Von Heiko Weckbrodt
Dresden. Künstliche Intelligenz (KI), die Bändigung des Energieverbrauchs von Mobilfunknetzen bei wachsendem Datendurchsatz und neue vernetzte Geschäftsmodelle beschäftigen derzeit in hohem Maße die deutsche Telekommunikations-Wirtschaft (TK). Viele Branchengrößen setzen zudem mehr und mehr auf offene Netzwerk-Architekturen wie „OpenRAN“, um sich unabhängiger von Spezialelektronik-Anbietern aus China zu machen und den Stromverbrauch ihrer Funk-Basisstationen zu drosseln. Einige Lösungen für diese Herausforderungen entwickeln und testen seit geraumer Zeit Unis, Forschungszentren und Unternehmen in Sachsen. Beispiele dafür sind kommerzielle Paket-Drohnendienste, Telemedizin, Straßenlaternen mit 5G-Mobilfunksendern und Avatare, die wie möglichst menschenähnlich mit Kunden parlieren können.
Vodafone-Zentrum Dresden arbeitet an vernetzten Bahnen
Zu den etablierten „Platzhirschen“ in Sachsen wie der TU Dresden und dem Barkhausen-Institut hat sich erst kürzlich ein neuer-alter Akteur mit viel Erfahrung und Forschungskraft im Mobilfunksektor dazu gesellt: „Unser Vodadone Tech Innovation Center Dresden ist nun fertig“, verkündete Vodafone-Manager Michael Langer während der Technologietagung „Connect 2024“ in der sächsischen Landeshauptstadt. Rund 200 Experten wollen hier beispielsweise an der nächsten, der sechsten Generation (6G) des Mobilfunks feilen, die vernetzte Baustelle der Zukunft vorbereiten, den KI-Einsatz in den Kommunikationsnetzen vorantreiben, aber auch neue digitale Geschäftsmodelle, kommerzielle Flugdrohnen-Dienste und digitale Gesundheits-Anwendungen entwickeln. Das Team arbeitet gemeinsam mit Kooperationspartnern wie den Unis Dresden und Chemnitz beispielsweise im Erzgebirge am vernetzten Bahnverkehr von morgen, an KI-überwachten Rangierbahnhöfen für die Deutsche Bahn und dergleichen mehr. „Unsere Kernthemen sind dabei Innovationen im Unternehmenssektor, aber auch Nachhaltigkeit und Energieverbrauch in unseren Netzen“, erklärt Michael Langer.
An einem „Evergreen“ unter der Verheißungen der Digitalära arbeitet derweil das private „6G Health Institute“ in Markkleeberg gemeinsam mit dem TK-Konzern O2 Telefónica: Das Team um Professor Christoph Thümmler entwickelt dort in einem abgesicherten 5G-Campusnetz an Telemedizin und vernetzter Medizintechnik. Die Forscher arbeiten dort laut eigenem Bekunden „Schnittstelle zwischen Kommunikationselektronik und Medizintechnologie“ an einer „digitalen Transformation im Gesundheitswesen, die wir in Sachsen unbedingt benötigen“, so Prof. Thümmler.
Digitale Übersetzer und Lotsen für Touristen erhöhen Datenlast im Netz
Eine weitere Neuerung, die als Idee ebenfalls schon lange in der Diskussion ist, testet „O2 Telefónica“ derzeit in Dresden, Köln und ausgewählten weiteren Standorten: Weil dem Unternehmen die Standorte für Dach-Basisstationen ausgehen, gerade in vielbesuchten Großstädten wie Dresden aber der Bedarf an mehr Datendurchsatz per Smartphone immer mehr steigt, installiert das Unternehmen nun probeweise 5G-Stationen an der Spitze von mindestens zehn Meter hohen Straßenlaternen. Das Konzept selbst ist wie erwähnt nicht neu: Schon nach der Jahrtausendwende kam vielerorts der Gedanke auf, ohnehin vorhandene Laternen auch gleich noch als WLAN- und Mobilfunk-Sender zu verwenden. Nun sei es endlich so weit, diese Idee in größerem Maßstab zu verwirklichen, sagt O2-Sprecher Florian Streicher. Dabei gehe es nicht so sehr um eine bessere Netzabdeckung, sondern vor allem um mehr Datentempo: „Denken Sie beispielsweise daran, wie oft Touristen heute mit ihren Smartphones irgendetwas übersetzen wollen oder netzgestützt durch Dresden navigieren. All dies steigert die Datenlast in den Netzen.“ Und dabei sollen eben die 5G-Laternen helfen, die O2 gemeinsam mit 5G Synergiewerk in den ausgewählten Pilotstädten installiert. In Dresden sind laut O2-Technikexperte Alexander Seitz zunächst zehn solcher Funk-Laternen geplant. Präsentiert hat O2 in Dresden auch seine neue Avatarin „Aura“: Als Verkörperung einer eigens dafür angelernten Künstlichen Intelligenz plaudert Aura mit O2-Kunden, versucht deren Handy-Probleme zu lösen – und macht auch schon mal ein Selfie von sich.
Digitaler Zwilling übernimmt den Vortrag
Ähnliches hat auch Enrique Moreno vom Software-Unternehmen NTT Data Deutschland in Dresden vorgeführt: Mitten im Vortrag übergab er das Wort an einen mit KI-Hilfe binnen Minuten geschaffenen digitalen Zwilling seiner selbst. Dieser Avatar sah aus wie Moreno, gestikulierte wie er und parlierte in verschiedenen Sprachen mit Morenos Stimme – nur mit weniger spanischen Akzent im Englischen, worauf der TK-Experte augenzwinkernd gleich selbst hinwies. Auch NTT hat sich übrigens inzwischen dauerhaft in Sachsen angesiedelt: In den ehemaligen Nagema- beziehungsweise Schokopack-Hochhäusern am Moränenende in Dresden betreibt das japanische Unternehmen eine Softwareschmiede.
Als Schwergewicht und Innovationstreiber der Mobilfunk-Forschung behauptet sich derweil weiter die TU Dresden: Deren 5G+ Lab Germany, die Lehrstühle der Elektronik-Professoren Gerhard Fettweis und Frank Fitzek, aber auch Exzellenzcluster wie das „Ceti“ und das angedockte Barkhausen-Institut haben weltweite Standards für den Mobilfunk mitdefiniert, für zahlreiche Ausgründungen gesorgt – und waren auch wesentliche Faktoren, warum sich Konzerne wie Vodafone mit einem großen Entwicklungszentrum in Dresden ansiedeln. Zu den einschlägigen Ausgründungen gehören beispielsweise die Antennen-Spezialisten von Xilinx alias Airrays, der 5G-Campusnetz-Anbieter „Campusgenius“, Signalion, Radioopt und andere Firmen, die inzwischen teils von internationalen Konzernen übernommen worden sind.
Weniger Stromverbrauch, weniger Abhängigkeit: Offene Netzarchitekturen im Kommen
Zu den jüngeren TK-Projekten der Uni und ihrer Partner gehören beispielsweise „6G-life“, die den Mobilfunk der 6. Generation unter ganzheitlichen Gesichtspunkten mitentwickeln, Quantenkommunikations-Vorhaben wie „Quiet“ und „QD-CamNetz“. Und auch die OpenRAN-Studien des Dresdner Barkhausen-Instituts gewinnen an Gewicht. Denn gerade diese offenen Netzwerkarchitekturen, die oft als „ORAN“ abgekürzt werden, sind derzeit in der Branche schwer im Kommen. Das Konzept dahinter sieht vor, künftig weniger Spezial-Technik in Fest- und Mobilfunk-Netzen zu installieren, sondern deren Funktionen in Datenzentren mit Standard-Rechnern zu simulieren. Dadurch genügen auf den Hausdächern und an den Funkmasten vereinfachte und billigere Funk-Basistationen. Zudem sind die TK-Konzerne dann weniger den Launen der Politiker ausgeliefert: Wenn die USA wieder ihre Verbündeten unter Druck setzen, die chinesische Huawei-Technik aus ihren Netzen herauszuwerfen, können ORAN-Architekturen deren Spezialfähigkeiten nachahmen. Und: Wenn Elektronik-Funktionen aus den Basisstationen in die Datenzentren verlagert werden, dann sinken Energieverbrauch und Infrastruktur-Anforderungen vor Ort, während sich der Energiebedarf der Datenzentren vergleichsweise effizient decken lässt. Michael Martin von „1&1“ ist daher überzeugt: „ORAN macht uns weniger abhängig von einzelnen Hardware-Anbieter, wir können die besten Antennen verwenden, die gerade verfügbar sind, und unserer CO2-Fußabdruck verbessert sich ebenfalls.“