eine Gemeinde mit zwei Tagebauen und einem Kraftwerk, sagte er. Die Gemeinde werde jedenfalls alles dafür tun, dass es dazu kommt.