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Da ist Schliff drin

Mit 81 Jahren steht Kurt Mühlchen fast täglich in seiner Werkstatt. Er denkt ans Aufhören, hat aber keinen Nachfolger.

Lesedauer: 3 Minuten

Sportlehrer ist sein Wunschberuf gewesen. Das hatte sich Kurt Mühlchen in seiner Jugend erträumt. Aber anstatt dass er auf die Sportschule gehen konnte, hat er Bäcker gelernt: Kurt Mühlchens Eltern hatten eine Bäckerei in Ebersbach. Doch dann ging er zum Opa Haase, der in Neugersdorf eine Schleiferei betrieb. Hier lernte der junge Mann etwas völlig Neues: Scheren, Messer und viele andere Dinge scharf zu machen. Beim Opa lernte Kurt Mühlchen das Einmaleins der Schleiferei. „Nach sieben Jahren war ich in der Lage, eine Schere perfekt zu schleifen“, erzählt der heute 81-Jährige, der mit Leib und Seele Schleifer ist. Es brauche ein hohes Maß an Fingerfertigkeit und Wissen, um den Werkzeugen scharfe Klingen und Schneiden zu verpassen, betont der Mann mit dem Goldenen Meisterbrief. Den bekam er von der Handwerkskammer verliehen. Seit mehr als 50 Jahren ist Kurt Mühlchen Schleifermeister.

Noch heute steht der Neugersdorfer täglich in seiner Werkstatt, manchmal schon um 6 Uhr. Ein Geruch nach bearbeitetem Metall liegt in der Luft. Verschiedene Maschinen stehen in dem engen Raum hinter dem Laden, darunter Schleifsteine. Man sieht es ihnen an, dass sie wohl schon vor dem Schleifermeister da waren. Aber weder das Alter der Maschinen noch das des Meisters sind Hindernisse, dass beispielsweise aus einer verrosteten Schere wieder ein blankes Schneidinstrument entstehen kann. Sieben Arbeitsgänge sind dafür nötig: Erst wird die Schere demontiert, also in ihre Bestandteile zerlegt. Dann schleift der Meister und sorgt dafür, dass die Schneideflächen wieder scharf werden. Nach kurzer Zeit hat Kurt Mühlchen den Rost weggeschliffen und der blanke Stahl leuchtet hervor. Dann werden die Innenseiten der beiden Scherenteile poliert, danach die Außenseiten. Dann wird geschwabbelt. Dabei erhalten die Teile noch mehr Glanz und auch die letzten Schleifspäne werden entfernt. Schließlich zieht der Meister die Teile ab, wobei sie ihre endgültige Schärfe erhalten. Indem er die losen Teile zusammenfügt, ist die Schere wieder komplett. Nach etwa 20 Minuten ist das der Fall. Wie neu sieht sie aus. Nun kann sie der Besitzer abholen. So mancher Kunde glaubt gar nicht, dass die blanke Schere die gleiche ist, die er abgegeben hat. Nichts ist mehr zu sehen vom Rost, die Schere ist scharf und gleitet mühelos durch Papier und Stoff. 

In kleinen und großen Kisten in der Werkstatt warten weitere Gegenstände, die wieder scharfgemacht werden sollen. Darunter beispielsweise Kuchenmesser mit Wellenschliff aus einer Bäckerei in der Umgebung.

Eine Lieblingsarbeit in der Schleiferei hat Mühlchen nicht, er schleift, was die Kunden bringen. Ungern bearbeitet er medizinisches Werkzeug. Dann erinnert er sich, dass er doch eine Sache gern bearbeitet: Teile für einen Fleischwolf. Dabei fällt ihm auf, dass er mal eine Pause machen könnte. Auf dem Sofa im Raum neben dem Laden ruht er sich aus. Kurt Mühlchen ist müde. Eigentlich möchte er aufhören mit der Schleiferei, mit seinen 81 Jahren den Ruhestand genießen, in seinem Garten tätig sein und jede Woche einmal in die Therme fahren. Als er jünger war, hat er viel Zeit mit Sport verbracht. Er war Skifahrer, spielte Hand- und Volleyball, war Turner. Heute geht das alles aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr. Die Kraft, die man dafür braucht, investiert Kurt Mühlchen in sein Handwerk. Denn das Schleifen braucht viel Kraft, betont er. Die Schleiferei hätte er gern einem Nachfolger übergeben. Aber es fand sich keiner. Als die wenigen Interessenten gesehen haben, wie schwer und staubig die Arbeit ist und wie viel Geschick man dafür braucht, konnte sich kein junger Mann entscheiden, das Schleiferhandwerk zu lernen oder die Werkstatt zu übernehmen. Obwohl die Schleiferei Mühlchen viele Stammkunden hat, sieht der Meister dennoch die Wegwerfmentalität der Leute: Sind ein Messer oder eine Schere stumpf, werden sie entsorgt und neue gekauft, weiß auch Kurt Mühlchen.

 

von Gabriela Lachnit

Bildquelle: Matthias Weber

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