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Warum Wasserstoff in der Krise steckt – und was das für die Region Leipzig bedeutet

Insolvenz bei HH2E, Rückzug bei EnviaM - was sind die Probleme in Mitteldeutschland? Und was wird aus Projekten wie dem nachhaltigen Fliegen am Airport? Was hinter der Krise steckt - und wie es jetzt weitergeht.

Lesedauer: 5 Minuten

Andreas Dunte und Florian Reinke

Leipzig. In der Wasserstoffbranche ist Ernüchterung eingekehrt. EnviaM steigt aus einem Großprojekt aus, das Unternehmen HH2E meldet Insolvenz an – und damit steht fest: Wichtige Wasserstoffprojekte in Mitteldeutschland werden durch harte Rückschläge zurückgeworfen. Dabei ist es nicht lange her, als es einen regelrechten Hype um den Energieträger gab. Findet dieser nun ein jähes Ende? Ein Überblick.

Die wichtigsten Fragen auf einen Blick

Warum ist Wasserstoff überhaupt wichtig?

Grüner Wasserstoff wird durch Elektrolyse mit Strom aus erneuerbaren Energien und Wasser hergestellt. Er gilt deshalb als wesentlicher Bestandteil der Energiewende, da er überschüssige Energie aus Wind- und Solaranlagen speichern und bei Bedarf wieder freisetzen kann. Zudem kann er Bereiche dekarbonisieren, in denen das mit Elektrifizierung kaum zu erreichen ist. Die Einsatzgebiete sind vielfältig, etwa in der Stahl- und Chemieindustrie oder im Schwerlast- und Luftverkehr. Außer grünem gibt es auch noch grauen Wasserstoff: Er wird aus Erdgas gewonnen, wobei CO₂-Emissionen entstehen. Ähnlich ist es beim blauen Wasserstoff, wobei das entstehende CO₂ abgeschieden und unterirdisch gespeichert wird (CCS-Technologie).

Welche Pläne verfolgt die Politik mit grünem H2?

Die frühere Ampelkoalition hatte den Ausbau von Wasserstoffprojekten stark vorangetrieben. Auch sollten H2-ready-Kraftwerke perspektivisch verpflichtend auf Wasserstoff umgestellt werden. Die schwarz-rote Koalition hat Wasserstoff zwar ebenfalls in ihre Pläne aufgenommen, allerdings setzt sie verstärkt auf CCS und will alle Wasserstoff-Arten nutzen, nicht nur grünen Wasserstoff.

Sieht eine Zukunft für Wasserstoff: Peter Reitz, Chef der Leipziger Strombörse EEX
Sieht eine Zukunft für Wasserstoff: Peter Reitz, Chef der Leipziger Strombörse EEX
Quelle: EEX

Ist die Euphorie um grünen Wasserstoff vorbei?

Der erste Hype sei tatsächlich vorbei, sagt der Chef der Leipziger Strombörse EEX, Peter Reitz. Doch ungeachtet aller Rückschläge ist er überzeugt: Wasserstoff hat eine Zukunft. Denn der Aufbau des Wasserstoffmarktes gehe weiter. „Das Kernnetz wird weiter ausgebaut. Auch Elektrolyseure werden gebaut, wenn auch weniger als einige gedacht haben.“

Zuletzt hat sich gezeigt: Viele Projekte haben Schwierigkeiten, die Produktionskosten mit der Zahlungsbereitschaft potenzieller Kunden in Einklang zu bringen, wie aus einer Studie hervorgeht, die der größte deutsche Energieversorger Eon in Essen in Auftrag gegeben hat. Eon selbst hat Konsequenzen aus der schleppenden Marktentwicklung gezogen und Projekte „depriorisiert“. Das trifft auch auf die mitteldeutsche Tochter EnviaM zu. Der größte ostdeutsche Versorger verabschiedet sich aus dem Projekt „Green Bridge“.

Welche Rolle spielte EnviaM bei „Green Bridge“?

EnviaM hatte bei dem Projekt die Rolle eines Koordinators inne, war mit den Töchtern Mitnetz Gas und Envia Therm sozusagen der wichtige Infrastrukturpartner und künftige Erzeuger. Unter anderem wollte EnviaM Unternehmen wie BMW, Porsche oder DHL mit grünem Wasserstoff versorgen. Wobei man das bestehende Erdgasnetz umwidmen beziehungsweise neue Leitungen bauen wollte. Zudem sollten auch Elektrolyseure errichtet werden, einer von EnviaM selbst. Auch dieses Vorhaben verfolgt das Unternehmen nicht weiter. Der Grund, so eine Sprecherin, „liegt in Überlegungen zur Wirtschaftlichkeit des Projekts.“

Das alte Kraftwerk Thierbach gibt es nicht mehr. Hier sollte als Nachfolger eigentlich das Wasserstoff-Werk des Unternehmens HH2E entstehen.
Das alte Kraftwerk Thierbach gibt es nicht mehr. Hier sollte als Nachfolger eigentlich das Wasserstoff-Werk des Unternehmens HH2E entstehen.
Quelle: Jens Paul Taubert

Wo verzeichnet Mitteldeutschland noch Rückschläge beim Wasserstoff?

Hier ist die Insolvenz des einstigen Hamburger Start-ups HH2E zu nennen. In Thierbach bei Borna wollte das Unternehmen eine Anlage zur Produktion von grünem Wasserstoff errichten. Jörn-Heinrich Tobaben, Vorstand des Wasserstoffnetzwerk Hypos, sah in diesem Projekt eine Riesenhoffnung: „Nicht zuletzt, weil es gelebter Strukturwandel war und ein potenzieller Anschluss ans Wasserstoffkernnetz bestanden hätte.“

Sind die Projekte nun Geschichte?

Nicht unbedingt. Nach Informationen dieser Zeitung sucht der HH2E-Insolvenzverwalter für das Projekt in Thierbach einen potenziellen Investor. Die Hoffnungen in der Region sind weiter groß. Bei Green Bridge, so heißt es, könnte statt EnviaM der Ferngasleitungsbauer Ontras einspringen und eine Pipeline vom Wasserstoffkernnetz zu BMW bauen. Verhandlungen diesbezüglich laufen, sind aber noch nicht abgeschlossen. Aus diesem Grund äußern sich die Unternehmen nicht öffentlich.

Hält Ontras am Vorhaben fest, einen Teil des Wasserstoff-Kernnetzes zu bauen?

Ja, die Tochter des Leipziger Gashändlers VNG will nach eigenen Angaben zu „einer funktionierenden H2-Wirtschaft in Ost- und Mitteldeutschland“ beitragen und hat dafür eine verbindliche Investitionsentscheidung getroffen. Rund 9000 Kilometer ist das Kernnetz lang, 600 Kilometer Leitungen werden durch Ontras auf die Durchleitung von Wasserstoff umgerüstet oder neu gebaut. Das Ontras-Netz verbindet etwa die Leipziger Region mit dem mitteldeutsche Chemiedreieck, dem Industriebogen Dresden-Meißen, dem Großraum Berlin und mit der Stahlregion Salzgitter. „Trotz der offensichtlichen Herausforderungen sind wir fest überzeugt von der Rolle, die Wasserstoff in der Energiewende einnehmen wird, und leisten unseren Beitrag zu einem erfolgreichen Hochlauf“, so Ontras-Sprecher Sebastian Luther.

Eine DHL-Maschine startet am Flughafen Leipzig/Halle. Der Airport will bei der Produktion nachhaltiger Luftfahrkraftstoffe vorn mitspielen.
Eine DHL-Maschine startet am Flughafen Leipzig/Halle. Der Airport will bei der Produktion nachhaltiger Luftfahrkraftstoffe vorn mitspielen.
Quelle: Michael Strohmeyer

Auch der Flughafen Leipzig/Halle hatte Wasserstoff auf dem Schirm. Was wird aus dem Vorhaben „NetZeroLEJ“?

Ziel von „NetZeroLEJ“ ist es, die Produktion und den Einsatz nachhaltiger synthetischer Flugkraftstoffe (SAF) im industriellen Maßstab vorzubereiten und umzusetzen. Eine entsprechende Machbarkeitsstudie präsentierte der Flughafen Leipzig/Halle (Kürzel LEJ) gemeinsam mit Projektpartnern, darunter DHL und InfraLeuna. Laut einem Flughafensprecher ist die Produktion der synthetischen Kraftstoffe, die auf Wasserstoff als Grundprodukt setzen, an den Chemiestandorten in Böhlen und Leuna geplant gewesen. Im Bau ist allerdings bislang nur eine Anlage des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Dabei handelt es sich zwar um die weltweit größte Forschungsanlage für strombasierte Kraftstoffe, wie es heißt. Aber die Mengen werden wohl nur für die Forschung reichen. Um den Flugverkehr umweltfreundlicher zu gestalten, müssen große Produktionsstätten gebaut werden. Und dafür muss die Politik den Rahmen setzen und Projekte fördern, wie es heißt. Positiv bewertet der Flughafen, dass das Projekt „NetZeroLEJ“ Eingang in den aktuellen Koalitionsvertrag des Freistaates Sachsen gefunden hat. Dort heißt es, dass man Sachsen als Modellregion für nachhaltiges Fliegen voranbringen will.

Also hängt viel von der finanziellen Förderung ab?

Neben der finanziellen Unterstützung der Projekte spielt der Import von grünem Wasserstoff eine entscheidende Rolle. Da Europa seinen Bedarf voraussichtlich nicht selbst decken kann, war Afrika in den vergangenen Jahren in den Blickpunkt gerückt. Aber auch da ist die Euphorie verflogen. Denn eine Studie der TU München hat ergeben, dass die Produktion von grünem Wasserstoff in Afrika vorerst eine Illusion bleibt. Die Kosten für Produktionsanlagen in afrikanischen Staaten sind demnach deutlich höher als bislang angenommen. Nur zwei Prozent von rund 10.000 untersuchten Standorten könnten für den Export nach Europa wettbewerbsfähig sein, heißt es. In zahlreichen Ländern seien die Bedingungen für Investitionen zu risikoreich.

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