Suche
Suche

Weißes Gold in Sachsen

Was haben das Erzgebirge und das Andenhochland von Argentinien, Chile und Bolivien gemein? Beide Regionen verfügen über einen großen Lithium-Schatz. Er wird hier wie dort gebraucht - und gefürchtet.

Lesedauer: 4 Minuten

Blick auf ein Lithiumabbaugebiet in Chile
Eine Baustelle mit riesigen Ausmaßen: Der Salzabbau für die Lithiumgewinnung in der Atacama-Wüste in Chile ist längst ein gewaltiges Geschäft. Eines, an dem viele mitverdienen möchten. Foto:Picture Alliance/Lucas Aguayo Ara

Von Martina Hahn

Freiberg. Batteriefähiges Lithiumhydroxid für 800.000 E-Autos – so viel des wertvollen Metalls möchte die Zinnwald Lithium GmbH ab 2030 jedes Jahr fördern. Aus Sachsens Boden. Es ist Europas drittgrößtes Lithium-Vorkommen. 500 Millionen Euro will das Bergbauunternehmen im Erzgebirge investieren und 400 Jobs schaffen. „Das Projekt würde einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende und zu Europas Eigenversorgung mit Lithium leisten“, sagt Geschäftsführer Marko Uhlig.
Um diese Eigenversorgung ist es derzeit nicht gut bestellt, es droht ein Versorgungsengpass. Auch die von Zinnwald Lithium angestrebten 18.000 Tonnen Lithiumhydroxid pro Jahr decken nur einen Bruchteil des riesigen Bedarfs der deutschen Hersteller von Elektromobilität oder Energieinfrastruktur. Er liegt nach Angaben der Deutschen Rohstoffagentur DERA bis 2030 bei etwa 170.000 Tonnen Lithium. Aktuell stammen gerade einmal drei Prozent der weltweiten Lithiumproduktion aus heimischen Böden.

Und so ist die heimische Industrie wohl auch künftig auf Lithiumimporte aus Übersee angewiesen – eine Abhängigkeit, von der man sich lösen möchte. Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg haben gezeigt, wie fragil Lieferketten sind. Recycelt wird das wertvolle Metall kaum, die Quote liegt weltweit unter ein Prozent, der Einkauf aus China ist billiger als das Recycling in Deutschland. Aber Lithium ist essenziell für die Energiewende, das Metall gilt als kritischer Rohstoff, die EU hat deswegen 2024 den Critical Raw Materials Act (CRMA) verabschiedet. „Wenn der Umstieg auf die E-Mobilität gelingen soll, muss es auch ausreichend Lithium für unsere Industrie geben“, sagte Olaf Scholz im Dezember in Freiberg.

Deutsche Industrie steht Schlange in Südamerika
Um beim globalen Wettrennen um das Leichtmetall nicht abgehängt zu werden, touren deutsche Vertreter von Politik und Industrie vor allem nach Lateinamerika. Das weltweit größte Lithiumvorkommen – geschätzt 60 Prozent – steckt in den Salzseen des sogenannten Lithium-Dreiecks zwischen Bolivien, Argentinien, Chile. Ihnen folgen USA und Australien. „Doch die Länder mit den größten Reserven sind nicht zwingend diejenigen, die am meisten Lithium für sich und für den Weltmarkt produzieren“, sagt der argentinische Wissenschaftsjournalist Ernesto Picco. Denn das sind Australien, Chile und China. In Raffinerien verarbeiten sie das Rohlithium weiter. China als größter Hersteller könnte laut Prognosen bis 2025 ein Drittel der weltweiten Lithium-Versorgung kontrollieren. Die Volksrepublik hat sich über Lieferverträge oder eigene Explorationsfirmen Lithiumvorkommen in Lateinamerika und in Afrika, dort vor allem in Simbabwe oder der Demokratischen Republik Kongo, gesichert. Davon profitiert auch die EU: Sie bezog 2023 ihr Lithium zu 97 Prozent aus China.

12.000 Kilometer westlich von Altenberg mahnt Pía Marchegiani vor den „gigantischen Schäden“, die der Abbau von Lithium verursache. Sie arbeitet in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires für die Fundación Ambiente y Recursos Naturales, kurz FARN, eine Stiftung, die sich um Umweltschutz und Menschenrechte kümmert. Beides, sagt Marchegiani, drohe seit dem Amtsantritt des ultralibertären Präsidenten Javier Milei Ende 2023 „unter die Räder zu kommen“.
Anders als im Erzgebirge, wo das Lithium eines Tages aus dem Gestein gelöst werden soll, wird Lithium im Anden-Hochland aus mineralhaltigem Grundwasser gewonnen; sein Anteil in den Solen beträgt unter ein Prozent. Die Salzlake wird aus der Tiefe in riesige Becken gepumpt und verdunstet dort. Zurück bleibt grüne, dickflüssige Sole, die Lithium-Konzentration liegt dann bei sechs Prozent. In Raffinerien wird daraus mit Chemikalien Lithiumkarbonat.
Um eine Tonne Lithium zu erhalten, müssen an die zwei Millionen Liter Wasser verdunsten Das sind 400 volle Badewannen für nur eine E-Autobatterie, so ein Report des Hilfswerks Brot für die Welt. Im extrem trockenen Lithium-Dreieck mit seiner Atacamawüste oder dem Salar de Uyuni ist das ein Problem. In den Dörfern, in denen vor allem Indigene leben, „wird das Wasser für Menschen und Felder knapp“, sagt Marchegiani. „Wer sich dagegen wehrt, wie etwa in der argentinischen Provinz Jujuy, landet in Haft oder wird von der Polizei niedergeknüppelt – ein unter Präsident Milei verabschiedetes Sicherheitsgesetz erlaubt das.“
Auch Korruptionsskandale haben das Vertrauen der Menschen vor Ort erschüttert, weil Minenkonzerne und Provinzpolitiker miteinander kungelten. „Selbst wenn diese Unternehmen belegen könnten, dass sie das Lithium ordentlich und sicher für Mensch und Natur abbauen, würden es ihnen niemand mehr glauben“, sagt Carlos Villalonga, er hat für Greenpeace Argentinien gearbeitet und berät heute zu Energiethemen.

Neues Anreizsystem eingeführt
Viele Investoren, die jetzt nach Argentinien kommen, um am Lithium-Boom mitzuverdienen und angesichts der steigenden Nachfrage nicht auf der Strecke zu bleiben, gucken weg und ignorieren solche Missstände, kritisiert Marchegiani. Sie müssen auch kaum etwas dagegen tun, „ihnen werden viel zu wenige Auflagen für den Schutz von Menschenrechten oder Umwelt gemacht.“ Mit einem neuen „Anreizsystem für Großinvestitionen“, kurz RIGI, will die Regierung Milei ausländische Konzerne und Kapital ins Land locken. Wer mindestens 200 Millionen US-Dollar im Land investiert, „hat quasi freie Hand“, sagt Marchegiani. Der Abbau von Rohstoffen sei so gut wie nicht geregelt, sagt auch der Energieexperte Villalonga. Statt eine Industrie aufzubauen und die Wertschöpfung im Land zu halten, etwa durch Batteriefabriken, „dereguliert Mileis Regierung alles und betreibt den kompletten Ausverkauf unserer Ressourcen“. Dabei braucht Argentinien dringend Einnahmen: Jeder Zweite im Land ist arm. Anders in Chile, dem wichtigsten Lithium-Lieferanten für die deutsche Industrie. Hier herrscht weniger Goldgräberstimmung und mehr Weitblick – auch, weil die früheren Konflikte rund um den Bergbau von Kupfer, Zink, Silber und Gold ihre Spuren hinterlassen haben. Chile hat heute 30 Prozent seiner Salzseen unter Naturschutz gestellt. Die Regierung in Santiago stellt auch sicher, dass über Bergbaulizenzen das Gros der Gewinne aus dem Lithiumgeschäft nicht wie in Argentinien bei transnationalen Minengesellschaften landet. Es bleibt im Land. „In Argentinien fließen nur fünf Prozent von dem, was die Konzerne umsetzen, in öffentliche Kassen – in Chile 40 Prozent“, so der argentinische Wissenschaftsjournalist Ernesto Picco. Auch die Wertschöpfung gibt Chiles Regierung nicht aus der Hand: Wer Lithium fördern will, muss mit dem Staat kooperieren und darf maximal 49,9 Prozent der Anteile halten. „Wir denken über die reine Exploration hinaus“, sagt Chiles Umweltministerin Maisa Rojas, „auch daran, was kommt, wenn Rohstoff alle ist.“

Solche Überlegungen sind wichtig, betont Oscar Choque. Der Bolivianer ist Experte für Rohstoffe, Klima und Entwicklung, er lebt seit vielen Jahren in Sachsen. Durch seine Arbeit für Ayni e.V., dem Verein für Ressourcengerechtigkeit im Umweltzentrum Dresden, kennt Choque den Lithiumabbau in Südamerika als Segen und Fluch. Er sagt: „Wenn in Altenberg eines Tages Lithium gewonnen werden kann, ist das gut für Deutschland, es gibt dort eine lange Bergbautradition und Know-how – aber die Menschen müssen mit ins Boot geholt werden.“ Nur wenn die Wertschöpfung vor Ort bleibt und strenge Umweltstandards eingehalten werden, „wird in dieser Region, die seit Jahrhunderten für ihren Rohstoffreichtum bekannt ist, heute aber vom Tourismus lebt, nicht zu viel kaputt gemacht“. Letzteres könne passieren, befürchtet er: „Gerade will die Politik auf Teufel komm raus Rohstoffe abbauen.“ Nun müssten sich alle an einen Tisch setzen und klären, auf welche Einnahmen die Region künftig setzen will: „Sobald das Bergbauprojekt steht, gibt es kein Zurück.“
Wer also zahlt den Preis? Und wer profitiert vom wertvollen Rohstoff? Das Explorationsunternehmen Zinnwald Lithium hat die Probebohrungen abgeschlossen. Demnächst will Geschäftsführer Uhlig eine vorläufige Machbarkeitsstudie veröffentlichen. Die finale Studie soll 2026 vorliegen, erst danach beginnt das Rahmenbetriebsplanverfahren beim Sächsischen Oberbergamt. „Es wird zum gegebenen Zeitpunkt für die Menschen ausreichend Möglichkeiten geben, sich zu beteiligen“, versichert Uhlig. Gebuddelt werde frühestens 2029.

Das könnte Sie auch interessieren: