Dresden. Das möchte Benedikt Schonlau nicht erleben: Er sitzt lesend in einem selbstfahrenden Auto der Zukunft, als plötzlich ein Passant vor den Wagen läuft. Das Auto erkennt zwar die Gefahr und leitet rechtzeitig eine Notbremsung ein. Aber dann fährt es gleich wieder an, obwohl womöglich ein Mensch davor liegt. Geschäftsführer Schonlau und seine 25 Mitarbeiter bei Siliconally arbeiten in Büros mit Blick auf den Dresdner Altmarkt daran, solche Risiken zu vermeiden. Hochmoderne Chips sollen dabei helfen.
Ein Teil dieser Chips entsteht am Altmarkt. Dieser Arbeitsplatz lebt von Kontrasten: Moderne Bildschirme im Großraum mit Aussicht auf den Wintermarkt. Neben den Schreibtischen eine weiße Säulenreihe mit Eichenlaubkapitellen. Am Ende des Raumes eine Fototapete in Schwarzweiß, die an die frühere Einrichtung erinnert, an eine Dresdner Innenstadt-Boutique mit hölzernen Schränken. Vor der Fototapete ein Sitzsack.

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In dieser Arbeitsumgebung entstehen Entwürfe für Teile von Mikrochips, die dann bei Globalfoundries in Dresden produziert werden. Wichtigster Geldgeber für Siliconally ist allerdings Bosch: Der Autozulieferer hat sich 2021 an dem jungen Dresdner Unternehmen maßgeblich beteiligt.
Im Auto geht es um Millisekunden
2019 entstand Siliconally als Ausgründung aus einem Forschungsprojekt der Technischen Universität Dresden. In diesem Projekt namens Fast wurde an Prototypen für die interne Kommunikation im Automobil gearbeitet. Die Gründungsmitglieder besitzen heute noch Anteile an der Firma.
Die Patente von Siliconally sollen dazu beitragen, eine „nahtlose Datenkommunikation innerhalb komplexer Systeme“ zu gewährleisten. Im fahrenden Auto geht es um Millisekunden, wenn Fehler erkannt und Alternativen ausgewählt werden müssen. Schonlau berichtet, dass rund 50 Steuergeräte im Auto vernetzt werden müssen. 1,8 Kilometer dünne Kupferkabel durchziehen ein modernes Fahrzeug.

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Die Dresdner Entwickler haben ein halbes Dutzend Produkte auf der „Roadmap“, auf dem internen Aufgabenplan. Als erstes marktfähiges Produkt feierten sie jüngst ihre Halbleiterlösung namens Single PHY 100Base-T1 22FDX. Es ist ein Baustein von vielen, um in Echtzeit die Datenströme zwischen Kameras, Radar und Ultraschall im modernen Auto zu verarbeiten. „Ein riesengroßer Meilenstein“, sagt der Geschäftsführer dazu. Alle Komponenten sollen gleichzeitig erfahren, was gerade passiert ist.
Wenig Platz, wenig Stromverbrauch
Schonlau vergleicht die Datenübertragung mit einem vertrauenswürdigen Paketboten, der seine Pakete stets pünktlich und sicher zustellt. Mit der zunehmenden künstlichen Intelligenz auch innerhalb von Fahrzeugsystemen habe die Nachfrage nach einer zuverlässigen Hochgeschwindigkeits-Datenübertragung einen neuen Höhepunkt erreicht. Noch mehr Anforderungen, die die Dresdner Spezialisten erfüllen müssen: Die Technologie soll nicht viel Strom verbrauchen und mit wenig Platz auskommen.
Die Autohersteller haben laut Schonlau anfangs versucht, das autonome Fahren aus den vorhandenen Komponenten im Auto heraus zu entwickeln. Doch das künftige Fahrzeug sei nicht mehr nur ein Auto, sondern ein multifunktionaler Raum. „Man muss das Fahrzeug neu denken.“ Dafür müssten Software- und Hardware-Experten der Auto-Industrie Lösungen anbieten, für die noch gar kein Bedarf angemeldet wurde. „Die Autoindustrie kauft nur, was es gibt“, sagt der Siliconally-Chef.
Wir machen keine Auftragsforschung, wir verkaufen Lizenzen. – Benedikt Schonlau, Geschäftsführer Siliconally GmbH
Was in den Büros am Dresdner Altmarkt produziert wird, sind Daten und Konstruktionszeichnungen für Mikrochips. Um damit Testchips zu produzieren, benötigt Siliconally eine Mikrochipfabrik, die sehr feine Halbleiterstrukturen belichten und ätzen kann. Die Technologie der Bosch-Fabriken und vieler anderer Autozulieferer sei dafür meist zu grob. Globalfoundries mit seinen 22-Nanometer-Abständen erwies sich als geeignet.
Dresdner Lösung ab 2027 im Auto
Schon die Schablonen zur Belichtung einer Siliziumscheibe mit neuen Chipstrukturen, in der Branche als „Masken“ bezeichnet, können mehr als eine Million Euro kosten. Das junge Unternehmen Siliconally teilt sich daher die Maskenkosten mit anderen Firmen und nutzt Teilflächen der Halbleiterscheiben. Technik-Geschäftsführer Hendrik Seidel sagt, die Chipfabriken hätten auch an solchen Teil-Aufträgen Interesse, weil sie damit neue Kunden fänden.

Quelle: SZ/Georg Moeritz
In welchen Fahrzeugen die Erfindungen von Siliconally künftig fahren werden, das wissen die Dresdner nicht. Die ersten Chips mit ihrem ersten Produkt werden voraussichtlich 2027 in Autos eingebaut. Schonlau und Seidel bieten ihr Wissen den Halbleiterlieferanten wie Infineon und NXP an, künftig auch der neuen Dresdner Mikrochipfabrik ESMC, die ebenfalls viel an die Autoindustrie liefern wird.
Noch macht Siliconally keine Gewinne, aber schon einen Millionen-Jahresumsatz. „Wir gehen weltweit Klinken putzen“, sagt Schonlau, der auch häufig zu Konferenzen reist. Die Kasse des Dresdner Unternehmens soll immer dann klingeln, wenn seine Technologie eingebaut wird: „Wir machen keine Auftragsforschung, wir verkaufen Lizenzen.“ So sichert sich das Unternehmen dauerhafte Einnahmen aus Zukunftstechnologie.
SZ