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Das Alters-Experiment

Die Döbelner Wohnungsgenossenschaft Fortschritt hat vor zwei Jahren eine Wohnung nach den Bedürfnissen älterer Mieter umgebaut und dabei viel gelernt.

Lesedauer: 3 Minuten

Das durchschnittliche Alter der Mieter der Wohnungsgenossenschaft Fortschritt ist hoch. Derzeit sind es rund 64 Jahre, sagt Vorstand Sven Viehrig. Und auf diesem Niveau verharrt es, trotz neu gebauter Wohnungen wie die Stadtvillen in Döbeln Nord, in die auch jüngere Leute eingezogen sind. Aber die Mieterstruktur ist sehr stabil. Viele ältere Leute haben die Genossenschaftswohnungen mit gebaut, in denen sie seit Jahrzehnten wohnen und alt werden. Aber wie damit umgehen?

Ein Projekt, an dem sich Fortschritt beteiligte, trägt den Titel „Chemnitz+ – Zukunftsregion lebenswert gestalten“, in dem es um Gesundheits- und Dienstleistungsabgebote für ein langes und selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden ging. Vier Jahre lang hatte die Genossenschaft mitgearbeitet, kürzlich ist „Chemnitz+“ beendet worden. In eine ähnliche Zielrichtung stieß ein anderes Projekt, das die Wohnungsgenossenschaft für den Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) realisierte. Bei „Alles unter einem Dach. Das Döbelner Modell“ ging es eher um technische Aspekte. Wie muss eine Wohnung aussehen, in der Menschen alt werden?

Im Haus Käthe-Kollwitz-Straße 17 war eine Musterwohnung fürs Leben im Alter eingerichtet worden. Offene Küche, aufs Alter abgestimmtes Farbkonzept, technische Helfer wie die optische Klingel, keine Schwellen und ebenerdige Dusche in einem großen Badezimmer. „Wir haben viele Anfragen überregionaler Zeitschriften und andere Wohnungsgenossenschaften bekommen, die sich dafür interessieren“, sagte Katja Näther.

Auch das Berufliche Schulzentrum in Döbeln habe für den Sozialkundeunterricht Interesse an dem Modellprojekt angemeldet. Mittlerweile hat die Genossenschaft zwei ähnliche Wohnungen umgebaut. Und auch in den neuen Wohnungen in der ehemaligen Leninschule, dem WGF-Wohnpark, wurden die Erfahrungen umgesetzt. Dort gibt es eine Begegnungsstätte, die vom DRK betrieben wird. Alle Wohnungen sind barrierefrei zu erreichen, in den Bädern sind nicht nur seniorengerechte Duschen, sondern auch Haltegriffe eingebaut. „Die sind nicht als Haltegriffe zu erkennen. Es soll ja nicht aussehen wie in einem Krankenhaus“, sagte Katja Näther.

Der Erkenntnisse des „Döbelner Modells“ werden ständig angewendet, oft nicht das ganze Paket, sondern Einzellösungen. Breitere Türen, erhöhte Toiletten. Der Umbau von Bädern, Wanne zu Dusche, sei ein ganz großes Thema, sagte Katja Näther. Nach dem Pflegestärkungsgesetz wird das bei Menschen mit Pflegestufe mit bis zu 4 000 Euro bezuschusst. „Bei Erdgeschosswohnungen ist das am einfachsten umzusetzen“, sagte Sven Viehrig. Aber auch in anderen Wohnungen werde geprüft, ob sich der Wunsch der Mieter nach einem Badumbau umsetzen lässt. Für manche seniorenfreundliche Wohnungen, vor allem die mit Aufzügen, gibt es Wartelisten.

Das Projekt „Chemnitz+“ zielte in eine andere Richtung. „Dabei ging es um Dienstleistungen und Serviceketten, die an den Mieter herangetragen werden, um kurze Wege und Ansprechpartner“, sagt Katja Näther. Ein Ergebnis war die WGF- Servicecard, mit der die Mieter der Wohnungen bei derzeit 52 Firmen und Dienstleistern Vorteile genießen. „Wir haben alle Partner angeschrieben und fast durchgehend ein positives Echo bekommen“, sagte Vorstand Tino Hütter. Das Angebot der Servicecard soll weiter ausgebaut werden, vor allem im Bereich Hartha, wo die Wohnungsgenossenschaft vor zwei Jahren etwa 150 Wohnungen übernommen hatte.

Ums reibungslose Zusammenleben geht es beim „ABC der guten Nachbarschaft“, das als Broschüre an die Mieter verteilt wird. Was passiert, wenn ein Mieter lange im Krankenhaus war und zurück in die eigenen vier Wände kommt? Ein Wegweiser Krankenhaus soll auch über die Möglichkeiten von Pflegediensten und Fahrdiensten informieren.

Die Wohnung von Morgen, das sogenannte Smart Home, hat die Wohnungsgenossenschaft auch schon ausprobiert. Eine Wohnung an der Bertolt-Brecht-Straße wurde mit Computersteuerung ausgestattet und vermietet. „Die Mieter nutzen das intensiv. Wir hatten ein Gespräch, bei dem wir uns über ihre Erfahrungen unterhalten haben. Der Planer hat manche Dinge übersehen oder unpraktisch gelöst“, sagte Viehrig. Solche Runden soll es später auch mit den Mietern der Stadtvillen in Döbeln Nord geben, die ähnlich ausgestattet wurden.

 

Von Jens Hoyer

Foto: © André Braun

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