Sachsen hat jetzt ein „Zentrum für Fachkräfte und Gute Arbeit“ mit rund 25 Mitarbeitern. Was traut sich der Zefas-Leiter Matthias Geißler zu, um die Arbeit in Sachsen zu verbessern und neue Fachleute ins Land zu holen?
Herr Dr. Geißler, falls ich seit Jahren kaum Gehaltserhöhungen bekomme, zu viele Überstunden machen muss und das Kantinenessen auch nicht schmeckt, finde ich dann Hilfe in Ihrem Zentrum für Fachkräftesicherung und Gute Arbeit?
Sie können bei uns Auskünfte zum Tarifgehalt für Ihre Branche bekommen. Die Überstunden sind eher nicht unser Thema – wir sind keine vollziehende Behörde und machen auch keine Rechtsberatung.
Und was die Kantine angeht?
Wir informieren gerne Arbeitgeber über Gute Arbeit und darüber, wie sie ihre Unternehmen attraktiver machen können. Unser Internet-Angebot ist allerdings noch im Aufbau, das Zefas gibt es erst seit einigen Monaten.
Wer bestimmt denn, was Gute Arbeit ist? Die SPD, der DGB oder doch meine Chefin?
Das Konzept kommt vom DGB. Wir interpretieren Gute Arbeit sehr weit, es geht um Attraktivität von Arbeitsplätzen. Gute Arbeit kann ja vieles bedeuten. Mobiles Arbeiten kann dazu gehören, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ein gesunder und sicherer Arbeitsplatz, faire Bezahlung …
Eine feste Definition nutzen Sie nicht?
Wir hüten uns, den Begriff selbst zu definieren. Wir verstehen uns als neutrales, objektives und auch überparteiliches Zentrum. Wir sind der Überzeugung, dass Tarifbezahlung wichtig ist, aber wir sind nicht Teil des DGB.
Beim Zefas kann ich Auskunft über Tarifbedingungen bekommen, aber keine vollständigen Tarifverträge. Warum nicht?
Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände behalten es sich vor, ihre Mitglieder ausführlich zu informieren. In die Diskussion, was zu einem Tarifgeheimnis gehört, mischen wir uns nicht ein. Dies ist in Deutschland Aufgabe der Sozialpartner. Wir informieren auch nicht über den Inhalt von Haustarifverträgen einzelner Firmen. Was wir sagen können, ist zum Beispiel die Höhe des Gehalts, die jemandem bei Anwendung des Branchentarifvertrags zustünde.
Hat schon jemand mit Hilfe des Zefas seine Arbeitsbedingungen verbessert?
Wir bekommen eher Auskunftsersuchen von Institutionen, etwa von Kammern oder vom Bundesarbeitsgericht. Wir sind dabei, für Anfragen von einzelnen Personen eine Teil-Automatisierung zu entwickeln. Schließlich gibt es Tausende Tarifdokumente und jeden Monat viele Aktualisierungen.
Wo steht Sachsen denn bei „Guter Arbeit“, und was ist das Ziel?
Leider steht Sachsen nicht so weit vorne, wie wir es möchten. Bei der Tarifbindung sind wir zwar nicht mehr Schlusslicht in Deutschland. Aber wir verfolgen das Ziel, dabei noch besser zu werden. Gleichzeitig ist uns bewusst, dass nicht nur Bezahlung und Tarifverträge Arbeitsplätze attraktiv machen. Ein Beispiel für unser Angebot wird auch das Arbeitsschutzmanagementsystem Ohris werden, seit Jahresanfang sind wir zuständig für die Ohris-Zertifizierung von Unternehmen.
Und was können Sie zur Fachkräftesicherung für Sachsen beitragen?
Dazu gehören drei Säulen: Arbeitsplätze verbessern, mit beruflicher Aus- und Weiterbildung am Puls der Zeit bleiben und Zuwanderung. Erst einmal wollen wir für Arbeitgeber transparent machen, welche Möglichkeiten es gibt und wie zum Beispiel Zuwanderung organisiert werden kann. Viele Initiativen in Sachsen haben sich des Themas angenommen. Wir betreuen fachlich-inhaltlich auch das Programm der Arbeitsmarktmentoren, die Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Weg zu Arbeit oder Ausbildung in Sachsen helfen.
Geraten Sie in Konkurrenz zu vorhandenen Einrichtungen?
Nein. Wir werden nicht die Arbeit von Arbeitsagenturen, Kammern, Bildungsträgern oder anderen Netzwerkpartnern übernehmen. Wir arbeiten mit ihnen zusammen und wollen Wegweiser für Unternehmen sein. Wir werden auch neue Pilotprojekte von Anfang bis Ende durchführen, sodass darauf möglichst ein Regelbetrieb folgen kann.
Sie haben ein Projekt mit Jugendlichen in Kirgisistan, die dort Deutsch lernen und zur Ausbildung nach Deutschland kommen sollen. Warum Kirgisistan?
In Kirgisistan gibt es eine überdurchschnittliche Jugendarbeitslosigkeit und keine Überalterung der Gesellschaft. Eine Frau aus einem gemeinnützigen Verein, der dort Jugendlichen eine Perspektive geben will und Deutschunterricht anbietet, hat persönliche Kontakte nach Chemnitz. Über die Bundesagentur für Arbeit kam ein Abkommen zur Zusammenarbeit zustande.
Was kann daraus werden?
Wenn wir gut und schnell sind, haben wir in Kirgisistan vielleicht bald ein Alleinstellungsmerkmal. Das ist ein eher kleines Land, Sachsen kann es als Modell nutzen. Es soll ein Beispiel für ein Projekt zum gegenseitigen Vorteil werden. Betriebe in Sachsen suchen Auszubildende, der kirgisische Staat möchte aber auch einen Nutzen von der Ausbildung haben. Einige von den jungen Menschen werden gewiss hier bleiben und sich hier eine neue Existenz aufbauen. Andere werden in ihre Heimat zurückgehen und dort helfen, ihr Land weiterzuentwickeln.
Geht es um Anwerbung in großem Stil?
Bei diesem Projekt haben wir uns vorgenommen, 30 bis 50 Auszubildende für das nächste Lehrjahr zu finden. Das Abkommen mit Kirgisistan nennt vier Fokus-Branchen: Bau, Informationstechnologie, Gesundheit und Tourismus. Wir werden das nicht auf 10.000 Personen hochskalieren. Es geht darum, zusammen mit der Bundesagentur, sächsischen Behörden, Einrichtungen und Initiativen, nachhaltige Formen der Zusammenarbeit mit anderen Staaten oder Regionen zu finden.
Welche Staaten kommen außerdem für Anwerbung infrage? Von Kirgisenfeindlichkeit in Sachsen ist ja tatsächlich nichts bekannt …
Sächsische Unternehmen sind zunehmend bereit, sich auf Neues einzulassen. Wenn sie sich für Bewerber aus dem Ausland interessieren, wissen sie auch, dass sie zur Integration beitragen müssen. Sie unterscheiden, was leichter und was schwerer ist und schauen zum Beispiel auf den kulturellen Hintergrund je nach Heimatland. Mit Usbekistan und Vietnam, mit China und den Philippinen gibt es schon Projekte mit Sachsen, zum Teil über die Kammern.
Wird die Fachkräftesicherung leichter oder schwerer?
Die Fachkräftesicherung wird uns in den kommenden Jahrzehnten nicht loslassen. Wir erleben verschiedene Transformationsprozesse, Energie-, Flüchtlings- und demografische Krise. Im Jahr 2030 fehlen in Sachsen je nach Szenario 150.000 bis 300.000 Arbeitskräfte. Viele Akteure kümmern sich bereits darum, aber in den Unternehmen ist der Bedarf an Informationen und Übersicht sehr groß. Für mögliche Bewerber im Ausland ist es nicht wichtig, welche Institution in Deutschland zuständig ist, sondern ob es leicht oder schwer ist, hier eine Arbeit zu kommen. Vereinfachung ist nötig.
Warum sitzt das Zefas in Chemnitz und nicht in der Landeshauptstadt?
Bei dieser Entscheidung spielte wohl eine Rolle, dass auch Institutionen außerhalb Dresdens aufgebaut werden sollen. Ich denke, wir sitzen hier genau richtig. In der Region Chemnitz haben wir mit Überalterung und Transformationsprozessen zum Beispiel bei Autozulieferern zu tun. Es gibt viele kleine und mittlere Unternehmen, die wenig strategische Personalarbeit machen. Wir wollen sie informieren und auch Hilfe zur Selbsthilfe geben.
Das Gespräch führte Georg Moeritz.
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