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Der tiefe Fall von Batteriehersteller Blackstone in Döbeln

Wirtschaftsminister Martin Dulig (r) staunt im März 2022, als Ex-Chef Holger Gritzka (l) Pouchzellen aus Döbeln präsentiert. Doch statt gestapelter Anoden- und Kathodenfolien haben die Dummies nur einen Plastikkern. In dem Werk wurde wohl nie produziert.

Lesedauer: 6 Minuten

Das Projekt um Batterien aus dem 3-D-Drucker von Blackstone in Döbeln droht zu scheitern. Eine Geschichte von Blauäugigkeit, Ignoranz und enttäuschten Hoffnungen.

Aufatmen bei den Protagonisten der Bilanz-Pressekonferenz der Wirtschaftsförderung Sachsen (WFS) vor gut zwei Wochen: Es gab keine Fragen zu einem Unternehmen, das die Standortwerber noch ein Jahr zuvor als Vorzeigeprojekt gepriesen hatten. Keine Fragen zum Batteriehersteller Blackstone Technology in Döbeln.

Die Antworten hätten vermutlich die drittbeste WFS-Bilanz der letzten zehn Jahre in den Schatten gestellt. Und das haben die 2022 erreichten 16 Ansiedlungen und Erweiterungen für 690 Millionen Euro sowie 1.265 neue oder erhaltene Jobs nicht verdient. Die Firma ist zum lästigen Problemfall geworden, über den man lieber den Mantel des Schweigens legt. Blackstone: das schwarze Schaf – und eine Blackbox.

Am 25. Februar hatte saechsische.de über Ungereimtheiten und offene Fragen bei dem Betrieb und seiner Schweizer Mutter, der Blackstone Resources AG, berichtet. Sie wollten den Markt mit Batteriezellen aus dem 3-D-Drucker aufmischen: Kleinserien mit einer um 20 Prozent höheren Energiedichte als Lithium-Ionen-Batterien, wasserbasiert, nachhaltiger, effizienter produziert und mit 50 Prozent weniger Abfall. Die Flexibilität von Bauformen sollte vor allem in der Autoindustrie begeistern. Landes- und Bundespolitik waren ebenso elektrisiert wie Aktionäre, Fördergeldgeber, Medien und Juroren von Innovationspreisen.

24 Millionen Euro vom Bund

Konzernchef Ulrich Ernst hatte beim angeblichen Produktionsstart Ende 2021 die Serienreife verkündet. Vom Game-Changer war die Rede, einem radikalen Spielveränderer. Noch im vorigen Jahr feierten Sachsens Premier Michael Kretschmer (CDU), Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) und andere die Pioniere der Energiewende, die in der strukturschwachen Region 400 Jobs schaffen wollten. Die Euphorie war so groß, dass das Bundeswirtschaftsministerium einen Förderbescheid über 24,1 Millionen Euro erteilte.

Prüfender Blick des Wirtschaftsingenieurs Michael Kretschmer (M.). Sachsens Ministerpräsident ist bei seinem Besuch 2022 „sehr beeindruckt, was Blackstone schon erreicht hat“.
Prüfender Blick des Wirtschaftsingenieurs Michael Kretschmer (M.). Sachsens Ministerpräsident ist bei seinem Besuch 2022 „sehr beeindruckt, was Blackstone schon erreicht hat“.© Dietmar Thomas

Doch es wurde still um den selbst ernannten Branchenstar. Presseanfragen bleiben unbeantwortet. Geschäftsführer Holger Gritzka war im vorigen Sommer plötzlich weg. Der Mann aus Großröhrsdorf bei Dresden wollte schon 2017 das große Rad drehen und als Chef der in Frankfurt am Main ansässigen Holding Terra-E die erste europäische Gigafabrik für Batteriezellen mit 3.000 Jobs bauen. Keine zwei Jahre später war das Unternehmen, in das die Mittelständische Beteiligungsgesellschaft Sachsen eingestiegen war, in Liquidation. Auch damals ging es um Millionen vom Bund für eine Technologie, welche die für Ende 2019 geplante Zellfertigung günstiger machen sollte.

Blackstone Technology habe für die Errichtung seiner Produktionsstätte den maximal zulässigen Fördersatz beantragt, heißt es von Sachsens – mittlerweile besorgtem – Wirtschaftsministerium. Von den gewährten 5,4 Millionen Euro seien rund 840.000 Euro, je hälftig von Bund und Land, ausgezahlt worden. Sowohl der Freistaat als auch das Bundeswirtschaftsministerium erklären, dass der korrekte Einsatz der Beihilfe kontrolliert werde. Nur angefallene Kosten würden nachträglich und anteilig erstattet, heißt es.

Sehr hohes Ausfallrisiko

Noch vor einem halben Jahr sprach Blackstone von einer planmäßigen „Roadmap“. Doch für das geplante neue Produktionsgebäude fehlt das Geld. Selbst von der vorhandenen Werkhalle ist nur der kleinste Bereich ausgebaut und mit Maschinen bestückt. Der übergroße Rest ist leer.

In der Blackstone-Bilanz für 2021 steht ein Fehlbetrag von 1,7 Millionen Euro. Anlaufverluste sind nicht ungewöhnlich, die Erlöse der Döbelner aber von Fördermitteln geprägt. Auffällig auch: Rechts- und Beratungskosten von 285.000 Euro. Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform bescheinigt dem 2018 gegründeten Unternehmen per Index von 394 schwache Bonität und Liquidität sowie ein sehr hohes Ausfallrisiko.

Hinzukommen hohe Schulden. So bestätigt die Ekra Automatisierungssysteme GmbH im schwäbischen Bönnigheim offene Forderungen. Der Anbieter von Sieb- und Schablonendruckern habe Blackstone Technology „Maschinen geliefert, zweimal angemahnt und dann gesperrt“, sagt Chef Markus Albrecht. Mitarbeiter berichten auch von Mietrückständen gegenüber dem Besitzer der Werkhalle und dass ein Entsorger wegen offener Rechnungen Abfallbehälter abgeholt habe. Eine Bestätigung gibt es nicht, auch weil Blackstone schweigt.

Jene, die es wissen, sitzen in Baar, im Schweizer Kanton Zug. Blackstone Resources hat sich auf den Markt für Batterietechnologie und Batteriemetalle konzentriert. Der Konzern entwickelt, forscht und handelt mit Lithium, Kobalt, Mangan, Graphit, Nickel und Kupfer. 2019 hatte er sich erstmals ins Gespräch gebracht. Die Schweizer wollten zunächst 100 Millionen Batteriezellen pro Jahr fertigen – genug für 25.000 bis 100.000 Akkus von E-Autos. Präsentationen geben Beteiligungen und Lizenzen für den Abbau der Bodenschätze unter anderem in Indonesien, Peru, Kolumbien, Chile, Kanada, Norwegen und der Mongolei vor.

Briefkasten als Headoffice

Doch wer den Sitz des vermeintlichen Global Players besucht, ist ernüchtert. Der Dreigeschosser beherbergt mehrere Firmen, aber – und anders, als der Imagefilm auf der Firmen-Website suggeriert – keine Büros von Blackstone Resources. Nur am Briefkasten einer TIM Turicum Investment Management taucht der Name auf – neben 19 weiteren. „Die Firma hat die Anschrift bei uns, und wenn Post kommt, leiten wir sie weiter“, sagt ein TIM-Mitarbeiter. Blackstone habe „nur ein Postfach, mehr nicht“, aber das sei in der Schweiz legal. „Hier kann sich jeder irgendwo anmelden.“

Das Headoffice von Blackstone Resources im schweizerischen Baar ist nur ein Briefkasten der TIM AG, den sich die Mutter der Döbelner am Eingang dieses Hauses mit 19 anderen Firmen teilt.
Das Headoffice von Blackstone Resources im schweizerischen Baar ist nur ein Briefkasten der TIM AG, den sich die Mutter der Döbelner am Eingang dieses Hauses mit 19 anderen Firmen teilt.© dpa pa

Trotz der laxen Regelung waren die Eidgenossen aufgeschreckt. Im Oktober 2022 sei „der Handel mit Wertschriften von Blackstone Resources AG“ an der Schweizer Börse eingestellt worden, heißt es von deren Eigentümer SIX Group. Vorausgegangen waren Sanktionen der Börsenaufsicht wegen mutmaßlicher Verletzungen der Vorschriften zur Rechnungslegung. Zudem hatte die Finanzaufsicht FINMA Marktmanipulationen und Verstöße gegen Offenlegungspflichten festgestellt und ein Verfahren eingeleitet. Blackstone behauptete danach, sich selbst zurückgezogen zu haben, um im Ausland notiert zu werden.

Die 2018 gestartete Aktie hatte zwei Jahre später 90 Prozent ihres Werts verloren, aber mit Ankündigung des Döbelner Projekts war der Kurs nach oben geschossen. Doch es gibt Zweifel an der Werthaltigkeit der Rohstoffminen. Anleger sprechen gar von „gezieltem Betrug und Kursmanipulation“ und vom „Potemkinschen Dorf“. Blackstone-Mehrheitseigner Ernst war laut Schweizer Medien schon zuvor durch windige Investments aufgefallen. Von ihm und Gritzka angemeldete Patente sind laut Experten nicht viel wert, da sich die Technologie auf das bekannte Siebdruckverfahren beziehe und leicht zu umgehen sei.

„Nie richtig produziert“

„In Döbeln wurden lediglich beschichtete Elektrodenfolien hergestellt, aber keine Zellen“, heißt es aus der Belegschaft – auch wenn Blackstone das so darstelle. Überhaupt sei „nie richtig produziert, sondern nur geforscht worden“. „Mit einer produktreifen Festkörperbatterie hätte man frühestens 2027 rechnen können“, heißt es. Politprominenz wie Kretschmer und Dulig seien nicht funktionsfähige Dummies vorgelegt worden. Damit sie wie echte Teile aussehen, hätten sie statt gestapelter Elektroden einen volumengleichen Plastikkörper beinhaltet. Die tatsächlichen Pouchzellen entstünden gegen Bezahlung bei einem Hersteller in Schleswig-Holstein.

Seit Gritzkas Abgang ist Michael Hingst, Chef des operativen Geschäfts von Blackstone Resources, Boss in Döbeln. Er habe „noch im Januar Leute eingestellt, obwohl er nicht mal die vorhandenen bezahlen konnte“, schimpfen Beschäftigte. Einigen fehlen zweieinhalb Monatsgehälter, über 10.000 Euro. Mit „für die Region unglaublichen Stundenlöhnen von 15 bis 20 Euro“, habe Blackstone sein Personal geködert.

Ernsts Statthalter ist mehr noch mit Durchhalteparolen befasst, denn seit Mitte November sind fast alle Beschäftigten zu Hause. Hingst nennt es „Betriebsferien“, zunächst bis 13. Februar. Dann heißt es, die Anlage bleibe „bis auf Widerruf bis zum 27.03.23 geschlossen“. Saechsische.de liegen die Mitteilungen vor, auch vom Konzernboss selbst. Ernst vertröstet die auf ihr Geld Wartenden immer wieder und macht mit einem „strategischen Partner“ Hoffnung. Namen nennt er nicht. In der Belegschaft hatten Gerüchte über kanadische, später irische Investoren die Runde gemacht.

Michael Hingst ist seit vergangenen Sommer der neue Boss von Blackstone Technology in Döbeln. Seit dem Jahreswechsel ist er auch mit Durchhalteparolen an die Beschäftigten befasst. Etwa die Hälfte der Belegschaft hat sich inzwischen neue Jobs besorgt.
Michael Hingst ist seit vergangenen Sommer der neue Boss von Blackstone Technology in Döbeln. Seit dem Jahreswechsel ist er auch mit Durchhalteparolen an die Beschäftigten befasst. Etwa die Hälfte der Belegschaft hat sich inzwischen neue Jobs besorgt.© Blackstone Resources AG

Am 2. April schreibt Hingst: „Es ist endlich geschafft“, der Vertrag sei unterschrieben. In den nächsten Tagen komme die erste Tranche Geld, dann würden alle Gehälter ausgezahlt. „Ich brauche Sie alle in unserem Team“, fleht er. Doch die Hälfte der einst gut 20 Adressaten hat längst gekündigt, einige wollen klagen. Es ist auch von Insolvenzverschleppung die Rede. Sie liegt vor, wenn bei Zahlungsunfähigkeit nicht innerhalb von drei und bei Überschuldung binnen sechs Wochen Insolvenz beantragt wurde. Bis zum Freitag war noch kein Geld geflossen.

Ministerium: „Nicht beteiligt“

Unter den Abtrünnigen ist mit Serhat Yilmaz auch der Marketingchef, der selbst nicht mehr an seine Erfolgsmeldungen glaubte. „Dabei hätte Döbeln richtig Potenzial gehabt“, sagt der 37-jährige Augsburger mit eigenem Schuhlabel. Er ergänzt: „Nur der Zeitvorsprung war unser Asset.“ Der Vorteil scheint dahin. Am Montag soll die Produktion wieder aufgenommen werden. Doch falls bis dahin kein Geld gezahlt wurde, wollen die Verbliebenen streiken.

Und was sagt Sachsens Wirtschaftsministerium (SMWA)? „Wir wollen uns zu der Thematik nicht mehr äußern“, heißt es dort. Das sei „eine Sache zwischen der Sächsischen Aufbaubank und dem Unternehmen“, das Ministerium sei nicht beteiligt. Doch auch die Förderbank schweigt, beruft sich auf „Datenschutz sowie Betriebsverwaltungs- und Geschäftsgeheimnis“, obwohl es um Steuergelder geht. Daran ändere auch das in Sachsen seit Januar geltende Transparenzgesetz nichts, antwortet die Bank auf Nachfrage.

Das erklärt, warum wiederholt und schon Anfang 2021 von einer Mitarbeiterin vorgebrachte Warnungen im SMWA nicht beachtet wurden. Sie habe vor einem halben Jahr versucht, Wirtschaftsminister Dulig zu kontaktieren, doch er sei für sie nicht erreichbar gewesen. „Damals hätte man noch einiges anders machen können“, sagt sie. Vielleicht erfolgt ja die Aufklärung bei der Bilanzvorlage der Wirtschaftsförderung 2024. Dann sollte klar sein, ob und wie es mit dem einstigen Vorzeigeprojekt weitergeht.

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