Leipzig. Für die Leipziger Innenstadt ist es die Wiederauferstehung eines Wahrzeichens. Das einstige Karstadt-Gebäude, bekannt als stolzes und prägendes Warenhaus, lebt wieder – und es wird nicht mehr lange dauern, bis die Jahre des Leerstandes der Vergangenheit angehören. NEO heißt der neue Hoffnungsträger im Herzen der City, in den bereits ein Rewe-Markt gezogen ist – schon bald sollen Restaurants, Büros und weitere Geschäfte folgen.
Was in Leipzig gelingt, ist keine Selbstverständlichkeit. Der Kampf gegen Leerstand und die Suche nach neuen Konzepten für ehemalige Warenhäuser sind zu zentralen Aufgaben in der Innenstadtentwicklung geworden. Das NEO-Projekt findet daher deutschlandweit Beachtung, weiß der Leipziger Handelsforscher Erik Maier. Hat dieses neue Konzept also tatsächlich das Zeug dazu, als Vorzeigeprojekt zu dienen? Könnte sich hier zeigen, wie die Zukunft eines leerstehenden Objektes aussehen kann?
Wie der Aufstieg der Warenhäuser begann

Quelle: Andre Kempner
Um diese Fragen zu beantworten, muss man etwas zurückblicken. Einst waren Warenhäuser die pulsierenden Zentren jeder größeren Stadt, stets eng verknüpft mit zwei Namen: Galeria Kaufhof und Karstadt.
„Das Hauptargument für das Warenhaus war lange Zeit die Verfügbarkeit eines breiten Sortimentes“, sagt Maier, der Inhaber des Lehrstuhls für Marketing und Handel an der Leipziger Handelshochschule HHL ist. Ob Lebensmittel, Kleidung, Elektronik, oder Bücher – wer etwas suchte, wurde in den großen Häusern fündig.
Kaufhäuser geraten unter Druck
Doch diese Funktionen wurden durch zwei Entwicklungen überholt. Einerseits durch den Onlinehandel, der eine enorme Verfügbarkeit und Sortimentsbreite bietet. Andererseits durch die große Vielfalt in den Innenstädten selbst, die eine neue Konkurrenz für die Kaufhäuser bedeuteten. „Hier frisst sozusagen die Revolution ihre Kinder“, erklärt Maier.
Auch Galeria und Karstadt gerieten immer wieder in Krisen. 2018 kam es zur Fusion von Karstadt und Galeria Kaufhof. Es war der Versuch, die schwierige Lage der Unternehmen zu bewältigen – doch die Probleme blieben. In Leipzig schloss das Karstadt-Haus schließlich im Jahr 2019 nach einem Mietstreit. Andere Städte ereilte dasselbe Schicksal: Über 200 Kaufhäuser machten in den vergangenen zwei Jahrzehnten dicht.
Gebäude stehen meist fünf Jahre leer

Quelle: Eyad Abou Kasem
Laut der Handelsberatung BBE dauert es in der Regel fünf Jahre, bis geschlossene Kaufhäuser eine Wiedergeburt erfahren, so gesehen schneidet das NEO in Leipzig gut ab. In anderen Städten geht es nicht immer so schnell: Im mecklenburg-vorpommerischen Neubrandenburg beispielsweise steht das einstige Kaufhaus-Gebäude seit vier Jahren still. Pläne gibt es zwar, doch eine Sanierung hat laut einem NDR-Bericht noch nicht einmal begonnen. Oder in Rheine (NRW): Laut den BBE-Experten stand das ehemalige Warenhaus hier mehr als 15 Jahre lang leer.
Die Hürden sind vielerorts groß: Denn einfach das Logo über der Eingangstür zu tauschen, funktioniert nicht – es sind meist umfassende Umbauten nötig.
NEO Leipzig will mit einem Nutzermix punkten
Mit einem traditionellen Warenhaus hat das heutige NEO somit wenig gemein. Wer es betritt, findet eine moderne Umgebung vor, die neuen Geschäften ein Zuhause bieten soll. Im Erdgeschoss etwa will mit Stradivarius ein Store aus dem Reich des Inditex-Konzerns (Zara, Pull & Bear, Bershka) eröffnen, der vor allem bei jungen Leuten beliebt ist. Weitere Läden sollen folgen.
Vielen dürften die Pläne für die oberen Etagen hingegen ungewöhnlich vorkommen: Denn hier, und das wäre in einem klassischen Warenhaus kaum denkbar gewesen, sollen Büros eröffnen. Da entstehen im ersten Stock etwa moderne Arbeitsbereiche des Anbieters Scaling Spaces, und im kommenden Jahr will die Europäische Energiebörse EEX einziehen.
Der Trend geht hin zu einer gemischten Nutzung

Quelle: Andre Kempner
Als multifunktionale Nutzung bezeichnen sie das in der Fachsprache. Für Leipzigs Citymanager Robin Spanke ist das NEO „ein gutes Beispiel dafür, wie durch eine aktive Neugestaltung innerstädtischer Immobilien auf die veränderten Anforderungen im Handel reagiert werden kann“. Er betont: „Die Mischung aus Einzelhandel, Gastronomie und Büros entspricht einem Trend, der notwendig ist, um die Attraktivität der Innenstadt zu erhalten.“
Auch Forscher Maier stimmt zu. „Es hat sich gezeigt, dass es zusätzliche Konzepte braucht, um die Innenstädte attraktiv zu halten.“ Das Umdenken fiel nicht leicht: Die Innenstadt galt jahrzehntelang als handelsorientiert – nach dem Motto: je mehr Handel, desto besser. „Jetzt werden die Ladenflächen im Durchschnitt kleiner, zieht sich in gewissem Maße der Handel zurück und ändern sich die Bedürfnisse“, erklärt er. Daher müsse gelten: Die Innenstadt nicht allein mit Handel und Gastronomie denken, sondern auch Büroflächen, Verwaltung und Kultur etablieren.
Verschiedene Zielgruppen werden angesprochen – das schafft Frequenz
Die oberen Stockwerke des einstigen Karstadt-Hauses eignen sich hervorragend für alternative Nutzungen. Citymanager Spanke betont: „Gerade Einzelhandelsflächen oberhalb des Erdgeschosses werden zunehmend schwieriger zu vermieten“. Daher sei eine diversifizierte Nutzung entscheidend. Er ist überzeugt, dass die Kombination verschiedener Nutzungen die Innenstadt stärkt – „da sie unterschiedliche Zielgruppen anspricht und eine dauerhafte Frequenz schafft“, wie er sagt.
Auch Experte Maier drückt dem Konzept die Daumen. „Es handelt sich um ein sehr wichtiges Projekt für die Leipziger Innenstadt – eines, das Potenzial hat, zum Vorbild für andere Städte zu werden.“ Er verweist darauf, dass viele Städte mit ähnlichen Herausforderungen kämpfen: Chemnitz hat mit dem Galeria-Aus einen wichtigen Magneten verloren, und womöglich steht eines Tages auch Dresden vor vergleichbaren Herausforderungen. Maier ist überzeugt: „Wenn es gelingt, ein solches Konzept in einer ostdeutschen oder sächsischen Stadt mit Erfolg umzusetzen, wäre das für viele deutsche Städte ein inspirierendes Beispiel.“