Von Georg Moeritz
Dresden. Zusätzliche Arbeitsplätze durch Mikrochips und Software: Der Branchenverband Silicon Saxony sagt voraus, dass seine Mitgliedsbetriebe in Sachsen in den kommenden Jahren noch schneller wachsen werden als bisher vorausgesagt. Voriges Jahr hatte der Verband angekündigt, im Jahr 2030 rund 100.000 Beschäftigte zu zählen. Am Dienstag sagte Geschäftsführer Frank Bösenberg auf der Tagung Silicon Saxony Day, die Zahl werde noch übertroffen.
Zum schnelleren Wachstum tragen die angekündigten zusätzlichen Mikrochipfabriken bei: Infineon erweitert derzeit seine Dresdner Fabrik um etwa 1.000 Arbeitsplätze. Rund 2.000 sollen bei der ESMC European Semiconductor Manufacturing Company entstehen, deren größter Investor der taiwanische Konzern TSMC ist.
Voriges Jahr wuchs die Branche laut Verband schneller als in den Jahren zuvor: um 6,4 Prozent auf 81.000 Beschäftigte. Zum Silicon Saxony zählen nicht nur Mikrochipfabriken, sondern auch Software- und Kommunikationsbranche. Die Softwarebranche in Sachsen wuchs um zwei Prozent auf 40.000 Beschäftigte.
Silicon Saxony setzt sich für Toleranz und Offenheit ein
Bösenberg sagte: „Silicon Saxony ist ein Magnet für Fachkräfte.“ Der Bedarf werde gedeckt, auch mithilfe internationaler Fachkräfte. Verbandspräsident Dirk Röhrborn sagte auf Nachfrage zu den jüngsten Wahlergebnissen, er sehe den Rechtsruck in Europa und in der Region mit Sorge. Doch die Branche werde sich „nicht beirren lassen“ und sich für Toleranz und Offenheit einsetzen. Menschen aus aller Welt, die hier leben und arbeiten wollten, würden willkommen geheißen. Software- und Halbleiterbrache seien Vorreiter bei der Integration. Auch freier Handel sei wichtig für die Wirtschaftsentwicklung.

Der Branchenverband erwartete rund 750 Teilnehmer zu seiner Tagung auf der Konferenzebene des Flughafens Dresden. Als Mitglied Nummer 555 im Silicon Saxony wurde dabei ESMC begrüßt. Messestände informierten über Technik-Angebote für die Chip-Industrie, aber auch über Personal: Die Fachkräfteallianz Dresden stellte die Initiative „Hallo India“ vor. Expertin Swati Pant sagte, sie suche im Auftrag sächsischer Firmen nach geeigneten Bewerbern. Sechs seien dadurch aus dem „Powerhaus Indien“ nach Dresden gekommen.

Der US-Konzern Intel plant unterdessen seine angekündigte Mikrochipfabrik in Magdeburg sowie ein Werk zur Weiterverarbeitung in Breslau in Polen. Eine neue Studie des Instituts VDI/VDE Innovation und Technik empfiehlt der Region Magdeburg, einen Verbund wie das Silicon Saxony aufzubauen. Schrittweise könne sich dieses Cluster zu einem branchenübergreifenden entwickeln, etwa für neue Materialien, Fertigungstechniken, Kreislaufwirtschaft oder Medizin- und Biotechnologie. Dafür gibt es in Sachsen zum Teil eigene Verbände. Magdeburg werde Pendler aus Wolfsburg und Braunschweig anziehen, auch Wechsler aus der Autoindustrie. Das leistungsfähige Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahn dehne den Einzugsbereich bis nach Hannover oder Berlin aus, wenn es um akademische Fachkräfte gehe.
Künstliche Intelligenz: Singapur arbeitet an Regeln
Im vorigen Jahr hatte der Verband Silicon Saxony angekündigt, die Belegschaften in seinem Gebiet würden bis 2030 auf 100.000 Menschen wachsen. Damals wuchs die Softwarebranche schneller als andere: Im Jahr 2022 legte ihr Personal in Sachsen um 7,6 Prozent auf 35.000 Mitarbeiter zu, während 4,2 Prozent für die Branchen im Silicon Saxony insgesamt errechnet wurden.
Der Silicon Saxony Day auf dem Dresdner Flughafen bietet für jeden etwas, vom englischen Fachvortrag bis zum bunten Legospiel: Wer sich über das Zukunftsthema künstliche Intelligenz informieren will, ist bei Nigel Toon richtig. Der Brite aus Bristol erklärt den Ingenieuren und Studenten aus Sachsens Hightech-Branchen am Dienstag, dass Software es auch nicht leichter hat als Menschen, wenn Entscheidungen zu treffen sind. Künstliche Intelligenz funktioniere nur mit einem guten Verständnis für ihre Umgebung, sagt Toon.
Der Gründer der Hightech-Firma Graphcore ist vom Verein der sächsischen Mikrochip-, Software- und Kommunikationsfirmen, dem Silicon Saxony e. V., als erster Redner aufs Podium geladen worden. Toon darf auch die Publikumsfrage beantworten, was er vom Mangel an Regulierung bei künstlicher Intelligenz halte. Der Fachmann sagt, seiner Meinung nach gehe Singapur derzeit am besten vor: Richtlinien würden entwickelt, dann mit den Firmen besprochen, anschließend Gesetze gemacht. In der Europäischen Union dagegen müssten nach seinem Eindruck auch kleine Firmen mit Vorgaben aus Brüssel zurechtkommen. Über den Einfluss der Wirtschaftsverbände spricht Toon nicht.

Sein Vortrag ist einer von mehr als 80 auf sechs Themeninseln. Die Zuhörer, mal im Anzug, mal sportlich mit Rucksack, greifen dafür zu Kopfhörern. Denn die Redner auf den Inseln sind sonst nicht zu hören, die Vorträge sollen sich nicht überlagern. Die Technik funktioniert.
Lego-Wettbewerb und Programmieren für Schüler
Ganz ohne Mikrofon können dagegen Artur Willert und Anton Schöne über ihre Technik informieren: Die beiden Schüler stehen mit beweglichen Lego-Bauten an einem Stand beim Eingang. Sie haben schon an Forschungs- und Roboterwettbewerben teilgenommen und gehören damit zur Zielgruppe der Firmen im Silicon Saxony – zum möglichen Nachwuchs, der die Belegschaft in den Hightech-Branchen Sachsens bis 2030 auf mehr als 100.000 Beschäftigte wachsen lassen soll. Der 16-jährige Artur hat schon ein Praktikum beim Automatisierungsspezialisten Fabmatics in Dresden gemacht und fand es „echt cool“. Der zwölfjährige Anton interessiert sich gerade vor allem für Züge, kann sich aber auch eine andere Technik-Richtung vorstellen.

Die Branchen-Entwickler vom Silicon Saxony werden es gerne hören – sie unterstützen auch Technik-Frühförderung mit dem Programmiergerät Calliope für Grundschulen, über den Landesverband Sächsischer Jugendbildungswerke. Nach erwachsenen Bewerbern suchen die Soft- und Hardwarefirmen unterdessen weltweit. Branchenpräsident Dirk Röhrborn lobt auf Nachfrage die Fortschritte bei der Zulassung von Fachkräften aus Übersee. „Wir hören aus den Unternehmen von Verbesserungen, die Firmen sind überrascht“, sagt Röhrborn, selbst Chef der Softwarefirma Communardo in Dresden. Die langsamen Visumverfahren im Ausland seien aber noch immer ein Flaschenhals, ergänzt Verbandsgeschäftsführer Frank Bösenberg.
Jeder Arbeitsplatz in Chipfabrik
Röhrborn sagt, mit den geplanten neuen Chipfabriken beginne eine neue Ära für das Silicon Saxony. Weitere Unternehmen würden den Weg nach Sachsen finden, um von der Forschungsdichte, der Produktion und dem Können der vielen mittelständischen Firmen zu profitieren. Der Verband bleibt bei seiner Prognose, dass mit jedem zusätzlichen Arbeitsplatz in einer Chipfabrik drei weitere bei Lieferanten in der Region entstehen und noch einmal sechs oder sieben in der Zulieferindustrie.

Eike-Christian Spitzner, Bereichsleiter bei VDI/VDE Innovation und Technik, hat mit Kollegen die ökonomischen Effekte der geplanten Intel-Chipfabrik für Magdeburg berechnet. Dort werden gut 30 Milliarden Euro investiert, davon zehn Milliarden Euro vom Staat. Nach drei Jahrzehnten spätestens dürften die Subventionen ausgeglichen sein, weil der Staat Steuern und Sozialabgaben von 250 bis 400 Millionen Euro jährlich erwarten könne. Der Elektronik-Großhändler Avnet aus den USA hat inzwischen angekündigt, in Bernburg in Sachsen-Anhalt ein „Hochleistungsdistributionszentrum“ für die Branche zu schaffen.
Tschechien und Polen holen auf bei Chip-Industrie
Magdeburg und die umliegenden Regionen müssten Wohnraum schaffen und den Nahverkehr ausbauen – wie Sachsen für die angekündigte neue Fabrik ESMC und den Ausbau bei Infineon. Bösenberg weist darauf hin, dass auch Prag sich intensiv um den taiwanischen Investor beworben habe. Auch in Tschechien sei mit neuen Zulieferbetrieben zu rechnen. In Breslau in Polen investiere Intel fünf Milliarden Euro in ein Werk zur Endverarbeitung der Mikrochips. Vor zwei Wochen hatten sich in Dresden Vertreter aus 31 Regionen Europas getroffen, die mit der Branche zu tun haben. Sie wollen zusammenarbeiten.
Ein Rundgang mit Besuch an den Firmenständen beim Silicon Saxony Day lohnt sich: Gerne klären die Experten auf, woran sie arbeiten. Ramona Fiedler vom Mikrochiphersteller X-Fab berichtet, das Halbleitermaterial Galliumnitrid werde zunehmend auch in der Dresdner Chipfabrik eingesetzt. Es verringere Energieverluste beim Schalten und werde etwa für Antennenanlagen und Windkrafträder eingesetzt. Bei der Langen Nacht der Wissenschaften an diesem Freitag will X-Fab auch darüber informieren.
Der Forschungsmanager Martin Landgraf vom Fraunhofer-Institut IPMS berichtet, dass die Institute auch in Dresden zunehmend an Quantencomputern arbeiten. Die Forscher wollten dabei zunehmend auf demselben Standard arbeiten wie die Industrie – bei der Mikrochipforschung geschieht das schon lange, Fraunhofer CNT hat Anlagen wie Globalfoundries. Für die Quantencomputer arbeiten die Forscher mit Kryokammern, weil statt Transistoren Qubits die wichtigen Funktionen übernehmen – bei sehr niedrigen Temperaturen. Auf dem Flughafen Dresden dagegen herrschte am Dienstag Wohlfühlatmosphäre zwischen den Infoständen. Der Silicon Saxony Day fand zum 18. Mal statt und wurde unter anderem von der landeseigenen Wirtschaftsförderung Sachsen gesponsert.