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Bröckelt jetzt das Deutschlandticket auch in Sachsen?

Nachdem der Kreistag im sachsen-anhaltinischen Stendal den 49-Euro-Fahrschein ab Januar teilweise gekippt hat, wächst die Sorge, dass Landkreise und Kommunen in Sachsen folgen könnten.

Lesedauer: 3 Minuten

Man sieht eine Straßenbahn
Die Finanzierung des hier an einer Dresdner Straßenbahn beworbenen Deutschlandtickets ist nur bis Ende April 2024 gesichert. Die Rufe nach einer langfristigen und verlässlichen Lösung werden lauter. © Archivbild: Sven Ellger

Von Michael Rothe

Wackelt die bundesweite Gültigkeit des Deutschlandtickets? Der Kreistag in Stendal in Sachsen-Anhalt hat vorige Woche die Gültigkeit des 49-Euro-Fahrscheins ab Januar gekippt. Dort ist dann auf sechs Buslinien in der Stadt und 35 im Landkreis ein Zusatzticket nötig. Der stark verschuldete Landkreis bezuschusst den Einheitsschein mit 120.000 Euro im Jahr, hält seine Nutzbarkeit auf dem Land aber für sehr überschaubar. Sachsen-Anhalts Verkehrsministerium bedauert die Entscheidung, die nicht für die Bahnlinien gilt.

Nun werden Stimmen laut, die davor warnen, dass der Beschluss Nachahmer finden könnte. Denn rein rechtlich ist der Deutschlandtarif nicht bindend. Es gibt nur ein Behelfskonstrukt, das 2023 ausläuft.

„Es war zwar der erste Landkreis, aber es wird nicht der letzte gewesen sein“, ist Christiane Leonard, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands Deutscher Omnibusunternehmen, überzeugt. Sie schließt nicht aus, dass weitere Landkreise und Aufgabenträger das Ticket nicht mehr akzeptieren – aus Furcht, auf Mehrkosten sitzen zu bleiben. Die Idee eines Einheitstickets mit bundesweiter Gültigkeit wäre so passé.

Unverständnis im Bundesverkehrsministerium

Im Bundesverkehrsministerium stößt der Beschluss auf Unverständnis. Man könne den Ausstieg nicht nachvollziehen, sagt eine Sprecherin und: „Das ist kein gutes Signal an die Fahrgäste.“ Auch Sachsen-Anhalts Infrastrukturministerin Lydia Hüskens (FDP) bedauert die Entscheidung. Bund und Länder hatten sich darauf geeinigt, die durch das Ticket entstehenden Mehrkosten hälftig mit je 1,5 Milliarden Euro zu finanzieren, auch 2024. Zudem sollten nicht ausgegebene Zuschüsse für 2023 mit verwendet werden können. Im nächsten Jahr wollen sich Bund und Länder dann „rechtzeitig“ über die weitere Finanzierung verständigen, wie es nach dem Treffen der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Anfang November hieß. Weil der Bund 17 Milliarden Euro im Haushalt 2024 einsparen muss, war die Diskussion über das 49-Euro-Ticket neu aufgekommen.

Und welches Echo findet der Beschluss aus der Altmark in Sachsen? Dort wird der Nahverkehr von den Landkreisen und kreisfreien Städten organisiert. Dafür gibt es fünf Verkehrsverbünde wie den VVO für die Region Oberelbe, den ZVON für Oberlausitz-Niederschlesien und den VMS für Mittelsachsen. Sie bestellen die Linien bei Bahnunternehmen und Busbetrieben. Und sie können tatsächlich ein deutschlandweit gültiges Ticket in ihrem Beritt kippen und die Kofinanzierung verweigern.

„In Sachsen sind keine solchen Kreistagsbeschlüsse bekannt“, heißt es vom Landkreistag. Gleichwohl gebe es eine Diskussion, sagt die stellvertretende Geschäftsführerin Veronika Müller zu saechsische.de. Die kommunalen Spitzenverbände hätten eine verbindliche Zusage zur vollständigen Ausfinanzierung des Tickets verlangt. Das sei nicht wie gewünscht umgesetzt worden und unbefriedigend. Dennoch könne eine – auch teilweise – Abschaffung des Tickets nicht das Ziel sein, so die Chefin. Es habe nur dann Sinn, wenn es verlässlich in Deutschland gelte, und „ein Flickenteppich wäre vom Bürger nicht zu durchblicken.“

VVO, ZVON und VMS stehen weiter zum Ticket

Im VVO gibt es derzeit keine derartigen Bestrebungen, wie auf Anfrage zu erfahren war. Aber die Frage der Finanzierung müsse dauerhaft geklärt werden, so Sprecher Christian Schlemper. „Wir gehen jedoch davon aus, dass Bund und Länder zu Ihren Zusagen stehen und die Mindereinnahmen ausgeglichen werden“, sagt er. Um ein neues Ticket zu etablieren und Neukunden zu gewinnen, sei es wichtig, dass die Vorteile deutlich würden: die einfache bundesweite Nutzung zu einem sehr günstigen Preis.

Laut VVO-Chef Burkhard Ehlen ist die Gestaltungsmöglichkeit für den Verbund deutlich gesunken. „Nur noch 46 Prozent der Einnahmen der hiesigen Unternehmen kann die Verbandsversammlung selbst gestalten“, sagt er. Daher sei es wichtig, dass die Ausgleichszahlungen von Bund und Freistaat stabil und dauerhaft fließen.

Auch im ZVON ist eine Änderung der Gültigkeit des Tickets kein Thema. Aber die Gesamtfinanzierung sei nur bis Ende April 2024 gesichert, sagt Vertriebschefin Daniela Meyer. Sie hält zusätzliche Gelder für notwendig, um Bahnangebote und Kapazitäten vor allem im ländlichen Raum zu erhöhen. Der ZVON erwartet für das Deutschlandticket eine Preiserhöhung um zehn bis 20 Euro im Monat. Der VMS, der auch Döbeln und Umland bedient, will die Stendaler Entscheidung nicht kommentieren, die Entwicklung aber genau beobachten.

Land braucht Kooperation der Städte und Landkreise

Die Landesregierungen sind auf die Bereitschaft und das Mitwirken der Landkreise, kreisfreien Städte, der Zweckverbände für den Schienennahverkehr sowie die Kooperation mit den Verkehrsunternehmen angewiesen. Weil das mitunter heikel ist, hat Thüringen die Anerkennung per Anwendungsbefehl geregelt. Auch Baden-Württemberg prüft diese Möglichkeit.

Sachsens Verkehrsministerium äußert sich ausweichend. Die Möglichkeit eines Anwendungsbefehls sei eine „rechtlich komplexe Angelegenheit“, die sorgfältig geprüft werden müsse und eine umfassende Abwägung der Interessen aller Beteiligten erfordere, heißt es vage. Minister Martin Dulig (SPD) appelliert an alle Verantwortlichen, an der deutschlandweiten Akzeptanz des Tickets festzuhalten“. Seine Einführung im Mai 2023 sei „ein bedeutender Schritt zur Förderung der Mobilitätswende und zur Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs gewesen“. Dulig wolle sich auf Bundesebene einsetzen, dass über 2025 hinaus eine stabile und langfristige Finanzierung gewährleistet wird. Länder und Bund seien gefordert, eine langfristige Strategie zu entwickeln.

Derweil hofft man im Bundesverkehrsministerium, Stendal durch Gespräche wieder in die Spur zu bringen. (mit TSP)

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