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Auf der Suche nach den Rettern des Lebenswerks

Immer mehr Firmen gehen leise: nicht nach Pleiten, sondern weil Nachfolger fehlen. Sachsen will das mit einer Initiative ändern.

Lesedauer: 4 Minuten

Man sieht Bäckermeister Christian Schneider.
Wie groß ist noch der Kuchen für die verbliebenen Bäcker? Christian Schneider übernahm das Erbe seines Vaters in Riesa. © Sebastian Schultz

Von Michael Rothe

Es ist eher Zufall, dass die Aktionswoche des Bundesfamilienministeriums „Gemeinsam aus der Einsamkeit“ mit Sachsens Initiative zur Unternehmensnachfolge zusammenfällt. Tatsächlich fühlen sich auch viele Unternehmerinnen und Unternehmer allein, weil sie keine Nachfolger und Bewahrer ihres Lebenswerks finden.

Nach Angaben der Wirtschaftsauskunftei Creditreform wurden im vorigen Jahr 7.346 Unternehmen im Freistaat geschlossen – fast zwei Drittel davon von konsumnahen Dienstleistern, am Bau, im Handel – und nur gut 800 davon nach einer Pleite. In der Industrie gab es gar ein Allzeithoch.

„Von zehn Bäckern in und um Riesa hat in den letzten Jahren jeder zweite mangels Nachfolger dichtgemacht“, sagt Christian Schneider. Für den 42-Jährigen war das mit Blick auf den Familienbetrieb in Riesa keine Option, obwohl ihm seine Mutter nach dem Tod ihres Mannes zur Schließung geraten hatte. Der zweifache Familienvater hatte schon als Knirps in der Backstube geholfen, Pfannkuchen produziert – und obwohl er nie Bäcker gelernt hat, war nach BWL-Studium in Dresden und zehnjährigem Intermezzo im IT-Bereich immer klar: Er wird das väterliche Erbe fortführen.

Das wurde 2017 schneller konkret als gedacht. Er hat den Betrieb mit sechs Filialen und 1,3 Millionen Euro Jahresumsatz nicht nur behauptet, sondern die Belegschaft um die Hälfte auf 30 Leute vergrößert. Die auch wegen ihres Kuchens in der Region bekannte Bäckerei verbindet Handwerk mit moderner Technik. Schneider will in eine Solaranlage investieren und von Gas- auf Elektroöfen umstellen.

10.090 Unternehmen stehen in Sachsen zur Übergabe

Für die gelungene Nachfolge gab es im November den „Sächsischen Meilenstein“, Siegertrophäe im gleichnamigen Wettbewerb der Bürgschaftsbank Sachsen (BBS), inklusive 3.000 Euro Preisgeld. Auch in diesem Jahr vergibt das öffentlich geförderte Kreditinstitut diesen Preis in den Kategorien familieninterne, unternehmensinterne und unternehmensexterne Nachfolge.

„Die Nachfolge wird immer häufiger zur Existenzfrage. Auf dem Spiel steht nicht weniger als der Fortbestand eines Unternehmens und so das berufliche Schicksal seiner Mitarbeitenden“, sagt BBS-Chef Markus H. Michalow am Montagabend zum Aktionsauftakt. Sachsens Aufbaubank und Kammern veranstalten spezielle Infotage, nachzulesen auf deren Webseiten.

Mit seiner Entscheidung, den väterlichen Betrieb zu übernehmen, sicherte Christian Schneider (4. v.r.) auch die Jobs seiner Belegschaft – mittlerweile etwa 30 Beschäftigte in sechs Filialen in Riesa und Strehla.
© Sebastian Schultz

Laut Sachsens jüngstem Mittelstandsbericht standen von 2018 bis 2022 rund 6.200 Unternehmen zur Übergabe an. In den folgenden acht Jahren seien es 10.090 oder 6,6 Prozent aller Firmen. Davon seien 131.800 Mitarbeitende betroffen, acht Prozent aller Beschäftigten. Der Freistaat will für das Thema sensibilisieren, das in Sachen Selbstständigkeit in der öffentlichen Wahrnehmung nicht erste Wahl ist. Da seien Start-ups und Gründungen populärer, merkt Andreas Brzezinski, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Dresden, an – es sei denn, es ist ein Familienbetrieb.

Ruf nach einer Art Tinder für Unternehmensnachfolge

„Dort steckt viel Herzblut drin“, sei Loslassen für Abgebende nicht leicht, sagt Wirtschaftsstaatssekretär Thomas Kralinski (SPD). Der emotionale Faktor werde oft unterschätzt – wie die Zeit. Daniel Senf, Chef der Dresdner Unternehmensberatung Dan Marten Consulting, empfiehlt potenziellen Übergebern, „den Prozess mindestens zehn Jahre vorher zu starten“. Das brauche es unter anderem zur Klärung steuerlicher und rechtlicher Fragen, zur Einarbeitung des Nachfolgers „und die Braut hübsch zu machen“. Auch müsse man sich mit den Mitarbeitenden befassen. Wenn sie übergangen würden, liefen sie weg und fehlten als Beschäftigte – wodurch sich die Firma schlechter verkaufen ließe, so Senf, der auch Vizepräsident der Dresdner IHK ist.

Das größte Problem ist es, passende Kandidaten zu finden. „Beim Matching, einer Art Tinder für Unternehmensnachfolge, müssen wir besser werden“, sagt Staatssekretär Kralinski. Netzwerke wie „Folgerichtig“ sollen bei der Suche helfen. Da laut Stiftung Familienunternehmen 70 Prozent der Nachfolger aus dem gleichen Landkreis wie der Übergeber sind, sei eine regionale Vernetzung der Akteure besonders wichtig.

Nach Angaben des Münchner Ifo Instituts steht in den nächsten drei Jahren bei 43 Prozent der Familienbetriebe eine Unternehmens- oder Anteilsübertragung an. Knapp die Hälfte von ihnen hat noch keinen Nachfolger aus der Familie gefunden. Die Inhaber würden immer älter, heißt es, und immer weniger bekämen eine interne Lösung hin: zuletzt 34 Prozent. Noch steht das Rückgrat der deutschen Wirtschaft für Langlebigkeit. Fast die Hälfte befindet sich in der zweiten und dritten Generation, die ältesten gibt es seit dem 14. Jahrhundert.

Rechnerisch lässt sich das Problem nicht lösen

Markus H. Michalow macht sich keine Illusionen: „Rechnerisch lässt sich das Problem der Nachfolge nicht lösen – schon wegen der demografischen Entwicklung“, so der BBS-Chef. Nicht jede Nachfolge könne gesichert werden. Ein Drittel der Handwerksbetriebe in Sachsen sind Einzelunternehmen, oft auch Solo-Selbstständige. Deren Unternehmen verschwinden geräuschlos ohne Beschäftigtenverluste. Daher würde es der Bürgschaftsbanker „gern sehen, wenn noch mehr Firmen gekauft werden“.

Befragt nach einem Tipp für Übernahme-Interessenten, rät Steffen Fritzsche, am Meilenstein-Wettbewerb teilzunehmen. Der Chef und Mitinhaber der Metallbau Heidenau GmbH, einem Kaminbau-Spezialisten, hatte 2023 gemeinsam mit seinem Kompagnon Holger Schöne in der Kategorie externe Nachfolge gewonnen. Der 53-Jährige bedauert Sieg und Preisgeld: „Denn jetzt gibt es 5.000 Euro“, sagt er – und lacht.

Für den 9. Sächsischen Meilenstein können sich bis zum 9. August kleine und mittlere Unternehmen bewerben, die zwischen dem 1. Januar 2020 und dem 31. Dezember 2023 eine Nachfolge umgesetzt haben. Die Sieger werden am 1. Oktober im Dresdner Schloss Albrechtsberg gekürt. Sie erhalten je 5.000 Euro und beim Sonderpreis 2.000 Euro.

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