Von Marc Hörcher
Die Kunden stöbern eifrig. Hier gibt es Bücher, dort ein schönes altes Teeservice – oder darf es vielleicht etwas Ausgefallenes sein? Ein Deko-Weihnachtselch aus Holz mit einem recht ausladenden puscheligen roten Schnurrbart? Oder doch ein praktischer Kiwi-Schneider für die Küche? Im Second-Hand-Laden „Silvias Fundgrube“ am oberen Elisabethplatz in Görlitz findet jede Kundin und jeder Kunde etwas Passendes. Heute tummeln sich viele bei den Kleiderständern. Die Noch-Inhaberin Silvia Püschel bahnt sich ihren Weg dort durch, an einer Kundin vorbei. „Na, geht’s heute zum Sport?“, beginnt sie einen kleinen Plausch. Das Privatgespräch mit den Stammkunden gehört für sie dazu, sie sind wie eine kleine Familie geworden. Das wird ihr fehlen, sagt sie. Denn Ende des Jahres wird sie ihr Geschäft altersbedingt aufgeben. Nach 34 Jahren ist dann Schluss.
„Ich habe immer gesagt, mit 70 möchte ich aufhören“, sagt Püschel. In knapp drei Wochen hat sie dieses Alter erreicht. Bis Ende November wird sie in ihrem Geschäft noch normal weiter arbeiten, es wird Ware angenommen und verkauft wie üblich. Ab dem 1. Dezember beginnt dann der Räumungsverkauf, ab Anfang 2025 soll – so er sich denn findet – jemand neues den Laden weiterführen. Vorsatz umgesetzt, so der Plan. Vor einem halben Jahr hat sie das Vorhaben mit einer Werbeanzeige in der Sächsischen Zeitung publik gemacht. Pünktlich zur Geburtstags-Schnapszahl, 33 Jahre lang präsent im Görlitzer Stadtbild ist „Silvias Fundgrube“ seitdem. In der Annonce hatte sie auch gleich mit der Nachfolger-Suche begonnen. Eine ernsthafte Interessentin habe sich Anfang Mai bei ihr gemeldet – ob es klappt, müsse man sehen, andere Interessenten können sich deswegen durchaus noch melden, sagt die 69-Jährige.
Püschel ist gelernte Gebrauchswerberin und Handelsökonomin. Zu DDR-Zeiten arbeitete sie beim Klimaanlagenhersteller „VEB Luft und Wärme“ in Görlitz-Weinhübel. Wie sehr vielen Mitarbeitern wurde auch ihr dort nach der Wende gekündigt – dann musste sie sich neu orientieren und setzte ihren Wunsch, selbstständig zu arbeiten, um. Über die Zeit vor der Wende möchte sie mit der Zeitung nicht großartig sprechen, das sei lange vergangen, meint sie – aber wann ihr neuer Lebensabschnitt begann, daran erinnert sie sich noch auf den Tag genau: am 1. Dezember 1990 hat sie ihren Laden eröffnet, damals noch am unteren Elisabethplatz, etwa 50 Quadratmeter Verkaufsfläche hatte die „Fundgrube“ damals zur Verfügung, nach eigener Aussage von Frau Püschel war es der erste Second-Hand-Laden damals. Heute sind sie zwar nicht mehr die einzigen, aber immer noch da. Stets unterstützt wurde sie von zwei Mitarbeiterinnen, immer mal wieder wechselnde Kräfte waren das, aber auch sie treu über viele Jahre hinweg mit dabei.
Das Angebot wächst weiter, und so zieht die „Fundgrube“ Ende der 90er Jahre um an ihren jetzigen Standort am oberen Elisabethplatz, an der Elisabethstraße 39, dort steht seither dreimal so viel Verkaufsfläche zur Verfügung wie einst an ihrem ersten Standort. Und nun, drei Jahrzehnte nach der Gründung, ist also Schluss, nach unzähligen gebrauchten gut erhaltenen Schuhen, Blusen, Hemden und Kinderspielzeugen, die durch ihren Laden ein neues Zuhause fanden. Gelebte Enkeltauglichkeit sozusagen lange bevor dieser Begriff überhaupt Einzug erhielt im Sprachgebrauch. „Die Kunden jammern schon alle. Sie bedauern es sehr, sehr“, sagt Püschel mit Nachdruck. „Es gab noch niemanden, der gesagt hat: ‚Es ist schön, dass ihr geht.‘ Im Gegenteil.“ Und wie fühlt sie selbst sich bei dem Gedanken? Sie hält kurz inne, seufzt leicht, verliert dabei ihren freundlich lächelnden Gesichtsausdruck nicht. „Ja, wie? Komisch“, sagt sie nur.
An der Wand hängt ein 3-D-Bild, es kostet 30 Euro. Schicke Plastikblumen sind für 3 Euro zu haben. In einem Regal lagern drei alten VHS-Kassetten, auf denen „Traumreise“-Dokus gespeichert sind. In der Ecke gegenüber stehen passenderweise zwei Reisekoffer. Und wie geht die Reise für die langjährige Inhaberin im nächsten Jahr weiter? Erstmal den Nachfolger anlernen – also, sofern der das möchte, die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen und lässt nur erahnen, wie sehr die Seniorin, die ja eigentlich schon jetzt längst im Ruhestand sein könnte, an ihrem Lebenswerk hängt. Okay, und dann? Zeit für die Familie nutzen, vielleicht irgendwo ein Ehrenamt antreten – welches und wo, werde sich dann schon zeigen, sagt sie. Erstmal stehen noch der Laden und die Kunden, in welchem sie die Kommissionsware verkauft, im Vordergrund – und der Spaß an der Arbeit, den auch der Nachfolger mitbringen sollte – ohne geht es nicht, sagt sie, verabschiedet uns und wendet sich gleich wieder einer Kundin in dem gut besuchten Geschäft mit ihrem Anliegen zu.