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Airports in Leipzig und Dresden fehlen 145 Millionen Euro: Stunde der Wahrheit für Sachsens Flughäfen

Beim Betreiber der Flughäfen Dresden und Leipzig-Halle geht es ans Eingemachte. Der Aufsichtsrat sucht am Montag Antworten auf viele Fragen – und eine undichte Stelle in seinen Reihen.

Lesedauer: 6 Minuten

Man sieht ein Flugzeug auf der Flugbahn
Ob die Mitteldeutsche Flughafen AG - wie diese Maschine am Airport Leipzig-Halle - nach der Aufsichtsratssitzung am Montag in bessere Zeiten starten kann, ist offen. Noch ist viel nebulös. © dpa-Zentralbild

Von Michael Rothe

Mayday! Finanziell steht der Mitteldeutschen Flughafen AG das Wasser bis zum Hals. Trotz der Zusage der Ministerpräsidenten von Sachsen und Sachsen-Anhalt, 100 Millionen Euro in den dauerdefizitären Betreiber der Flughäfen Leipzig-Halle und Dresden zu pumpen, haben Banken und Wirtschaftsauskunfteien ihr Rating für den landeseigenen Konzern deutlich herabgestuft und das Kreditlimit im Vergleich zum Januar um zwei Drittel gekürzt. Sie sprechen von einem „überdurchschnittlich hohen Ausfallrisiko“.

Laut einem Sanierungsgutachten der Wirtschaftsprüfer von KPMG fehlen von 2024 bis 2026 in Summe 145 Millionen Euro. Banken hatten die Staatshilfe zur Bedingung für neue Kredite und Teilfinanzierung der Restsumme gemacht. 11,6 Millionen Euro soll das Unternehmens selbst beitragen: durch ein besseres Betriebsergebnis 2023 und stärkere Einsparungen.

Die kleineren Miteigentümer sind schmallippig. Die Stadt Halle will die Rettungsinitiative nicht bewerten. Jedoch gibt es auf die Frage der SZ, ob sie sich entsprechend ihrer Gesellschafteranteile am Rettungspaket beteiligen werde, eine klare Antwort: „Nein“. In der Vergangenheit hieß es wiederholt, Halle und Sachsen-Anhalt wollten nicht länger für Verluste speziell des Dresdner Flughafens geradestehen und womöglich als Mitgesellschafter aussteigen. Doch dafür gebe es „gegenwärtig keine Pläne“, heißt von der Saale.

Das angefragte Statement von Leipzig ist noch dünner. Der Stadtsprecher sieht „die Hauptanteilseigner, die Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt, in der Pflicht“. Man sei sich „des enormen wirtschaftlichen Effekts des Flughafens bewusst und unterstützt diesen nach Kräften“.

Ausbaugegner kündigen Beihilfeklage in Brüssel an

Die Finanzhilfen seien „ein Ersatz von Aufwendungen nichtwirtschaftlicher Art“ – etwa für die Feuerwehr – „ und daher keine Beihilfen, die wettbewerbsrelevant werden“, heißt es im Bekenntnis der Premiers Michael Kretschmer und Reiner Haseloff (beide CDU) zur Absicherung der MFAG.

Das sehen nicht alle so. Die Interessengemeinschaft Nachtflugverbot, eine Initiative lärmgestörter Anwohner am Flughafen Leipzig-Halle, will bei der EU-Kommission in Brüssel Beschwerde einlegen.

Das Unternehmen muss sich neu aufstellen. Beim Transformationsprozess soll Ex-Condor-Chef Ralf Teckentrup helfen, der in der Fliegerei als Koryphäe gilt, laut Beratervertrag einmal pro Woche vorbeischaut und sich als Pensionär noch etwas dazuverdient – beauftragt vom Aufsichtsrat, bezahlt von der MFAG. Das Restrukturierungskonzept sieht den Abbau von 124 Stellen in den nächsten drei Jahren vor.

Das Bild von schweren Turbulenzen taugt nicht, das spräche nur für äußere Einflüsse. So sehr sich die Führung des Landesunternehmens auch müht, ihre Probleme auf Corona, Ukrainekrieg, Energiekrise und Inflation zu schieben: Das Desaster ist zuerst hausgemacht und Ergebnis von Missmanagement, Vetternwirtschaft, Weggucken des Aufsichtsrats, Abducken der Landespolitik. Da sind sich Beobachter einig. Einer nennt es „Organversagen“.

Unter den Widrigkeiten der letzten Jahre hat die gesamte Luftfahrt gelitten, es gibt keine mildernden Umstände. „Die Corona-Krise hat den Flughafen Leipzig-Halle sogar weniger getroffen als alle anderen Flughäfen in Deutschland, weil DHL – nicht zuletzt durch den Boom beim Onlineshopping – öfter geflogen ist“, sagt ein Insider. Der Passagierverkehr sei zwar weggebrochen, in Leipzig aber nie ein großes Geschäft gewesen – im Gegensatz zu Dresden.

Aufsichtsrat sucht undichte Stelle in den eigenen Reihen

Am Montag trifft sich der Aufsichtsrat der MFAG, die zu gut 77 Prozent dem Freistaat gehört. Dann muss die Führung um CEO Götz Ahmelmann Farbe bekennen. Auf der Tagesordnung steht die Bilanz 2023. Ferner soll sich der neue Chef-Restrukturierer Michael Hengstmann vorstellen, der vor zwei Wochen per Telefonkonferenz in den Vorstand berufen wurde. Und man will eine undichte Stelle finden im sonst so verschwiegenen Gremium. Von „forensischer Untersuchung“ ist die Rede.

In den letzten Monaten hatte die Öffentlichkeit über die SZ und andere Medien von der dramatischen Lage des öffentlich-rechtlichen Konzerns erfahren – zum Unmut von Aufsichtsratschefin Hiltrud Werner und der sächsischen Minister Hartmut Vorjohann (Finanzen, CDU) und Martin Dulig (Verkehr, SPD). Sie sitzen für den Haupteigner im Kontrollgremium, weichen Presseanfragen zur steuerfinanzierten MFAG aber aus. Das Finanzministerium verschickt Antworten sogar zuerst an das von seinem Chef zu kontrollierende Unternehmen, ehe sie der Fragesteller erhält.

Außer zum Finanzloch hatte es zuletzt Wirbel um einen zwischenzeitlich verschwundenen und letztlich gekündigten Sanierungsmanager gegeben. Für Schlagzeilen sorgte auch Alexander König, der entlassene Chef der Abfertigungstochter Portground, einziger Gewinnbringer im Konzern. Dazu die Daueraufreger um lärmgestörte Anwohner sowie die Billigverträge mit Posttochter DHL zum Nachteil des Leipziger Flughafens. Nachwehen und Preis massiver Konzessionen, um 2008 im deutschen Osten ein europäisches Luftfrachtkreuz zu eröffnen und dort 7.000 Jobs zu schaffen.

Verhandlungsführung mit DHL in der Kritik

Derzeit laufen Verhandlungen über neue Konditionen und die vorzeitige Verlängerung des Rahmenvertrags bis 2056. Dem Vernehmen nach würde der Logistikriese gern weiter in sein Frachtkreuz investieren, auch in einen neuen Hangar. Dafür erwartet er von der MFAG Stabilität und Planungssicherheit. Das sei „aber nicht mehr gegeben – das Management scheint kaum handlungsfähig“, heißt es aus informierten Kreisen. Gespräche und Prozesse würden verschleppt, Austausch finde „nicht mehr auf gewohnt professionellem Niveau“ statt.

Aus Sicht von Beobachtern bringt der Konzern seinem größten Kunden zu wenig Wertschätzung entgegen – auch weil Vorstandschef Ahmelmann bei Treffen gefehlt und „die zweite Riege“ geschickt habe. DHL sei bereit, Kosten für genutzte Infrastruktur und Dienstleistungen zu tragen, heißt es. Man könne aber „nicht Management- und Strukturprobleme der MFAG ausgleichen“ – etwa „operative Verluste des Flughafens Dresden und den enormen Aufbau an Overhead im Konzern“.

Der Flughafenkonzern hat eine andere Wahrnehmung. Dort will man sich offiziell nicht zu Kundenbeziehungen und laufenden Vertragsverhandlungen äußern. Dennoch wird der Eindruck vermittelt, man sei auch bei diesem Thema auf gutem Kurs.

Schon der von den Financiers eingeforderte „Chief Restructuring Officer“ war als Erfolg verkauft worden. „Der Aufsichtsrat bekräftigt mit dieser Entscheidung sein Vertrauen in den Vorstand“, heißt es zur Einführung von Sanierer Hengstmann. Seine Bestellung sei „ein klarer Auftrag, den eingeschlagenen erfolgreichen Kurs weiter konsequent fortzusetzen“.

Ex-Beamte des Freistaats als PR-Berater der MFAG

Wer MFAG-Mitteilungen liest, wähnt sich mitunter im falschen Film. Nachdem die SZ und andere Medien über Finanzloch und Sanierungsgutachten berichtet hatten, stellte das Unternehmen im März in einem Politikbrief klar, „warum von ,Rettung‘ nicht die Rede sein kann, sondern vielmehr von ,Perspektiven‘“. Sie seien gut. Und: „Auch in dieser Ausgabe lautet unser Motto: Wir fliegen auf Transparenz“.

Drei Monate später ist in der Vorlage von Sachsens Finanzminister für die Kabinettssitzung von „einer wirtschaftlich schwierigen, die Existenz gefährdenden Situation“ die Rede. Ohne Hilfe der Konsortialbanken sei ein regulärer Weiterbetrieb beider Flughäfen „akut gefährdet. Eine dann nicht auszuschließende Insolvenz aber hätte unkalkulierbare Folgen“.

Adressaten des weit optimistischeren Newsletters sind Entscheider in Wirtschaft und Politik – nicht zuletzt jene, die über die dreistellige Millionenhilfe befinden sollen. Produziert wird der Politikbrief von der Wolffberg Management Communication GmbH mit Sitz in Leipzig. Brisant: Deren Chef Peter Zimmermann war von 2007 bis 2009 Regierungssprecher in Sachsen. An seiner Seite: Mitgeschäftsführerin Sandra Schneider, fünf Jahre lang stellvertretende Regierungssprecherin. Als Sprecherin des Finanzministers hatte sie danach bis Ende 2021 auch schon sparsam auf Presseanfragen zu den Flughäfen geantwortet.

Keine Reaktion auf umstrittene Beraterverträge

Die Agentur steht auf einer vom Aufsichtsrat 2021 eingeforderten Beraterliste für die Jahre 2019 bis 2021. Gesamtvolumen knapp 7,9 Millionen Euro. Nach SZ-Informationen wurden sie in der Folge nie diskutiert, geschweige, dass es Konsequenzen gab. Immerhin wurden von den 51 Posten weit über die Hälfte auf kurzem Dienstweg vergeben: als „freie Vergabe“, wegen „langjähriger Zusammenarbeit“, „nach einer Marktrecherche“ oder „aufgrund einer Empfehlung“. Beobachter stellen den Nutzen vieler Verträge infrage. Sachsens Finanzministerium will sich mit Verweis auf Vertraulichkeit nicht zu den Deals äußern.

Die MFAG sieht in den Darstellungen keinen Widerspruch. „Die Ministerpräsidenten von Sachsen und Sachsen-Anhalt haben eine ,existenzgefährdende Situation’ angesprochen, die seit Jahren bekannt ist“, heißt es auf Anfrage. Seit 2000 fährt die MFAG jährlich zweistellige Millionenverluste ein. 2022 erwirtschaftete das Unternehmen bei 171 Millionen Euro Umsatz ein negatives Ergebnis von 36,5 Millionen Euro. 2023 sollen es nach SZ-Informationen sogar noch ein paar Millionen mehr sein.

Gleichwohl weist die Unternehmensgruppe darauf hin, „seit den letzten zehn Jahren und bis heute durchgehend operative Gewinne“ auszuweisen. Die Einnahmen lägen bereits über Vorkrisenniveau – durch gezielte Maßnahmen, insbesondere im „Non-Aviation-Bereich“, also in Einzelhandel, Gastronomie, Parken und Werbung. Das Unternehmen wolle „bis Ende der Dekade auch beim Ergebnis vor Steuern die Gewinnzone erreichen“: durch weiteres Wachstum. Großes Potenzial gebe es „in den Bereichen Logistik und Flächenentwicklung sowie in einem moderaten Wachstum des Passagieraufkommens“.

Tristesse im Terminal – trotz der Sommerferien

Der Flughafen in Dresden-Klotzsche zählte im vergangenen Jahr keine 930.000 Passagiere – weniger als vor 31 Jahren. Zwar gab es ein Plus von zehn Prozent zum Coronajahr zuvor, doch war das nur halb so hoch wie im Bundesmittel. Leipzig-Halle legte um 35 Prozent zu auf 2,1 Millionen Passagiere. Ergebnis einseitigen Marketings und Vertriebs zulasten der Landeshauptstadt, wie mancher unterstellt?

Die Führung dementiert, spricht von umfangreichen Anstrengungen, um „Dresden International“ zu vermarkten, neue Linien zu etablieren, Fluggäste im grenznahen Raum von Polen und Tschechien zu gewinnen. Zu den Aktivitäten gehörten „pro Jahr allein bis zu 100 Meetings nur im Rahmen von Messen“. Es gebe kontinuierlichen Kontakt zu allen relevanten Airlines, Online-Vermarktung auf Basis der Lufthansa-Kundendaten und mehr als 15 begleitete Roadshows in den Nachbarländern.

Der Erfolg ist überschaubar. Nach dem Verlust der Linien nach Amsterdam und London verfügt „Dresden International“ mit Zürich über nur noch eine Städteverbindung ins Ausland. In der Ankündigung des Sommerangebots wird die Stralsunder Sundair mit sieben Zielen als „Nummer eins unter den Ferienfliegern ab Dresden“ gefeiert. Im Terminal herrscht Tristesse, trotz der laufenden Sommerferien. Nachdem sich in den vergangenen Jahren immer mehr Airlines von Dresden verabschiedet haben, passen mehr als zwei Tage in die 32 Zeilen der Abflugtafel.

DRS beim Sitzplatzangebot Schlusslicht in Deutschland

Provokant ist vom „Geisterflughafen“ die Rede – auch, weil sein Management in Leipzig sitzt. Und selbst dort regiere ein Team, das nicht in Sachsen beheimatet sei und in den Westen oder nach Berlin pendele, heißt es. Bis in die 2000er-Jahre habe selbst für mittleres Management die Pflicht gegolten, den Hauptwohnsitz binnen sechs Monaten in der Region zu nehmen. Nachfragen kontert eine Konzernsprecherin mit der Aufzählung von Chefs anderer Airports, die auch nicht am Arbeitsort wohnten. Der Unterschied: Dort läuft es deutlich besser.

Die Prognosen verheißen nichts Gutes. Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft beziffert Dresdens Sitzplatzangebot in der zweiten Jahreshälfte mit 300.000. Damit ist DRS Schlusslicht unter 18 aufgeführten Flughäfen und Leipzig-Halle mit 600.000 nur zwei Plätze besser.

Am Tag nach der MFAG-Aufsichtsratssitzung startet der Wirtschaftsverband „Die Familienunternehmer“ eine Plakataktion zur Landtagswahl mit dem Slogan: „Keine Reise ins Blaue. Sachsens Wirtschaft braucht Zuversicht“. Die Firmen wollten für politische Stabilität werben, heißt es – „dort, wo es von möglichst vielen Menschen gesehen wird: An den Flughäfen in Leipzig und Dresden“. Eine gute Wahl?

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