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Ein Hausarzt für 800 Quadratkilometer Fläche

Die Ärztebereitschaft soll effizienter organisiert werden. Landärzte fürchten nun aber um das Wohl ihrer Patienten.

Lesedauer: 3 Minuten

Was in den Regionen Görlitz, Delitzsch und Annaberg bereits als Pilotprojekt läuft, soll bald auch auf die Sächsische Schweiz und das Osterzgebirge ausgedehnt werden: komplett neue Strukturen beim hausärztlichen Bereitschaftsdienst. Kernstück der Reform ist die Einrichtung sogenannter Bereitschaftspraxen an den Kliniken Freital und Pirna. Doch das geplante System hat Tücken. Ärzte sind zumindest skeptisch, ob es funktionieren kann.

Wie funktioniert die Hausarzt-Bereitschaft heute?

Benötigt man nachts oder am Wochenende hausärztliche Hilfe, wird man unter der kostenlosen Telefonnummer 116 117 an den Bereitschafts-Hausarzt vermittelt. Drei Dienstbereiche gibt es dafür im Landkreis: Neustadt/Sebnitz, Pirna und Dippoldiswalde. In jedem dieser Gebiete ist ein Hausarzt dienstbereit, wenn die Praxen geschlossen haben. Ruft jemand an, kommt der Arzt mit dem eigenen Auto zum Patienten nach Hause, oder er bestellt ihn – falls möglich und zumutbar – zu sich in die Praxis. Freital, Wilsdruff und Bannewitz sind derzeit dem Dienstbereich Dresden zugeordnet.

Warum soll an dem System etwas geändert werden?

Offiziell verfolgt die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen (KVS) als Vertretung der niedergelassenen Ärzte zwei Ziele mit der Dienstreform: Zum einen sollen die Ärzte entlastet werden, der einzelne also übers Jahr gesehen weniger Nacht- und Wochenenddienste machen müssen. Zum anderen will man die Patientenströme besser lenken. Nicht lebensbedrohliche Beschwerden soll auch nachts der Hausarzt behandeln, nur akute Fälle sollen in die Notaufnahmen der Kliniken kommen.

Genau hier liegt zurzeit eine Krux im System: Die Hausarzt-Bereitschaft ist bei Patienten heute weit weniger gefragt als früher, es hat sich inzwischen eingebürgert, dass viele Patienten auch bei minderschweren Wehwehchen direkt die Notaufnahme ansteuern. Dort sind sie sicher, dass immer offen ist; viele Menschen kennen die Hausarzt-Bereitschaftsnummer gar nicht. Die Klinik-Betreiber sagen nun: Wenn die Hausarzt-Bereitschaft ihren Zweck nicht erfüllt, kann man sie auch abschaffen und die Krankenhäuser übernehmen den Dienst. Damit würde den niedergelassenen Ärzten aber Geld aus ihrem Honorartopf abgezogen.

Wie genau soll der neue Hausarzt-Dienst aussehen?

Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen hat ein Modell entwickelt, das die Erreichbarkeit der Hausärzte verbessern und gleichzeitig die Personalsituation im Bereitschaftsdienst entspannen soll. Geplant ist, die Dienstbereiche im Landkreis auf zwei zu reduzieren: Dippoldiswalde/Freital und Pirna/Neustadt. Dort wird es laut KVS dann 170 bzw. 160 zum Bereitschaftsdienst verpflichtete Ärzte geben.

In jedem Dienstbereich, so der Plan, hat ein Hausarzt nachts Rufdienst und kann zu Hausbesuchen fahren. Aufgrund der größer werdenden Entfernungen muss er dafür nicht mehr wie bisher selbst hinters Steuer, sondern bekommt einen Fahrer zur Seite gestellt. Zusätzlich soll an den Kliniken in Freital und Pirna jeweils eine Hausarzt-Bereitschaftspraxis eingerichtet werden. Damit will man eine bessere Kooperation mit den Notaufnahmen erreichen. Heißt: Die Notaufnahme kann minderschwere Fälle an den Hausarzt-Dienst übergeben, der Bereitschafts-Hausarzt wiederum akut Erkrankte in die Notaufnahme überstellen. Bereitschaftspraxen an den Kliniken in Sebnitz und Dippoldiswalde sind ausdrücklich nicht geplant.

Laut Kassenärztlicher Vereinigung soll die neue Struktur bis Ende 2019 im Bereich Freital/Dippoldiswalde eingeführt sein, bis Ende 2020 in der Sächsischen Schweiz.

Wie sehen die Ärzte das neue System?

Es gibt große Bedenken in der Ärzteschaft. Vor allem Hausärzte in den ländlichen Gebieten fürchten eine erhebliche Verschlechterung der Versorgungssituation für ihre Patienten. Das hat vor allem mit der geplanten Vergrößerung der Dienstbereiche zu tun. Der neue Dienstbereich Dippoldiswalde wird sich über 826 Quadratkilometer Fläche erstrecken, der Dienstbereich Pirna-Neustadt über 827 Quadratkilometer. "Wir werden ewig unterwegs sein", sagt der Allgemeinmediziner Jürgen Lehmann aus Neustadt. "Das ist sowohl für die diensthabenden Ärzte, als auch für die Patienten unzumutbar." Tatsächlich wirft schon allein ein Blick in den Routenplaner Fragen auf. Wird der Arzt aus Neustadt zum Beispiel zu einem Patienten nach Bielatal gerufen, muss er mit rund 45 Minuten reiner Fahrtzeit rechnen, bis er beim Patienten zu Hause ist. Inzwischen ruft vielleicht ein Patient aus Stolpen an. Dessen Wartezeit würde sich dann schon auf rund zwei Stunden summieren. Die Unwägbarkeiten der Witterung noch nicht eingerechnet. "Die Versorgung für die Patienten im ländlichen Raum wird sich eklatant verschlechtern", fürchtet Jürgen Lehmann.

Die Kassenärztliche Vereinigung selbst hat für den geplanten Dienstbereich Pirna-Neustadt hochgerechnet, dass der Bereitschaftsdienst pro Nacht in der Regel etwa ein bis fünfmal in Anspruch genommen werden würde. An Feiertagen könnten laut der Erfahrungswerte aus den vergangenen Jahren aber auch 30 und mehr Hausbesuche anfallen. Für einen Arzt allein wäre das nicht zu schaffen.

Eine einheitliche Position der niedergelassenen Ärzte im Landkreis zur Bereitschaftsdienstreform gibt es unterdessen nicht. Die Haltung derzeit ist eher abwartend. Neben den Ärzten, die fürchten, dass das neue System Nachteile für sie und ihre Patienten bringen wird, gibt es auch Mediziner, die sich über die Aussicht auf weniger Dienste pro Jahr freuen.

Den Ärzten selbst hatte die KVS das angedachte Dienstregime bereits Ende 2017 auf einer Veranstaltung im Klinikum Pirna vorgestellt. Seither gibt es keine wesentlichen neuen Erkenntnisse. Immerhin sieht auch die KVS das Problem der weiten Wege. Ihr Lösungsvorschlag: An Wochenenden und Feiertagen sollen zeitweise zwei Ärzte je Bereitschaftsdienstbereich parallel Hausbesuche fahren.

 

Von Christian Eissner

Foto: Eric Weser

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