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Was die Bauern in Sachsen wirklich auf die Straßen treibt

Die Kürzung der Dieselsubvention war nur ein Auslöser für den neuen Protest der Landwirte. Warum sächsische Bauern in dieser Woche protestieren - Fragen und Antworten.

Lesedauer: 6 Minuten

Man sieht die Traktoren bei dem Bauernprotest auf der Straße
Wie geht es der Landwirtschaft, was bringt die Bauern in Sachsen diese Woche auf die Straße? © dpa

Von Georg Moeritz

Dresden. Landwirte und Lastwagenfahrer demonstrieren in dieser Woche gemeinsam. In Sachsen soll ein Höhepunkt die Demonstration am Mittwoch vor der Semperoper in Dresden sein. Zwar hat die Bundesregierung die angekündigten Kürzungen abgemildert. Aber der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, sieht darin nur einen ersten Schritt. Er sagt: „Beide Kürzungsvorschläge müssen vom Tisch.“ Die Zukunftsfähigkeit seiner ganzen Branche stehe auf dem Spiel: Es gehe „um die Frage, ob heimische Lebensmittelerzeugung überhaupt noch gewünscht ist“. Die Landwirte haben unterschiedliche Gründe für ihren Protest. Worum es geht.

Wie wichtig ist die Agrardiesel-Hilfe für die Bauern?

Mitte Dezember hat die Bundesregierung ein Sparpaket angekündigt, das die Landwirte erschreckte: Sie sollten auf gewohnte Steuervergünstigungen für Landmaschinen verzichten. Dagegen gab es schnell Proteste. Beim Diesel geht es für die Bauern um immerhin 21,48 Cent pro Liter. Diesen Anteil an der Steuer auf Kraftstoff können sich Landwirte bisher erstatten lassen.

Zwei Landwirte aus dem Kreis Görlitz rechneten für sächsische.de vor: Ihre beiden Betriebe müssten jeweils 35.000 Euro pro Jahr mehr für Diesel ausgeben, wenn der Staat die vollen Steuern verlangen würde. 15.000 Euro Mehrkosten entstünden ihnen, wenn ihre Landmaschinen nicht mehr von der Kfz-Steuer befreit würden.

Inzwischen hat die Bundesregierung angekündigt, die Subventionen für Agrardiesel nicht so schnell abzuschaffen, sondern schrittweise. In diesem Jahr 2024 soll es noch 60 Prozent der Entlastung geben, nächstes Jahr noch 30 Prozent. Bauernpräsident Rukwied nennt das eine „Nachbesserung“, die nicht ausreiche.

Was wird aus der Kfz-Steuer für Traktoren?

Agrarfahrzeuge sollen nun doch von der Kraftfahrzeugsteuer befreit bleiben. Ursprünglich wollte die Bundesregierung auch diesen Vorteil für Landwirtschaftsbetriebe und Forstwirtschaft abschaffen. Davon ist nun gar keine Rede mehr. Das Ende der Privilegien bei Diesel und Kfz-Steuer hätte für den Klimaschutz ohnehin keine Vorteile gebracht, schrieb die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft – denn die Bauernhöfe hätten keine nennenswerten technischen Alternativen zu Traktoren und Diesel.

Wann bekommen Sachsens Bauern nun ihre Zuschüsse?

Ende Oktober hat Sachsens Landwirtschaftsminister Wolfram Günther (Grüne) angekündigt, die Überweisung der jährlichen Subventionen verzögere sich und gelinge nicht mehr im alten Jahr. Es gebe technische Schwierigkeiten und Fachkräftemangel beim Umgang mit den Computerprogrammen. Bauernverbände zeigten sich empört und verwiesen auf neue Kosten der Bauernhöfe für eventuell nötige Überbrückungskredite.

Auch in diesem Fall gab es Proteste und eine Reaktion der Regierung: Sachsens Landesregierung kündigte an, den Landwirten ein Prozent mehr als die ursprünglich geplanten Direktzahlungen zur Verfügung zu stellen. Damit sollen sie eventuell nötige Zinsen und Stundungsgebühren bezahlen können. Sachsens Bauernpräsident Torsten Krawczyk sagte Anfang Dezember im Gespräch mit sächsische.de, falls die Verzögerung bei der Auszahlung nur etwa einen Monat betrage, könnte diese Zwischenlösung „in Ordnung“ sein – sofern sie unbürokratisch funktioniere. Er erwarte aber „mehr Demut“ vom Minister Günther, dessen Behörde Fehler gemacht habe.

Profitieren die Bauern von den gestiegenen Lebensmittelpreisen?

Die deutsche Landwirtschaft hatte infolge der Preissteigerungen von Lebensmitteln „zwei sehr erfolgreiche Wirtschaftsjahre“, schreibt Professor Alfons Balman, Direktor des Agrar-Instituts IAMO in Halle an der Saale. Milchbauern bekamen zeitweise den Rekordpreis von 60 Cent pro Liter rohe Milch. Auch Mehl wurde teurer, sodass auch reine Ackerbauern von der allgemeinen Teuerung profitieren konnten.

Der Umsatz der sächsischen Ernährungswirtschaft stieg allein im Jahr 2022 um 17 Prozent, auf 7,6 Milliarden Euro. Ein großer Teil dieses Zuwachses kam durch die gestiegenen Milchpreise zustande – Sachsens Molkereien stehen für 44 Prozent dieses Umsatzes. Laut deutschem Bauernpräsident Rukwied ist der Milchpreis allerdings inzwischen wieder auf rund 40 Cent gefallen. Die Weizenpreise, die zuvor bis zu 400 Euro je Tonne erreichten, sind wieder auf etwa 220 Euro gesunken. Auch der Schweinepreis sei mittlerweile rückläufig.

Sachsens Bauernpräsident Krawczyk sagte schon zu Jahresanfang, dass nicht nur die Einnahmen, sondern auch die Kosten der Bauern gestiegen seien, ob für Kraftstoffe oder Dünger. Außerdem hätten nach seiner Ansicht die Lebensmittelhändler die Preissteigerung „abgeschöpft“. Das lässt sich schwer nachprüfen. Laut Ifo-Ökonom Joachim Ragnitz in Dresden dürfte es vielen Landwirtschaftsunternehmen gelungen sein, zunächst ihre vorhandenen Vorräte an Dünger und Futter aufzubrauchen, bei der Kalkulation aber die erwarteten Preissteigerungen für Nachbestellungen einzuberechnen. Wie stark einzelne Höfe die allgemeine Teuerung nutzen konnten, hängt unter anderem davon ab, ob sie beispielsweise Tierfutter selbst ernten konnten oder viel kaufen mussten. Auch Pachtpreise spielen eine Rolle.

Reicht das Geld für die Bauernhöfe?

Der Staat unterstützt die Landwirtschaft: In Sachsen bekommen rund 7.000 landwirtschaftliche Unternehmen jährliche Direktzahlungen von etwa 240 Euro für jeden Hektar Land. Es geht um insgesamt rund 241 Millionen Euro. Das Geld kommt von der EU, wird aber über die Länder beantragt und ausgezahlt. Auch für die landwirtschaftliche Unfallversicherung kommt ein hoher Zuschuss vom Staat.

Ob jeder Bauernhof Subventionen in dieser Höhe wirklich benötigt, ist eine der schwierigsten Fragen der Agrarpolitik. Die Landwirtschaftsbetriebe sind sehr unterschiedlich: Manche halten Hunderte Kühe oder Tausende Hühner, andere haben sich nur auf Getreide spezialisiert. In manchen Branchen schwanken die Preise stark, daher kommt der Begriff Schweinezyklus.

Es gibt auch Neid in der Branche: Manche kleine Betriebe in Süddeutschland sagen, die Großbetriebe im Osten hätten Vorteile aufgrund ihrer Flächen und könnten auf einen Teil der Subventionen verzichten. Sachsens Landwirtschaftsminister Wolfram Günther (Grüne) hat sich dagegengestellt. Die einheitliche Zahlung pro Hektar soll gerecht sein und die Bauern nicht dabei beeinflussen, worauf sie sich spezialisieren.

Bauernpräsident Rukwied sagt im Interview, dass die Landwirte über viele Jahre hinweg starke Durststrecken beim Einkommen hatten. „Wir haben erst im letzten zurückliegenden Wirtschaftsjahr das Unternehmensergebnis erzielen können, das wir brauchen, um die Betriebe in die Zukunft führen zu können.“

Dr. Claus Deblitz, stellvertretender Leiter des Instituts für Betriebswirtschaft im staatlichen Braunschweiger Thünen-Institut, schreibt, das Wirtschaftsjahr 2022/23 sei „insgesamt gut für die Landwirtschaft“ gewesen. Im zweiten Halbjahr 2023 habe sich die Lage wieder verschlechtert. Änderungen bei agrarpolitischen Maßnahmen müssten mit langen Übergangszeiten und Puffern gegen Härten vorgesehen werden.

Was ist mit Umweltschutz in der Landwirtschaft?

Die Protestbewegung „Land schafft Verbindung“ formte sich nach eigenen Angaben vor allem aus Wut über neue Vorschriften zum Umweltschutz, die den Bauern überzogen und fachfremd vorkamen. Dazu gehörte die staatliche Festlegung der „roten Gebiete“ in Sachsen, in denen zum Schutz des Grundwassers das Düngen eingeschränkt werden muss. Damit sinkt dort der Getreideertrag. In Teilen Sachsens ist zu viel Nitrat im Grundwasser, aber Landwirte kritisierten die Messmethoden. Auch deswegen gab es schon 2020 eine große Demonstration vor dem Landtag.

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft schreibt, der gesellschaftliche Druck zum notwendigen Umbau der Landwirtschaft steige immer weiter. Damit verbunden seien zunehmend Auflagen und Bürokratie. Der Umbau der Tierhaltung werde zwar gefordert, aber nicht ausreichend honoriert – weder über den Markt, noch über Förderung. Die EU-Subventionen sind allerdings inzwischen zum Teil von Umweltleistungen abhängig. Landwirte sollen einen Teil ihrer Flächen ungenutzt lassen.

Weshalb fühlen sich viele Landwirte gekränkt?

Viele Landwirte wissen nicht, wie sie die unterschiedlichen Wünsche aus der Gesellschaft erfüllen sollen. Sie fühlen sich nicht anerkannt, obwohl sie für die Versorgung der Bevölkerung arbeiten. Sachsens Bauernpräsident Krawczyk nennt ein Beispiel: Tierschutz werde häufig gefordert, die Anforderungen stiegen. Wer aber zum Beispiel seinen Schweinestall zugunsten der Tiere „luftoffen“ baue, bekomme Ärger mit Nachbarn wegen des Geruchs.

Laut Krawczyk suchen auch Landwirte Verständnis und gesellschaftliche Anerkennung. Manche gäben enttäuscht auf. Der Verband „Land schafft Verbindung“ schreibt, die Politik müsse Bedingungen schaffen, die es Landwirten ermöglichen, „von unserer Hände Arbeit zu leben, ohne von Subventionen abhängig zu sein“. Sie wollten weiterhin regionale, gesunde Lebensmittel produzieren und ihren Beitrag zum Klima-, Umwelt- und Artenschutz leisten. Auch Sachsens grüner Landwirtschaftsminister Günther sagt, er benutze nicht das Wort „Massentierhaltung“ – das sei ein Kampfbegriff.

Was treibt außerdem viele Bauern auf die Straße?

In der Landwirtschaft gibt es wie in anderen Branchen Existenzängste – zum Beispiel wegen des Klimawandels oder möglicher neuer Konkurrenz aus anderen Staaten. Der Verband „Land schafft Verbindung“ fordert daher auch eine Herkunftslandkennzeichnung und den Schutz vor Billigimporten. Manche Verbände warnen vor dem Mercosur-Abkommen, weil es Importe aus Südamerika erleichtere. Doch laut Thünen-Institut soll es kaum Auswirkungen auf die Produkte hierzulande haben, sagte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) bei einem Treffen mit sächsischen Landwirten im August.

Anderen geht es um Konkurrenz aus Polen oder Tschechien, wo die Löhne niedrig sind. Andererseits nutzen deutsche Landwirte billige Erntehelfer aus dem Osten und hohe Subventionen. Ein Vergleich aller Bedingungen, Kosten und Zuschüsse über Staatsgrenzen hinweg ist schwer. Insgesamt hat sich die Branche in Deutschland stabil gezeigt. Demonstrationen sind auch ein Ventil – sie sind Veranstaltungen, bei denen Gemeinsamkeit und Stärke gesucht und einfache Lösungen gefordert werden. Später wird dann wieder sachlich über Details verhandelt.

Was sagen Ministerpräsident Kretschmer und Landwirtschaftsminister Günther?

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Landwirtschaftsminister Wolfram Günther (Grüne) hatten die Bundesregierung aufgefordert, auf die geplanten Belastungen bei Agrardiesel und Kfz-Steuer zu verzichten. In einer gemeinsamen Pressemitteilung vom Donnerstag schrieb Günter, die Verärgerung der Landwirte über die plötzlich angekündigten Kürzungen sei für ihn verständlich. „Im Handstreich eine Branche gleich vor zwei vollendete Tatsachen zu stellen, ist falsch.“ Die Landwirte hätten keine Alternative zu den dieselbetriebenen Landmaschinen.

Sind die Bauern einig in ihrem Protest?

Der Sächsische Landesbauernverband ist in Sachsen nicht mehr alleine, wenn es um Forderungen an die Politik geht. 2005 erstarkte der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter angesichts sehr niedriger Milchpreise und organisierte eine Blockade der Sachsenmilch-Molkerei – das wurde teuer für den Verband. Seit einigen Jahren tritt „Land schafft Verbindung“ (LSV) als protestfreudige Vereinigung auf, in Sachsen in der Regel gemeinsam mit dem Bauernverband sowie dem Verein Familienbetriebe Land und Forst.

LSV hat jüngst den Rücktritt des Grünen-Ministers Günther in Dresden gefordert, weil die Auszahlung der Agrarsubventionen stockt. Landesbauernpräsident Krawczyk schloss sich der Forderung nicht an, machte aber deutlich, dass er mit Günthers Auftreten unzufrieden ist und eher auf Ministerpräsident Kretschmer (CDU) setzt – der wurde auch zum Bauerntag eingeladen. Krawczyk lehnt Krawalle ab. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) wirkt mit ihren Forderungen eher Grünen-nah. Sie gehört zu den Trägern der jährlichen Demonstrationen zum Beginn der Grünen Woche in Berlin, bei denen mehr Tierschutz und Klimaschutz gefordert werden.

Wie geht es nach der Protestwoche weiter?

Nach dem Protest ist vor dem Protest: Für nächsten Montag, 15. Januar, hat der Bauernverband zur Großdemonstration in Berlin aufgerufen. Am Sonnabend, 20. Januar, findet dort anlässlich der Internationalen Grünen Woche die jährliche Demo „Wir haben es satt“ statt, zu der unter anderem Umweltverbände und Bio-Anbauverbände aufrufen. Sachsens Landesbauernverband trifft sich wie jedes Jahr vorher zur Vorstandsklausur in Limbach-Oberfrohna und gibt am 12. Januar eine Pressekonferenz. Minister Günther will aber am selben Tag in Radebeul über den Auftritt der sächsischen Ernährungswirtschaft auf der Grünen Woche informieren. Dort ist am Montag, dem 22. Januar, der jährliche Sachsentag – dort treffen sich in der Regel Minister und Verbandsvertreter und testen gemeinsam an sächsischen Verkaufsständen heimische Biere und Softeis.

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