Florian Reinke
Leipzig. Offene Räume, industrieller Charme und viel Platz für Ideen: Rafael Laguna de la Vera empfängt zum Gespräch in einem Gebäude, das den typischen Start-up-Charakter ausstrahlt. Diese Atmosphäre passt zur SPRIND, wie die Bundesagentur für Sprunginnovationen mit Sitz in der Leipziger Lagerhofstraße heißt.
Laguna ist deren Chef und Gründungsdirektor – und damit Deutschlands oberster Innovationsmanager. Im Interview spricht er über den Standort, laufende Projekte – und seine Ziele.
Herr Laguna, die SPRIND hat ihren Sitz in Leipzig. Warum hat Leipzig bei der Standortwahl 2019 das Rennen gemacht – was bietet die Stadt, was Berlin oder München nicht haben?
Wir hatten damals einen echten Wettbewerb mit gut 30 Bewerbungen. Leipzig erfüllte unsere Kriterien am besten: Die Stadt ist wissenschaftlich attraktiv, verkehrstechnisch hervorragend angebunden und hat günstige Lebenshaltungskosten. Manche werden jetzt murren, aber im direkten Vergleich zu Berlin und München steht Leipzig wirklich besser da. Wir brauchen die besten Mitarbeiter – und die zu gewinnen, gelingt uns in Leipzig am erfolgreichsten. Noch dazu ist die Unterstützung des Freistaates Sachsen und der Stadt Leipzig hervorragend.
Sie leiten die SPRIND von Beginn an. Nicht allen Menschen ist die Agentur ein Begriff. Was genau ist Ihr Auftrag?
Wir überführen bahnbrechende Forschung in marktreife Produkte. So schaffen wir neue Industrien. Anders erklärt: Unser Wohlstand basiert darauf, dass wir Wissenschaft erfunden und in Industrie übersetzt haben. Das gelang uns vor 150 Jahren in der Gründerzeit besonders gut – damals entstanden die chemische, die Auto- und die Pharmaindustrie. Heute sind wir zwar Spitze in der Wissenschaft, die Übersetzung in die Wirtschaft findet jedoch zumeist woanders statt. Man sieht das am Beispiel KI: Wir haben zwar die besten Forscher, aber OpenAI ist ein US-amerikanisches Unternehmen. Unsere Aufgabe ist es, der Wissenschaft durch das „Tal des Todes“ der Unterfinanzierung zu helfen, Geschäftsmodelle aufzubauen und so neue Leitindustrien zu schaffen.

Quelle: MAYLA LUEST
Ihr Markenzeichen sind Sprunginnovationen. Was verstehen Sie darunter?
Bei großen Innovationen lässt sich die Welt in ein „Davor“ und ein „Danach“ einteilen. Jeder weiß, welchen Sprung Handys, Autos oder Penicillin für unser alltägliches Leben bedeuteten. Eine Sprunginnovation muss das Leben der Menschen zum Besseren verändern.
Zur Person
Rafael Laguna de la Vera (60) ist seit 2019 Gründungsdirektor und Chef der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) in Leipzig. Der gebürtige Leipziger kam 1974 als Zehnjähriger nach Westdeutschland. Mit 16 Jahren gründete er bereits sein erstes Software-Unternehmen und baute über Jahrzehnte zahlreiche Tech-Firmen auf. Von 2008 bis 2020 leitete er als CEO das von ihm mit gegründete Unternehmen Open-Xchange.
Wie spüren Sie solche Durchbrüche auf?
Ein wichtiges Instrument sind unsere Innovationswettbewerbe, die wir Challenges nennen. Wir identifizieren große Probleme – etwa dass wir neue antivirale Wirkstoffe zur Bekämpfung von Krankheitserregern brauchen – und rufen zur Teilnahme an einer SPRIND-Challenge auf. Interessierte Teams haben dann sechs Wochen Zeit, um ihre Vorschläge einzureichen. Eine Jury aus unterschiedlichen Fachleuten wählt dann in Leipzig aus 50 bis 200 Einreichungen etwa zehn Teams aus. Diese bekommen zwischen einer Million und 5,5 Millionen Euro für das erste Jahr. Wir geben keine Lösungswege vor, sondern begleiten und coachen. Nach einem Jahr müssen die Teams ihre Fortschritte präsentieren. Erfolgreiche Projekte erhalten neues Geld– das wiederholen wir, bis das Problem gelöst ist.
Höchstes Windrad der Welt entsteht in der Lausitz
Wie lange dauert der Prozess?
Das hängt vom Thema ab. Es gibt Challenges, die dauern insgesamt 12 Monate. Andere Challenges haben eine Laufzeit von dreieinhalb Jahren. Noch wichtiger ist, dass die Zeit von der Einreichung bis zum ersten Geld auf dem Konto wenige Wochen ist.
Kritiker bemängeln: Nach fünf Jahren sind die Erfolge noch überschaubar. Wie sehen Sie das?
Man muss wissen: Sprunginnovationen brauchen im Schnitt 15 Jahre, bis sie wirklich in der Welt ankommen. Wir sind seit fünf Jahren tätig, jetzt werden die ersten Projekte sichtbar. Zum Beispiel unser Hochwindrad.
Ihr großes Projekt in Brandenburg …
Genau. Mit einer Nabenhöhe von 300 Metern ist es etwa so hoch wie der Eiffelturm. Dazu kommt der 65 Meter große Propeller. Das ist schon gewaltig. Damit kann man dreimal so viel Strom produzieren wie mit einem 100-Meter-Windrad.
Wann beginnt die Stromproduktion?
Ursprünglich sollte es Ende dieses Jahres so weit sein. Weil uns die Stahl-Zölle Probleme bereitet haben, wollen wir nun im ersten Halbjahr 2026 fertig werden.

Quelle: privat
SPRIND entwickelt digitale Wallet für den Bund
Welche Projekte treiben Sie außerdem voran?
Wir entwickeln für den Bund die EUDI-Wallet – eine digitale Brieftasche für alle Dokumente. Ob Führerschein, Zeugnisse oder Zertifikate – künftig speichern Sie alles digital und zeigen es unkompliziert vor. Schluss mit dem Mitschleppen von Papieren. Wir leiten das Projekt und kooperieren mit der Bundesdruckerei, Behörden, aber auch mit Firmen wie der Telekom.
Eine Sprunginnovation muss das Leben der Menschen zum Besseren verändern. – Rafael Laguna, Geschäftsführer und Gründungsdirektor SPRIND
Wann können die Menschen das Wallet nutzen?
Ende 2026 sollen die ersten Funktionen verfügbar sein. Dann können die Bürgerinnen und Bürger beispielsweise auf Ausweis und Führerschein zugreifen. Mit der Zeit kommen immer mehr Funktionen hinzu.
In der Vergangenheit sind viele Digitalisierungsprojekte zunächst gefloppt, ein Beispiel ist die elektronische Patientenakte. Wie verhindern Sie, dass das Wallet ein Rohrkrepierer wird?
Im Unterschied zu gescheiterten Digitalisierungsprojekten bauen wir das Know-how bei uns auf, anstatt Externe zu beauftragen. Wir konnten die besten Leute engagieren, die wissen, wie Identity-Software gemacht wird. Und wir haben eine Challenge veranstaltet, um von unterschiedlichsten Akteuren die besten Lösungsideen für eine Wallet einzusammeln.
Wie viele Projekte hat SPRIND bisher gefördert?
Wir haben elf Challenges durchgeführt, 2.500 Projekte evaluiert und circa 200 finanziert. Rund 130 dieser Teams betreuen wir derzeit aktiv. Unser Etat beträgt rund 250 Millionen Euro in diesem Jahr. Die Bandbreite der Themen, die wir finanzieren, ist groß: Wir haben auch eine Challenge zu Langzeitenergiespeichern gemacht. Bei der Kernfusion begleiten wir vier Projekte. Und im medizinischen Bereich läuft sehr viel, für ein Medikament gegen Alzheimer finanzieren wir die sogenannte klinische Phase-II-Studie, bei der die Verträglichkeit und Wirksamkeit an den Patienten getestet wird.
Osten bei SPRIND „sehr gut vertreten“
Welche Rolle spielt Ostdeutschland bei Ihren Projekten?
Ostdeutschland ist sehr gut vertreten. In Espenhain bei Leipzig entwickeln Tüftler aus Weimar beispielsweise CO₂-freien Zement. Sachsen steht bei uns auf Platz fünf der geförderten Bundesländer – für die Größe des Landes ist das besser, als viele erwarten würden.
Wo sehen Sie die Stärken Mitteldeutschlands?
Der Mikroelektronik-Cluster rund um Dresden ist führend – da braucht sich Sachsen vor niemandem zu verstecken. Dazu kommt die Chemie – wir haben die großen Standorte in Bitterfeld-Leuna, starke Wissenschaft und Life Sciences in Leipzig. Das Gerede, dass aus Ostdeutschland nichts kommt, ist einfach falsch. Wir widerlegen das mit unserer täglichen Arbeit.
Deutschland hat eine neue Bundesregierung. Was erwarten Sie von der Politik?
Wir haben bei SPRIND gezeigt, dass der Staat anders arbeiten kann – kundenorientiert, mit schnellen Prozessen und wenig Verwaltungsbürden. Das sollten wir überall anwenden: beim Brückenbau, bei der Schulsanierung, beim Kitabau. Viele Bürgerinnen und Bürger sind frustriert mit der Leistung des Staates – wir sehen das in den Wahlergebnissen. Wenn der Staat wieder mehr leistet, wird sich das ändern. Wir haben vorgeschlagen, dass die SPRIND weiter aufwachsen soll. Und wir setzen uns für eine militärische Version der SPRIND ein. Wir sind froh, dass das Thema im Koalitionsvertrag steht.
Wie stellen Sie sich eine militärische SPRIND vor?
Wir haben mit SPRIND ein effizientes staatliches Instrument entwickelt, um Technologien schnell zur Marktreife zu bringen – das funktioniert nicht nur bei zivilen, sondern auch bei militärischen Anwendungen. Viele Erfindungen sind sogenannte Dual-Use-Technologien, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. Unser Vorschlag ist daher: Lasst uns mehr Dual-Use-Projekte und rein militärische Entwicklungen angehen, dann bekommen wir die Innovationen schneller zu den Streitkräften und in die NATO.