Von Ulrich Milde
Markleeberg. Es hat offenbar Heilkraft. Das in Deutschland eingeführte E-Rezept dürfte wie ein Wachstumsbeschleuniger vor allem für die Online-Apotheken wirken. „Uns stehen gute Zeiten bevor“, versprüht Oliver Scheel, Chef der apo.com Group in Markkleeberg, Zuversicht. Erste Erfahrungen geben ihm recht. Seine Gruppe hatte Ende Oktober vorigen Jahres einen für die einfache Einlösung dieser elektronischen Verschreibungen erforderlichen Launch der Apps ihrer Marken wie apo.com und apodiscounter hingelegt. Prompt schoss der Umsatz im Rezeptgeschäft um gut 50 Prozent nach oben und beschleunigte sich zu Beginn dieses Jahres auf mehr als 70 Prozent. „Diese Dynamik bestätigt das große Potenzial des E-Rezeptes“, meint Scheel.
Allerdings ist das Ausgangsniveau bei allen Online-Anbietern von Medikamenten beim E-Rezept noch gering. Denn das hatte einen holprigen Start mit wiederkehrenden Systemausfällen. Zudem lösen die meisten Patienten ihr Rezept weiterhin in ihrer gewohnten Apotheke vor Ort ein. Auch haben diese Pharmahändler ihre eigene Abrechnungssoftware nicht für die Internet-Konkurrenten geöffnet. Scheel spricht von einer „scharfen Gegenwehr“.
Der gebürtige Hamburger hat für seine Firma daher notgedrungen ein eigenes Rechenzentrum mit der erforderlichen Software aufgebaut. „So können wir die Rezepte selber bei den Krankenkassen einreichen“, sagt Scheel, der vor vier Jahren auf den Chefsessel des sächsischen Unternehmens rückte und zuvor Stationen unter anderem als Vorstandschef des Medizintechnikherstellers Otto Bock in Duderstadt absolviert hatte.
Der Markt für verschreibungspflichtige Medikamente hat in der Bundesrepublik ein Jahresvolumen von 65 Milliarden Euro. Davon haben die Online-Händler bislang weniger als ein Prozent für sich verbucht. Prognosen besagen allerdings, dass dieser Anteil in absehbarer Zeit auf zehn Prozent klettern wird.
Um vom erhofften Boom zu profitieren, haben die Sachsen, die sich hinter Doc Morris und der Shop-Apotheke auf Platz drei sehen, massiv und mithilfe von künstlicher Intelligenz in die Logistikprozesse der Lager in Markkleeberg und im niederländischen Duiven investiert. „Das ermöglicht eine effiziente Abwicklung der steigenden E-Rezept-Bestellungen und verbessert unsere Kostenstruktur“, sagt Scheel. Er räumt ein, dass dieser Trend eine bittere Pille für die Apotheke vor Ort sein dürfte.
Hoher Kostendruck, sinkende Margen
Deren Zahl geht seit Jahren zurück; sie sank in Sachsen von 996 im Jahr 2013 auf derzeit knapp unter 900. Bundesweit sind es 17 300 stationäre Apotheken, 1400 weniger als 2021. Unter anderem fällt es den Inhabern immer schwerer, Nachfolger zu finden. Der Kostendruck ist hoch, die Margen gehen zurück, der Mangel an Fachkräften steigt dagegen, in so manchem ländlichen Raum fehlt es an ausreichender Nachfrage. Acht Prozent dieser Betriebe im Freistaat arbeiteten defizitär, heißt es beim Sächsischen Apothekerverband.
„Sie müssen sich um ihre Kunden und ihre Wettbewerbsfähigkeit kümmern, dann bleiben sie auch“, diagnostiziert Scheel. Online-Apotheken entlasten seiner Auffassung nach durch niedrigere Betriebskosten die Krankenkassen. Noch wichtiger für ihn: „Wir sind bereits heute ein unverzichtbarer Bestandteil der Arzneimittelversorgung in Deutschland“, returniert der passionierte Tennisspieler. „Wir haben an 365 Tagen im Jahr jeweils 24 Stunden geöffnet.“ Den Kunden werde der Weg zum Einlösen des Rezepts erspart. Gleichwohl würden die herkömmlichen Apotheken weiterhin benötigt – auch, um in akuten Fällen sofort die Medizin zur Verfügung zu stellen.
Dem Argument, die stationäre Apotheke punkte mit der Beratung, widerspricht Scheel nicht. Er verweist aber darauf, dass sein Unternehmen dieses per Telefon und Video offeriert. Dank dieses ,,geballten pharmazeutischen Wissens können wir unseren Kunden mehr anbieten als die stationären Apotheken.“ Mittelfristig plant er, dass auch Online-Beratungen mit einem Arzt über seine Gruppe gebucht werden können. Der Markt für Gesundheitswesen verändere sich.
Auch Eigenmarken sind im Lager
Die Leipziger Apothekerfamilie Kirsten und Michael Fritsch gründete 2003 die Marke apodiscounter und verschickte aus der stationären Apotheke heraus täglich 50 Pakete. Später wurde der Online-Betrieb nach Markkleeberg verlagert. 2010 kauften erstmalig mehr als eine Million Kunden pro Jahr ein. Vor vier Jahren rückte der promovierte Biochemiker Oliver Scheel als Nachfolger von Michael Fritzsch an die Spitze, gleichzeitig erfolgte die Namensänderung in apo.com Group. Im vorigen Jahr steigerte die Gruppe den Umsatz auf 342 Millionen Euro. Das Plus von 17 Prozent übertraf das Marktwachstum von elf Prozent. 75 000 verschiedene Produkte einschließlich mehrerer Eigenmarken sind im Lager, darunter 25 000 verschreibungspflichtige Arzneimittel. Auf den Gehaltslisten stehen 420 Beschäftigte, darunter 300 in Markkleeberg.
Das E-Rezept wird nach Scheels Prognose mittelfristig einen Umsatzanteil von 40 bis 50 Prozent erreichen. Bislang setzte der Händler online in erster Linie freiverkäufliche Medikamente, Pflege- und Nahrungsmittelergänzungsprodukte ab. Bei den ohne Rezept erhältlichen Arzneimitteln kommen die Rand-Leipziger in Deutschland auf einen Marktanteil von 10 Prozent. Laut einer Erhebung des Statistischen Landesamtes in Sachsen kauften bereits 14 Prozent aller 16- bis 74-Jährigen im Jahr 2023 online Arznei, Pflege- und Nahrungsergänzungsmittel – Tendenz steigend.