Von Luisa Zenker
Ein süßlicher Geruch strömt aus den Räumen, als Constantin von der Groeben die weiße Metalltür öffnet. Hunderte erntereifen Cannabis-Pflanzen rekeln sich dem gelb-grellen Licht entgegen. Eine davon nimmt der Geschäftsführer vom sächsischen Unternehmen Demecan zwischen seine Finger. Nur die blauen Gummihandschuhe trennen ihn von dem Betäubungsmittel, das in Deutschland fast genauso streng bewacht wird wie Goldbarren.
„Hier vor uns haben wir etwas, das in Deutschland normalerweise verboten ist“, sagt er. Für die 50 Mitarbeiter ist es normal, jeden Tag grüne Schutzanzüge, blaue Gesichtsmasken und weiße Haarnetze überzuziehen. Dadurch werden die Pflanzen geschützt, vor Viren und Staubpartikeln. Meterdicke Betonwände, Körperschallmelder, und Videoüberwachungsgeräte trennen die Droge von der Außenwelt. „Es gelten die Regeln der Pharmazie“, zuckt Constantin von der Groeben mit den Achseln.

Das sächsische Unternehmen bei Meißen ist deutscher Marktführer für medizinisches Cannabis. Nach SZ-Information hat es einen Umsatz von 40 Millionen Euro. Ihr Cannabis unterstützt besonders Menschen mit chronischen Schmerzen, Tumorerkrankungen und Multiple Sklerose. Doch was derzeit noch in einem fensterlosen Raum hinter Gittern angebaut wird, soll noch in diesem Jahr im Wohnzimmer möglich sein: Bis zu drei Cannabis-Pflanzen darf jede Person ab Frühjahr anbauen, so sieht es der Gesetzesentwurf vor.
Daneben plant die Bundesregierung sogenannte Social Clubs: wie Kleintierzüchter können sich die Hanfliebhaber in einem Verein organisieren, um gemeinsam die Pflanzen zu pflegen, zu ernten, zu rauchen. Dem Hanfverband sind in Deutschland bereits 106 Gründungen bekannt, fünf davon in Sachsen – darunter Dresden, Leipzig und die Oberlausitz.
„Das ist gerade alles sehr unübersichtlich“, erklärt Simon Kraushaar vom Hanfverband. Gibt man etwa Cannabis Club Dresden im Internet ein, erscheinen Webseiten, auf denen sich Interessierte auf die Warteliste setzen können. „Ich würde denen nicht vertrauen und meine Daten geben“, sagt Kraushaar zu einem Club namens cannabis-clubs24.com. Im Impressum geben sie Senford in den USA als Unternehmenssitz an. „Das sind Franchise-Ketten, bei denen blinken die Eurozeichen.“ Er empfiehlt zu warten, bis der Gesetzesentwurf in Kraft tritt. Außer man wolle mit einer Mitgliedschaft in einem seriösen Club bereits jetzt ein politisches Zeichen setzen.
Einer davon ist der Dresdner Einzelhändler Ramon Paulick. Er ist gerade dabei, einen Club in Dresden zu gründen. 120 Voranmeldungen hatte er bereits. „Thema Fläche, Finanzierung und Transport sind die größten Probleme“, sagt Paulick, der von weiteren Club-Gründungen in Freital und Pirna weiß.

Das sollte ja für den Demecan-Chef kein Problem sein. Blinken bei ihm nicht die Eurozeichen, wenn bald die Legalisierung kommt? Der Cannabis-Chef schüttelt den Kopf. „Erst hatten wir Investitionspläne, aber jetzt warten wir“, erklärt er. „Wir sind ein Unternehmen, kein Club.“ Der Grund: Die Vereine dürfen keinen Gewinn machen. Über Fachgeschäfte ist es verboten, die Droge zu verkaufen. Außer Meißen wird eine Modellregion für Cannabis, doch dafür liegt laut Groeben bisher nicht einmal ein Gesetzesentwurf vor.
Der Cannabis-Chef überlegt, Flächen an die Clubs zu vermieten. Denn eines weiß der studierte Jurist, Hanfanbau hat wenig mit einer verschimmelten Wohnzimmerpflanze zu tun. Mittels Pumpen erhalten die Pflanzen ausgewählte Nährstofflösungen, die Luft wird streng reguliert: 23 Grad Raumtemperatur, 55 Prozent Luftfeuchte, 12 Stunden Tageslampenlicht, und genaue 63 Tage bis zur Ernte.
Constantin von der Groeben hat mit zwei Freunden, einem Arzt und einem Ökonom 2017 das Unternehmen aufgebaut. Jetzt sind sie auf 80 Mitarbeiter gewachsen. Und wenn es nach den Geschäftsführern ginge, könnten sie noch größer werden. Statt einer Tonne würde er sofort zwei Tonnen produzieren. Aber die Bundesregierung hindert ihn daran. Ein Problem, weshalb Constantin von der Groeben im Dezember im Bundestag gesprochen hat. 90 Prozent des medizinischen Cannabis werden im Ausland produziert, dabei könnte der Geschäftsführer in dem ehemaligen Schlachthof bei Ebersbach zehn bis 20 Tonnen Cannabis herstellen. In Deutschland dürfen aber derzeit nur sechs Sorten Medizin-Cannabis mit einem Gesamtvolumen von 2,6 Tonnen jährlich und einem Abnahmepreis von 2,20 Euro pro Gramm angebaut werden. Für Importe gelten diese Regeln nicht. „Es ist so absurd, dass wir in Deutschland nicht mehr produzieren dürfen: es wäre günstiger und im Zweifel besser.“
Mit dem neuen Cannabis-Gesetz soll sich das ändern, denn darin geht es nicht nur um die allgemeine Legalisierung, sondern auch um bessere Marktbedingungen für den medizinischen Anbau in Deutschland. „Dann werden wir sofort zwei Tonnen produzieren. Sollte das Gesetz aber nicht kommen, bleibt uns nichts anderes übrig als unseren Standort im Ausland zu erweitern“, so Constantin von Groeben, der bereits jetzt Cannabis aus Kanada importiert. Diesen Fehler hat auch Sachsen erkannt. So fordert etwa der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU), den inländischen Anbau für Medizin-Cannabis zu fördern. Profitieren ja auch Saxonia Diagnostics aus Nossen und Grünhorn aus Leipzig vom Cannabisanbau.
Im gleichen Atemzug kritisiert der Innenminister aber die Legalisierung des Cannabis, er sieht Kinder und Jugendliche gefährdet. Auch der Chefarzt Veit Roessner ist geschockt: „Man wird durch Cannabis dümmer und antriebsloser“. Er ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Dresden. Das Gehirn entwickelt sich ihm zufolge bis 27, durch Cannabis werde es in seiner Funktion gestört. „Mehr als beim Alkohol.“ Dass Verbote etwas nützen, macht der Psychiater am Rauchverbot in Kneipen fest: „Das hatte einen riesengroßen Effekt. Beim Cannabis machen wir es andersrum“, so der Chefarzt, der weiß, dass Jugendliche schon jetzt auf eine Suchtbehandlung zwischen drei bis sechs Monaten warten oder wie in Ostsachsen gar keine Anlaufstelle mehr haben.
Der Hanfverband argumentiert derweil, dass auch Alkohol einen großen Einfluss auf das Gehirn habe. Durch die Legalisierung werde es weniger Cannabis mit Streckmitteln geben, so das Versprechen. Der Chefarzt der Görlitzer Psychiatrie Dirk Schmoll hält dagegen: „Bei Heranwachsenden führt häufiger THC-Konsum nachweislich zu Konzentrationsstörungen, häufigeren Abbrüchen bei der Ausbildung und zu Gleichgültigkeit. Dass das auch mit Alkohol möglich ist, kann kein Argument für die Cannabis-Legalisierung sein, sondern sollte eher dafür sprechen, die Zugänglichkeit von Alkohol zu erschweren.“ Und Chefarzt Veit Roessner fügt hinzu: „Setzen sie eine Gruppe von betrunkenen Jugendlichen und Bekifften nebeneinander. Betrunkene führen weniger abwegige und geselligere Gespräche.“ Zum Umgang mit Alkohol habe die Gesellschaft in Deutschland über die Jahrhunderte ein Regelwerk, beim Cannabis noch nicht. Einen Schwarzmarkt wird es ihm zufolge auch weiterhin geben, zum Beispiel weil Hanf für Jugendliche verboten bleibe. Etwas anderes sei Cannabis als Medikament, findet der Professor, der es selbst schon in der Klinik zur Behandlung eingesetzt hat.
„Am schlimmen wäre es den Status quo zu behalten“, meint von der Groeben. „Die Legalisierung zeigt doch eines, wir reden darüber. Vorher wussten die wenigstens, welche Folgen Cannabis auf das Gehirn hat. Jetzt wird darüber diskutiert.“ Der Gesundheitsminister plant, das Gesetz Ende Februar im Bundestag zu verabschieden.