Der polnische Tagebau Turow nahe Zittau soll in den nächsten 25 Jahren weiter wachsen. Das sind die Pläne:
Wie wird der Tagebau erweitert?
Der polnische Energiekonzern PGE will noch bis 2044 Kohle aus dem Tagebau Turow fördern. Ob er es tatsächlich so lange tut, hängt vor allem davon ab, ob auch die Polen wie die Deutschen eher aus der Braunkohleverstromung aussteigen.
Wieviel Bad Oppelsdorf frisst der Bagger?
Das einstige deutsche Bad muss dem Tagebau weichen – obwohl die Behörden die Tagebaupläne noch prüfen. Auch wenn Einwohner wegziehen, entwickelt sich im Ort auch Neues.
Der Tagebau soll in südöstlicher Richtung – also in Richtung Tschechien – um 3,9 auf dann insgesamt rund 30 Quadratkilometer wachsen. Und eine Tiefe von bis zu 300 Metern erreichen. Derzeit sind es 260 Meter. Weggebaggert werden Teile einer früher aufgeschütteten Kippe im Inneren des großen Lochs, aber auch gewachsener Boden. Menschen müssten zumindest teilweise aus den Dörfern Bialopole (Sommerau) und Opolno Zdroj (Bad Oppelsdorf) weichen. Der Tagebaubetreiber kauft ihnen ihre Immobilien ab.
Wird der Abbau genehmigt, fressen sich nach der Entwässerung und Freimachung des Gebietes die Bagger fächerförmig durch den Abraum in das Kohleflöz. Bis 2025 sollen jährlich rund 50 Millionen Kubikmeter Erde bewegt werden, danach weniger. Der Tagebau-Betreiber rechnet mit der Förderung von jährlich neun bis 11,5 Millionen Tonnen Kohle bis 2038,danach mit bis zu sieben Millionen Tonnen. Der Hauptabnehmer bleibt das Kraftwerk Turow.
Was passiert nach dem Ende der Braunkohleförderung?
Der Tagebau soll rekultiviert und zu einem fast 20 Quadratkilometer großen See – der schon heute im Volksmund "Turower Ostsee" heißt – geflutet werden. Er wäre damit der 13. größte See Polens und voraussichtlich mit weit über 200 Metern Tiefe einer der tiefsten in Europa. Zum Vergleich: Der größte See Sachsens ist der Bärwalder, ebenfalls ein ehemaliger Braunkohletagebau. Die "Turower Ostsee" soll noch rund ein Drittel größer werden.
Das Wasser für die Flutung kommt hauptsächlich aus drei Quellen: vom natürlichen Niederschlag, aus dem Wiederanstieg des Grundwassers nach dem die Entwässerungspumpen abgestellt sind und aus der Lausitzer Neiße. Da die Menge aber überschaubar ist, rechnen die Planer des Bergbaubetreibers mit einer Flutungszeit von 35 bis 37 Jahren. Zum Baden dürfte der See demnach frühestens um 2080 freigegeben werden.
Wird der Tagebau erst ab 2044 rekultiviert?
Nein. Die ersten Flächen sind bereits wieder aufgeforstet und der Nachnutzung übergeben. Prinzipiell gilt: Flächen, die der Tagebau nicht mehr benötigt, müssen innerhalb von fünf Jahren rekultiviert werden. Nach 2044 werden die Tagebauanlagen – Gebäude, Förderbänder, Bagger und mehr – abgerissen, verkauft oder verschrottet sowie die Böschungen gesichert. Die Flächen, die nicht zum See geflutet werden, sollen aufgeforstet werden.
Welche Auswirkungen hat der Tagebau auf die Natur und die Menschen?
Viele. Das räumt der Tagebaubetreiber unumwunden ein. An über 100 Messstellen in Polen, Deutschland und Tschechien werden Werte zu Luftverschmutzung, Grundwasserabsenkung oder Lärmpegel gemessen. Dem Tagebau-Betreiber ist zum Beispiel klar, dass Bäche und Flüsse im Gebiet rund um den Tagebau erst nach dessen Ende wieder eine hohe Qualität erreichen werden. Die stärkste Auswirkung für Tschechen und Deutsche sieht er allerdings in der "Minderung der Aussicht, was auch aus den Aussichtspunkten im Gebiet Tschechiens und Deutschlands sichtbar sein wird."
Zur Luftverschmutzung heißt es beispielsweise in den Unterlagen: "Die Messergebnisse haben nachgewiesen, dass die Hauptprobleme sind: eine hohe Konzentration des Feinstaubs sowie Ozon, Arsen, das im Staub PM10 enthalten ist, und Benzo(a)pyren. Für das zu besprechende Gebiet des Tagebaus Turów ist Feinstaub der grundlegende Schadstoff, dessen Überschreitungen der Nennniveaus seit Jahren beobachtet werden, und die Hauptquelle der Emission der Stäube ist der Tagebau, darunter die freigelegten Gebiete des Abbaus und des Verkippens." Aus den Unterlagen geht auch klar hervor, dass auf deutscher Seite vor allem Hirschfelde und Drausendorf betroffen sind. Das soll – wenn auch im geringeren Umfang – bis 2044 so bleiben. Die Grube versucht, dem unter anderem entgegenzuwirken, in dem sie Staub durch Wasser bindet. Insgesamt stehen neun Maßnahmen in den Unterlagen. Diese diffusen Emissionen bedürfen allerdings laut Tagebau-Betreiber keiner Genehmigung.
Vom Lärm des Tagebaus sind laut Betreiber in der Regel nur polnische Anwohner betroffen.
Der Betreiber geht davon aus, dass Hebungen und Setzungen des Bodens nur direkt um den Tagebau passieren, sodass es nur an Häusern in direkter Umgebung – also in polnischen Städten und Dörfern – zu Rissen kommen kann.
Auswirkungen auf Naturschutzgebiete in Deutschland soll es – wenn überhaupt – nur in ganz geringem Ausmaß geben.
Das Grundwasser wird weiter sinken. "Die bis 2044 durchgeführten Prognosen zeigen eine Vergrößerung der Absenkungstrichter in den tertiären Horizonten nicht nur im Gebiet Polens, sondern auch in Tschechien und in Deutschland, wobei diese Auswirkungen durch den Umriss des Zittauer Beckens begrenzt werden, in dem diese Horizonte vorkommen", heißt es in den Unterlagen. "Außer den Gebieten des Beckens können keine Absenkungstrichter infolge der Entwässerung des Tagebaus entstehen." Für Deutschland erwartet der polnische Tagebau-Betreiber demnach kaum Auswirkungen, zumal das Trinkwasser im angeblich nicht betroffenen Gebirge gewonnen wird. Auch der Friedländer Zipfel soll – anders als die Tschechen befürchten – nicht betroffen sein. Nur die Trinkwasserversorgung rund um Hradek ist in Gefahr. Deshalb wollen die Polen eine unterirdische Dichtwand bauen.
Vor allem die Grünen haben sich auf deutscher Seite bisher mit dieser Umweltverträglichkeitsprüfung befasst. Sie zweifeln viele Darstellungen des Tagebau-Betreibers an und werden sich aktiv in den Prozess einbringen.
Was wäre, wenn der weitere Abbau nicht genehmigt würde?
Die Konzession für die Betreibung des Tagebaus endet am 30. April 2020. Gibt es keine Genehmigung, müsste der Betrieb eingestellt werden. Der Tagebaubetreiber weist für diesen Fall auf weitreichende Konsequenzen hin. Als Argumente zählt er unter anderem auf, dass der Hauptteil der Arbeitsplätze einer ganzen polnischen Region verloren gehen und die Umsetzung der langfristigen Sicherungs- und Rekultivierungsmaßnahmen in Frage stehen würde. Sollte die Flutung des Tagebaus vorgezogen werden, würde sie sich mit der des Tagebaus Jänschwalde überschneiden, heißt es. So könnte es 2100 werden, bevor der See voll Wasser ist.
Seit wann wird auf dem Gebiet des Tagebaus Kohle abgebaut?
Seit Ende des 18. Jahrhunderts, damals noch ungeordnet und unterirdisch. Seit 1904 wird großflächig und im Tagebau-Betrieb Kohle abgebaut. 1908 wurde die erste Brikettfabrik eröffnet, die das wenige Jahre später fertiggestellte Kraftwerk Hirschfelde versorgte. Das blieb bis 1985 so, obwohl seit Ende des 2. Weltkrieges eines Staatsgrenze zwischen Grube und Kraftwerk verläuft. Bereits vor mehr als 50 Jahren begannen die Polen ihr eigenes Kraftwerk zu bauen, das derzeit mit Milliardenaufwand modernisiert wird. Drei größere Rutschungen hat es in den letzten 30 Jahren im Tagebau Turow gegeben: 1989 drohte wegen einer Rutschung der Neiße-Pfeiler zu brechen. Die Polen stabilisierten den Pfeiler mit einer 4,2 Kilometer langen Dichtwand. 1994 rutschte eine externe Abraumkippe und konnte erst kurz vor dem tschechischen Grenze zum Stehen gebracht werden. 2016 rutschte ein Hang der Grube nach innen.
Von Thomas Mielke
Foto: © Matthias Weber