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Dieser Marketing-Profi legt in Görlitz los

Oliver Heinrich hat für große Agenturen in ganz Deutschland gearbeitet. Jetzt hilft er an der Neiße bei der Digitalisierung.

Lesedauer: 3 Minuten

Die Wände und Möbel sind in schwarz und weiß gehalten, von den Decken hängen diverse Lampen und Brillen. Eine Wand ist vollgekritzelt mit Worten und kleinen Bildchen, an den anderen sind Kisten befestigt. Überall steht Technik herum und mittendrin, quasi als Kontrastpunkt, ein Aquarium. Keine Frage, solche Büros haben in Görlitz Seltenheitswert.

Und Menschen wie Inhaber Oliver Heinrich auch. „Rocketman and Bear“ hat der 39-Jährige sein Unternehmen genannt. Am Klosterplatz 3 hat er sich dort eingemietet, wo zuvor das Café CaRe Pralinen verkauft hat. Seit 12. März ist „Rocketman and Bear“ geöffnet – als Beratungs-, Strategie- und Technologie-Büro. „Kein klassisches Werbebüro, wo man Flyer und Prospekte bekommt“, sagt Heinrich. Zu ihm kommen Firmen, die erkannt haben, dass sie ein Problem haben, die richtigen Kunden zu erreichen, aber nicht so recht wissen, wie das gelingen könnte. Heinrich schaut sich die Firma an, hört dem Inhaber zu – und entwickelt dann eine Idee.

Bei Claudia Lysow war das so. Sie betreibt seit anderthalb Jahren am Obermarkt das Büro „Reiseziel Polen“ und bietet Flug-, Bus- und individuelle Reisen an. Der Erfolg ist durchwachsen: „Viele Individualreisende haben uns gern als Info-Punkt angefragt, aber am Ende doch direkt im Hotel gebucht.“ Seit Januar ist sie mit Heinrich im Kontakt, mittlerweile sind die beiden privat ein Paar. 

Ihr Unternehmen hat er seither gründlich auf den Kopf gestellt. Individualreisen stehen dort künftig nicht mehr im Fokus, stattdessen spezialisiert es sich auf Gruppenangebote. „Spezialisierung auf Nischen und Marktlücken ist oft hilfreich“, sagt Heinrich. Er hilft seiner Partnerin jetzt, das neue Konzept umzusetzen, vor allem im digitalen Marketing.

Heinrich hat seine familiären Wurzeln hier, der Vater wurde in Görlitz geboren, die Mutter stammt aus dem Spreewald. Er selbst wuchs in Cottbus auf – bis zur vierten Klasse. „Im Mai 1990 ist unsere Familie nach Ostwestfalen gezogen“, sagt er. Zehn Jahre später begann er eine Ausbildung als Mediengestalter für Digital- und Printmedien. „Ich wollte nicht studieren, sondern immer gleich machen“, sagt er. Inzwischen ist er fast 20 Jahre in der Branche, hat bei den größten Agenturen gearbeitet und ist ständig umgezogen: Bielefeld, Karlsruhe, Essen, Walsrode, Bremen, München, Stuttgart, Hamburg, Düsseldorf. „Das ging alles rasend schnell“, sagt er. Bis auf drei Jahre Selbstständigkeit war er immer angestellt.

Und nun Görlitz? Drei Gründe sprechen dafür. Erstens: „Unsere Familie ist in Ostwestfalen nie wirklich heimisch geworden.“ Seine Eltern waren vor fünf Jahren die Ersten, die nach Görlitz umzogen, später folgten seine Oma, seine Schwester und seine Nichte. „Vielleicht kommen die anderen Großeltern auch noch“, sagt er. Der 87-jährige Großvater Heinrich war früher mal Leiter der hiesigen Verkehrsbetriebe. Zweitens: „Hier gibt es noch niemanden mit dieser Expertise.“ Alles sei Neuland, hier könne er noch viele Dinge anschieben. Und drittens: Heinrich wird dieses Jahr 40 und hat langsam genug von den Großstädten.

Arbeiten kann er ohnehin überall, wo es schnelles Internet gibt. Im Sommer fiel die Entscheidung für Görlitz, seit November ist er hier, legte zuerst von zu Hause in der Nikolaivorstadt aus los, seit März ist er am Klosterplatz. „Rocketman and Bear“, das steht für den schnellen, dynamischen Raketenmann, der immer zündende Ideen hat, und den Bären, der leise ist: „Ich höre erst einmal zu und fange dann an zu arbeiten.“ Der Name sei ihm binnen Minuten eingefallen. Die Selbstständigkeit reizt ihn sehr: „Als Angestellter ist man immer eingeschränkt.“ So sei die Arbeit nicht immer die volle Befriedigung gewesen.

Jetzt fängt er mit all der Erfahrung aus den großen Städten „in einem unberührten Land“ bei Null an: „Das ist der Reiz.“ Neben einigen Großkunden, die er von früheren Jobs mitgebracht hat, hat er inzwischen auch ein paar Hiesige gefunden. Claudia Lysow zum Beispiel, oder das Hotel Marschall Duroc. Der Europastadt GmbH (EGZ), die ihn bei seiner Ansiedlung in Görlitz sehr unterstützt hat, will er jetzt ein digitales Tourismusprojekt vorstellen.

Da geht es um Virtual Reality, also die gleichzeitige Wahrnehmung von Wirklichkeit und computergenerierter Umgebung. „Alte Fassaden verbunden mit neuester Technologie“, sagt Heinrich. Das will er in Görlitz starten, bevor es Dresden und Leipzig tun. Er hofft, dass die EGZ dafür ein Budget hat: „Falls nicht, machen wir das selbst.“

Die Tourismusbranche hat es ihm beruflich auf jeden Fall angetan. Und die Stadt privat. „Für mich ist hier Endstation“, sagt er. Vom ständigen Umziehen hat er die Nase voll. Und zu tun gebe es in Görlitz genug. Er will schnell wachsen. „Rocketman and Bear“ soll noch dieses Jahr zwei bis drei Tochterunternehmen erhalten, mit seiner Partnerin plant er noch weitere Unternehmen – ebenso dieses Jahr. Auch wenn Görlitz kleiner ist als die vorherigen Stationen – sein Tempo behält er bei: „Persönlich will ich zurückschalten, beruflich nicht.“

 

Von Ingo Kramer

Foto: © Nikolai Schmidt

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