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App „Too Good To Go“ im Selbsttest: So wird man in Dresden zum Essensretter

Seit Monaten steigen die Preise für Lebensmittel. Tausende Sachsen greifen deshalb zur App "Too Good To Go", um günstig an Lebensmittel zu kommen. Lohnt sich das? Unsere Reporterin Luisa Zenker hat den Test gemacht.

Lesedauer: 4 Minuten

Reporterin Luisa Zenker mit einem Teller voll mit Wurst, Rührei und Gemüse.
Wurst, Rührei, Gemüse - alles wird teuer. Unsere Reporterin geht deshalb mit einer App auf Schnäppchenjagd. © Foto: SZ/Veit Hengst

Von Luisa Zenker

Die Preise für Lebensmittel steigen weitaus stärker als für andere Waren. Im September mussten Verbraucher für Brot, Käse und Gemüse 7,5 Prozent mehr ausgeben als noch vor einem Jahr. Zeit sich umzuschauen, wie man hier sparen kann. Mein Blick fällt da auf die App „Too Good to Go„. Ihre Mission: Lebensmittel retten. Doch sie schont auch den Geldbeutel.

18 Millionen Tonnen genießbare Essensreste landen jährlich in Deutschlands Mülleimern. Das Unternehmen „Too Good To Go“ will diese vor der Tonne bewahren. Das Prinzip ist ganz einfach: Gastronomen und Supermärkte posten überschüssige Lebensmittel online in der App. Die Kunden kaufen diese dann für einen kleinen Betrag und holen sie als sogenannte Überraschungstüte kurz vor Ladenschluss ab.

Das scheint sich großer Beliebtheit zu erfreuen: 10,8 Millionen Deutsche besitzen die App. Damit hat sich die Zahl der Nutzer in den vergangenen zwei Jahren verdoppelt. Denn neben Menschen, die dadurch einen Beitrag für die Umwelt leisten wollen, haben viele die App aufgrund der Inflation heruntergeladen. Ein Krisengewinner sozusagen. Laut dem deutschen Chef Wolfgang Hennen erhalten dadurch Kunden Lebensmittel im Schnitt zu einem Drittel des Originalpreises. Weil das so gut klingt, will ich die App selbst ausprobieren.

Mehr als 800 Restaurants und Supermärkte beteiligt

Zuerst heißt es dafür die App suchen und herunterladen. Dann muss ich mich mit Adresse und Kontodaten anmelden. Anschließend eröffnet sich mir eine riesige Auswahl. Denn neben der steigenden Zahl an Nutzern erhält das Unternehmen auch immer größeren Zuspruch bei Restaurants, Bäckereien und Discountern. Deutschlandweit bieten mehr als 21.000 Betriebe Essensreste an, davon sitzen 870 in Sachsen. Seit Juli hat sich die Zahl im Freistaat um 100 erhöht.

Ich drücke an einem Nachmittag auf das erstbeste Angebot in der Nähe. Eine Überraschungstüte von der Jet-Tankstelle in Dresden-Löbtau. Preis: 3,50 Euro. „Deine Abholzeit beginnt in 4 Stunden und 16 Minuten“, heißt es von der App, nachdem ich sie bestellt habe. Gegen 21 Uhr stehe ich dann vor der Tankstelle. „Hallo“, lächelt die Dame an der Kasse. „Ich habe da so eine App“, wedle ich mit meinem Handy herum. Sie nimmt es mir ab und regelt das. Dann drückt sie mir eine Papiertüte in die Hand.

„Was ist da drin?“

„Überraschung“, lächelt sie.

Ich fühle ein bisschen an dem Papier herum, will aber nicht zu gierig wirken und fahr nach Hause. Dort, kann ich es kaum erwarten. Herausfallen zwei Croissants mit Schokolade, ein Schinken-Käse-Baguette und ein Brötchen. Ich muss schlucken, das schaff’ ich doch nicht alles. Am nächsten Morgen überrasche ich meinen Partner mit dem Käsebaguette auf dem Toaster, er rollt nur die Augen und schneidet sich sein Brot auf. Die Tankstellenbrötchen könne ich selbst essen. Ich lass’ sie liegen, in der Hoffnung, dass einer meiner Mitbewohner hinlangt. Derweil habe ich schon eine weitere Überraschungstüte bestellt, dieses Mal ein Frühstücksangebot.

Dafür muss ich in Richtung Pieschen fahren und komme pünktlich um 10.30 Uhr im Marriott-Hotel an. An der Rezeption liegt die Mehrwegverpackung bereit, gefüllt mit Rührei, Spiegelei, Wurst, gebratenem Gemüse plus Brötchentüte. Die Vier Euro überweise ich digital. „Wie viel würde das normalerweise kosten?“, frage ich die Hotelfachfrau. „Ein Frühstück kostet 20 Euro“, so die Antwort. Fast jeden Tag stellt das Hotel vier Überraschungstüten digital – alles Überschüsse vom frischen Buffet. Ein Schnäppchen.

Doch nicht nur in den Großstädten ist die App beliebt. Knapp ein Drittel der teilnehmenden Betriebe entfällt auf Leipzig und Dresden, aber auch in Bautzen, Grimma oder Pirna bieten Bäckereien und Restaurants Überraschungstüten an. So auch der Biomarkt am Bahnhof Görlitz. Chefin Jana Michel ist seit einem Jahr begeisterte Anbieterin. Acht Überraschungstüten mit Gebäck und Kühlwaren stellt sie wöchentlich in die App. „Wir haben dadurch Neukunden, die sonst nie hierherkommen.“ Nach Angaben von „Too Good To Go“ sind besonders viele 25- bis 44-Jährige aus Drei- bis Vier-Personenhaushalten registriert. Zudem stellt Michel fest: Wenn sie die Tüten online postet, sind sie sehr schnell weg. Auch ich merke das. Um an die wirklich guten Dinge zu kommen, müsste ich eigentlich den ganzen Tag in der App herumhängen.

Fehlt den Tafeln wegen moderner Apps das Essen?

Einmal aber lern’ ich etwas ganz Neues kennen. Die Station bringt mich um 20 Uhr in die Dresdner Neustadt, ins Damaskus-Haus. Manchmal kommt man wirklich an Orte, die man noch nie betreten hat. Ich bekomme drei große gefüllte Teigtaschen mit Spinat und Pilzen für 3,30 Euro. Ein Blick auf die Speisekarte bestätigt mir: 2,70 Euro gespart und dann noch was für die Umwelt getan. Besser kann es doch nicht laufen. Trotzdem werde ich stutzig, denn wer erhält eigentlich mein Geld?

Nach Angaben des weltweit agierenden Unternehmens bekommt es „eine kleine Beteiligung der Einnahmen plus eine jährliche Beitragsbeteiligung in Höhe von 39 Euro, die nur fällig wird, wenn Essen gerettet wird.“ Das zahlt der Mitgliedsbetrieb. Den Wert der Überraschungstüte könne jeder Supermarkt frei wählen. Dieses Geschäftsmodell bringt dem vor acht Jahren in Kopenhagen gegründeten Unternehmen leichte Gewinne. Als Konkurrenz zu den Tafeln sehen sie sich nicht. „Hilfsorganisationen können oft aufgrund geringer Mengen oder logistischen sowie personellen Gründen nicht regelmäßig Essen abholen, demnach braucht es viele unterschiedliche Ansätze“, heißt es von einer Sprecherin. Dem stimmt auch Alrik Schumann zu, er ist Mitglied des Vorstandes des Vereins Tafel Dresden und verweist etwa darauf, dass bei der Lebensmittel rettung vieles beachtet werden muss: Kühlkette, Deklarationspflicht, Verpackungsvorgaben. „Genau bei dieser Art von Lebensmittelrettung ist die App von Too Good To Go eine sehr gute Ergänzung, um Lebensmittverschwendung zu reduzieren und hilft dort, wo die Tafel Dresden, es aufgrund der erreichten Kapazitätsgrenze nicht schafft.“ Die Tafel Dresden freue sich aber immer um eine direkte Zusammenarbeit mit Betrieben, um die 10.000 registrierten Haushalte bei der Tafel versorgen zu können.

Mein Fazit also: Die Überraschungstüten gehen schnell weg, durch die App lernt man neue Märkte kennen, und spart Geld. Und man macht etwas für die Umwelt. Aber man muss sich eben manchmal zu ungewöhnlichen Zeiten, überraschen lassen.

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