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Waggonbauer haben Mut zum Feiern

Trotz schwieriger Zeiten: Waggonbau-Chef Liebig und die Belegschaft laden am Sonnabend zum 170. Geburtstag ein.

Lesedauer: 3 Minuten

Ein Leben lang Waggonbau. Das ist Carsten Liebig. Schon als Kind hat der Görlitzer, der aktuell die Geschicke bei Bombardier leitet, weil es keinen General Manager vor Ort gibt, den Waggonbau kennengelernt. Sein Vater war damals in der Führungsetage, der Sohn durfte immer mal mit.

Seit inzwischen 46 Jahren gehört er richtig dazu, machte seine ersten Arbeitsschritte im Werk nach dem Abitur, kehrte nach Grundwehrdienst und Studium hierher zurück. Heute ist sein eigener Sohn ebenfalls mit im Werk.

Dass da das ganze Herzblut am Waggonbau hängt, braucht Liebig eigentlich gar nicht mehr zu betonen. Tut er aber trotzdem. Er sei eng mit dem Unternehmen verbunden und felsenfest davon überzeugt, dass es gemeinsam gelingen werde, das Bombardier Werk in eine gesicherte Zukunft zu führen. In der langen Geschichte des Waggonbaus hat es – gleich einer Sinuskurve – Auf´s und Ab´s gegeben. Seit Christoph Lüders 1849 im Auftrag der Stadt mit der Entwicklung von Schienenfahrzeugen begann, war das so. Die Gründungsurkunde hängt noch heute im Direktorenbüro. Mit Stolz in der Stimme sagt Carsten Liebig noch einmal, dass der Waggonbau Görlitz der älteste deutsche Schienenfahrzeugbetrieb sei. „Der Waggonbau hat zwei Weltkriege überstanden, sich immer wieder aufgerappelt. Und relativ nahtlos die politische Wende 1989 vollzogen“, sagt Liebig. All das gehöre genauso zur Werksgeschichte wie die momentan herausfordernde Situation. „Deshalb feiern wir 170 Jahre Waggonbau“, sagt Liebig.

Frust der Belegschaft ist noch groß

Alle Mitarbeiter dürfen am Sonnabendfrüh mit ihren Familien ins Werk kommen. Dann, wenn auch geladene Gäste aus Politik und Wirtschaft da sind. Bombardier-Deutschlandchef Michael Fohrer hat sich angekündigt, ebenso Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und Wirtschaftsminister Martin Dulig. Der war jüngst schon einmal da. Am 10. Mai mischte er sich unter die Belegschaft, absolvierte in der Montagehalle eine komplette Schicht.

Das kam bei der Belegschaft gut an, sie nutzten die Gelegenheit, um Tacheles zu reden. Er gewann im Gegenzug Einblicke, die es bei einem für Politiker sonst typischen Blitz-Rundgang nicht gegeben hätte. Hinterher bescheinigte er Carsten Liebig, dass hier wirklich Spitzenkräfte mit großer Erfahrung und Können am Werk seien. Eine solche Beurteilung ist für die Belegschaft in ungewissen Zeiten wie diesen Balsam. Das Image des Görlitzer Werkes hat durch die Bombardier-Krise gelitten. In den letzten Jahren bestimmten Ankündigungen von Werksschließungen und drohendem Stellenabbau, Auslieferungsschwierigkeiten, fehlende Aufträge und Investitionsstau die Schlagzeilen.

Wichtig ist es, die Motivation bei den Mitarbeitern hochzuhalten, räumt Carsten Liebig ein. Betriebsratschef René Straube unterstreicht das. Es herrsche nach wie vor großer Frust in der Belegschaft. Görlitz sei ja keine Insel und natürlich bekomme man ganz genau mit, wie in Bautzen zugesagte Investitionen konsequent umgesetzt werden, wie das Werk gefeiert wird, während Görlitz auf der Stelle tritt. Auch hier sind Investitionen, die so dringend nötig sind, im sogenannten Restrukturierungsplan festgelegt. Allein, es passiert nichts. „Es wurde ein paar Mal verschoben, aus verschiedenen Gründen. Da sind wir als Betriebsrat auch mitgegangen“, sagt Straube. Aber es werde nichts vorangetrieben.

Trotzdem sagt Straube, hat Görlitz sich alles andere als aufgegeben. „Die Grundhaltung der Kollegen ist nach wie vor, dass wir alle gern Waggonbauer sind, dass wir unseren Job am liebsten und mit hoher Kompetenz und Qualifikation ausführen.“ Der Betriebsrat will alles dafür tun, damit Kündigungsschutz und Standortsicherheit verlängert werden. Und damit die Grundlagen für die Neuausrichtung und Spezialisierung als Rohbau-Standort schaffen.

Aussagen in diese Richtung erwarten am Sonnabend nicht nur Belegschaft und Betriebsrat. Carsten Liebig freut sich, dass mit dem Besuch des sächsischen Ministerpräsidenten und der deutschen Bombardier-Geschäftsführung die hohe Bedeutung des Görlitzer Standortes gewürdigt wird, besonders im Hinblick auf die 1 200 Mitarbeiter und ihre Familien, die den Rednern zuhören werden.

Jemand Neues einarbeiten

Liebig selbst wird am 1. Juni noch einmal das Büro wechseln. War er bislang für die Finanzen zuständig, geht er jetzt in den operativen Bereich. Dabei wird er auch den General Manager unterstützen. Carsten Liebig kennt das Werk auf Grund seiner 46-jährigen Betriebserfahrung in- und auswendig und hat ähnliche Aufgaben schon oft ausgeübt.

Er ist 64 Jahre alt und hat das Ende seiner Zeit beim Waggonbau im Blick. Gern würde er vor seinem Abschied noch jemand Neues einarbeiten. Am liebsten einen aus dem Werk, einen von hier.

 

Von Daniela Pfeiffer

Foto: © Nikolai Schmidt

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