Von Steffen Gerhardt
Eine Stunde dauerte der Rundgang am Montagvormittag durch das Werksgelände des Nieskyer Waggonbaus für zwei Vertreter der Navigator Group und ihre beiden Fachberater. Die Holdinggesellschaft mit Sitz in Düsseldorf will sich als zweiter Investor für den insolventen Nieskyer Traditionsbetrieb ins Spiel bringen, nachdem ernsthafte Verhandlungen bereits zwischen dem Tatravagonka-Konzern und einem tschechischen Schienenfahrzeugunternehmen laufen.
Seinen ersten Eindruck schildert Jochen Brinkmann als einer von zwei Geschäftsführern von Navigator so: „Was die Produktion angeht, fehlt mir die Liebe zum Detail, aber insgesamt bietet das Areal Chancen.“ Der derzeit eingesetzte Waggonbau-Geschäftsführer Petr Vavros führte nicht nur die Investorengruppe durchs Gelände, sondern mit ihr auch Oberbürgermeisterin Kathrin Uhlemann und die Stadträte Harald Prause-Kosubek (SPD) und Lars Beinlich (CDU) als Vertreter der Stadt.
Für Jochen Brinkmann entstand nicht der Eindruck, dass ihm etwas verheimlicht wird. „Uns standen alle Türen offen. Was uns interessierte, wurde uns auch gezeigt“, sagt der Unternehmer im anschließenden Gespräch mit der SZ. Wichtig ist ihm und seinen Begleitern, das Objekt erst einmal zu sehen, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Nach der Besichtigung möchten die Düsseldorfer an dem Werk festhalten, äußerten aber auch ihre Forderungen.
Verhandlungen mit tschechischem Unternehmen
Das Wichtigste ist die Frage nach einem Datenraum. Also einem Portal im Internet, auf das Investoren schauen können, um sich einen Überblick über Produktionszahlen, Bilanzen, finanzielle Ausstattung und so weiter zu verschaffen. Seit 4. Mai läuft das vorläufige Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. Die Hälfte der Dreimonatsfrist ist fast verstrichen, ohne dass es für Investoren eine Möglichkeit gibt, die Betriebsbilanzen anzuschauen. Die Navigator Group will ihre Entscheidung von den Zahlen abhängig machen.
Navigator Group ist eine Beteiligungsgesellschaft. So ist sie jeweils an einem Hersteller für Verpackungsmaschinen und Messinstrumenten, zwei Unternehmen aus der Sicherheitsbranche und einem Backwarenproduzenten beteiligt. Ein Schienenfahrzeughersteller wäre etwas Neues.
Dagegen ist der tschechische Interessent in der Branche selbst tätig, hat 4.500 Mitarbeiter und verfügt über ausgewiesene Kenntnisse. Nach SZ-Informationen fanden Anfang vergangener Woche in Prag Verhandlungen statt. Ergebnisse sollen möglicherweise noch im Juni bekannt werden. Unklar ist bislang, ob sich das tschechische Unternehmen den Waggonbau in Niesky übernehmen oder den Standort für die Fertigung von Aufträgen nutzen will. In beiden Fällen kommen auf die Waggonbauer vermutlich kurzfristig Einschnitte zu. Derzeit arbeiten noch knapp 200 Mitarbeiter im Waggonbau Niesky.
Welche Einschnitte kommen auf die Mitarbeiter zu
Doch das ist auch bei der Navigator Group abzusehen. Schon jetzt erklärte Jochen Brinkmann, „dass es ohne die Stadt nicht gehen wird“. Brinkmann setzt auf staatliche Förderung für die Sanierung. Zu klären ist auch, was zu erwerben ist. Denn Grund und Boden gehört dem Mutterkonzern Tatravagonka. Die Immobilien darauf der ELH Waggonbau Niesky GmbH. Für den Grund und Boden muss der Waggonbau eine Pacht in fünfstelliger Höhe jährlich nach Poprad überweisen. Das Waggonbaugelände umfasst rund 21 Hektar.
Grundsätzlich ist die Navigator Group nach der Besichtigung am Montag aber der Ansicht, dass der Waggonbau eine stabile Marktperspektive besitzt, denn in Niesky wird in guter Qualität gefertigt. Innerbetriebliche Prozesse gilt es aber zu optimieren und eine Analyse muss erfolgen, welches Fachpersonal noch im Betrieb beschäftigt ist, wo Qualifizierungen nötig sind und ob ehemalige Mitarbeiter zurückgewonnen werden können.
Als Pluspunkt wird der Bahnanschluss gewertet. Als negativer Punkt die zwar sanierte, aber immer noch vorhandene Deponie. Auf ihr wurde vor der Wende so ziemlich alles entsorgt, was in der Produktion nicht mehr benötigt wurde oder übrig blieb wie Lacke und andere Gebinde. Ein Umwelt-Gutachten zur Deponie sagt aus, dass zwar kein akuter, aber doch ein latenter Handlungsbedarf für diese Hinterlassenschaft besteht.
Fakt ist, dass Anfang August ein tragfähiges Sanierungskonzept für das Werk in Niesky vorliegen muss. Da das vorläufige und auf drei Monate begrenzte Insolvenzverfahren unter dem Schutzschirm der Eigenverwaltung läuft, ist dafür der insolvente Betrieb selbst zuständig. Der Waggonbau beauftragte eine auf Wirtschaftsrecht spezialisierte Kanzlei mit der Ausarbeitung eines Konzeptes auch ungeachtet der Suche nach Investoren für das Unternehmen.