Potsdam/Dresden. In Sachsen beginnt das bisher größte Geologie-Experiment. Hunderte Sensoren sollen dabei in den Untergrund schauen und dort bislang rätselhafte Vorgänge erkunden.
Tausende Erdstöße durchziehen das Vogtland immer wieder. Nur wenige dieser Erdbeben sind auch zu spüren. Seit Jahrhunderten gibt es dort im sächsisch-tschechischen Grenzgebiet diese sogenannten Schwarmbeben. Diese sind mal mehr, mal weniger aktiv. Und auch deren Erdbebenherd verändert sich immer wieder, bleibt aber in der Vogtland-Böhmen-Region. Zu den Ursachen dieser rätselhaften Schwarmbeben wird bisher nur spekuliert. Gesichertes Wissen dazu gibt es nicht. Das soll sich nun ändern.
In Sachsen und Tschechien beginnt jetzt ein internationales Großprojekt. Das Vogtland wird durchleuchtet. 300 seismische Messstellen werden dafür errichtet. Sie sollen über 12 bis 18 Monate hinweg sämtliche Daten aus dem Untergrund sammeln. Sie nehmen selbst kleinste Erschütterungen wahr, die sonst nicht spürbar sind. Die Herkunft, die Ausbreitung und die Eigenschaften dieser mysteriösen Erdbebenschwärme sollen dabei lückenlos erfasst werden.
Das Vogtland wird durchleuchtet
Geleitet wird dieses Großprojekt vom Helmholtz-Zentrum für Geoforschung (GFZ) in Potsdam. Daran beteiligt sind aber unter anderem auch die Universitäten von Leipzig, Freiberg und Jena sowie der Geologische Dienst in Sachsen und die Akademie der Wissenschaften in Prag.
Dieses ungewöhnliche Phänomen der Schwarmbeben liegt weit entfernt von tektonischen Plattengrenzen, wo Beben normal wären. Auch gibt es keine aktiven Vulkansysteme in der Umgebung.

Quelle: dpa-Zentralbild
Schwarmbeben treten oft über einen längeren Zeitraum auf. Sie können Tage anhalten, mitunter aber dauert so eine Aktivität auch mehrere Wochen oder Monate. Dies sind im Prinzip dann Tausende kleine Mikrobeben, ohne dass es zu einem starken Hauptbeben kommt. Dennoch können die stärksten dieser kleinen Beben auch gespürt werden.
Wir erwarten, dass wir mit den vielen Stationen kleinste Erdbebenschwärme detektieren und untersuchen können, die uns sonst verborgen bleiben. – Pinar Büyükakpinar, GFZ-Wissenschaftlerin
2024 trat der letzte größere Schwarm in der Nähe der Stadt Klingenthal auf und aktivierte eine Zone, die bereits vor 125 Jahren schon einmal aktiv war, aber seitdem als ruhig galt. Vor 125 Jahren entstand bereits der Begriff „Erdbebenschwarm“ und existiert seither so in der Wissenschaft.
Die Ursache des Phänomens ist bis heute noch nicht verstanden. Die Wissenschaft geht davon aus, dass diese Erdbebenschwärme von magmatischer Aktivität tief in der unteren Erdkruste und im Erdmantel ausgelöst werden.
Flüssiges Magma unter Sachsen
„Wir erwarten, dass wir mit den vielen Stationen kleinste Erdbebenschwärme detektieren und untersuchen können, die uns sonst verborgen bleiben“, sagt Pinar Büyükakpinar vom GFZ. Sie ist die wissenschaftliche Koordinatorin des Großexperiments und hatte auch die Studie zum jüngsten Erdbebenschwarm, dem Klingenthal-Schwarm von 2024, geleitet.
Erstmals überhaupt kann nun die Wissenschaft flächendeckend nach sogenannten niederfrequenten Tieferdbeben suchen. Solche wurden erst kürzlich in den Vulkangebieten der Eifel und dem Zentralmassivs in Frankreich entdeckt. Das könnte die Frage beantworten, ob unter dem Vogtland magmatische Schmelzen, also glutheißes flüssiges Gestein, auch heute noch in die Erdkruste bis zu einer Tiefe von etwa zehn Kilometern heraufsteigt, sagt die GFZ-Wissenschaftlerin.
Während solcher Schwarmbeben strömt an der Oberfläche verstärkt natürliches Kohlendioxid (CO₂) an Mineralquellen und sogenannten Mofetten aus. Das sind geologische Erscheinungen, an denen das kalte CO₂ mitunter auch mit Anteilen von Schwefelwasserstoffen aus der Erde austritt. Das CO₂ entstammt dem oberen Erdmantel aus mehr als 30 Kilometer Tiefe. Das Vogtland und auch Nordwestböhmen sind für ihre vielen Thermalquellen und Bäder bekannt. Eine der bekanntesten Mofetten in Deutschland ist die von Bad Brambach im Vogtland. Dort wird das CO₂ für therapeutische Zwecke in Form von CO₂-Bädern und als Heilquellen genutzt.
SZ


