Herr Weber, wie viele Bewerber gab es für das 18. Förderprogramm, sind Sie mit der Resonanz zufrieden?
Wir konnten abermals einen Rekord aufstellen und nochmals 15 Prozent mehr Bewerber für unser SpinLab in Leipzig gewinnen. Parallel wurde das neue Programm ExciteLab in Dresden mit vielen Bewerbern gestartet und auch im RootCamp im Hannover haben wir eine hohe Bewerberzahl. Insgesamt schauen wir uns über 1.500 Startup-Bewerbungen pro Jahr an.
Das SpinLab setzt auf das Venture Clienting-Modell, mit dem Startups und etablierte Firmen zusammengebracht werden. Was sind die Vorteile für sächsische Unternehmen?
Durch Venture Clienting können etablierte Unternehmen neueste Technologien und Services frühzeitig kennenlernen und verproben. Dadurch, dass die Startups noch in einer frühen Phase sind, können sie individuelles Feedback der Kunden viel agiler berücksichtigen und sind eher bereit, etwas anzupassen. Ein guter, strukturierter Venture Clienting-Prozess reduziert dabei Risiken. Im Vergleich zu Eigenentwicklungen können Unternehmen auf diese Art parallel mehr Innovationsprojekte stemmen, da die Entwicklungsleistungen eben von einem Dritten kommen. SpinLab arbeitet branchen- und standortübergreifend mit 37 Partnerinstitutionen. Knapp die Hälfte davon sitzt in Sachsen, aber fast alle haben Niederlassungen vor Ort.
Können Sie an einem Beispiel veranschaulichen, wie beide Seiten längerfristig profitieren können?
Das Startup Docyet kam 2018 aus Lüneburg zu uns ins Programm. Wir haben das Geschäftsmodell dabei diskutiert und überarbeitet und dabei das Feedback unserer Partnerunternehmen einbezogen. Docyet hat danach eine Software zur Steuerung von Patienten durch das komplexe Gesundheitsversorgungssystem entwickelt. Für die AOK Plus wurde ein System entwickelt, welches in die AOK Navida App integriert ist und allen Versicherten unter anderem einen Symptomchecker bietet. Damit war und ist die AOK Plus im Vergleich zu anderen gesetzlichen Krankenkassen führend im Bereich der digitalen Kommunikation. Docyet konnte weitere Krankenkassen und Kliniken als Kunden gewinnen und ist mit über 30 Mitarbeitern erfolgreich. Einer unserer Partner, der Technologiegründerfonds Sachsen, investierte 2020 sogar in das Startup. Aber auch die AOK Plus arbeitete mit weiteren Startups von uns zusammen, unter anderem eCovery, keleya oder Aumio.
Die Venture-Capital-Deals sind 2024 um 40 Prozent zurückgegangen – in Sachsen oder deutschlandweit, was sind die Gründe?
Aufgrund der vielen Krisen und Unsicherheiten halten viele Investoren derzeit ihr Geld zurück und engagieren sich stärker in ihrem Bestands-Portfolio. Dadurch sinkt die Zahl neuer Finanzierungen, wohingegen besser etablierte Wachstumsunternehmen weiterhin durchaus gute Kapitalzugänge haben. In Sachsen zeigt sich das etwa bei den großen Finanzierungen von Sunfire oder deutschlandweit bei Enpal und 1KOMMA5°. Durch die begrenzten Zuflüsse in die Venture-Capital-Fonds ist dadurch das Geld sehr knapp. Der langfristige Trend einer sinkenden Zahl an Deals ist schon seit mehreren Jahren sichtbar, wurde jedoch von einem steigenden Gesamt-Volumen aufgrund sehr großer Einzelfinanzierungen in den Jahren 2021 und 2022 überdeckt.
Wie bewerten Sie die Entwicklung in 2024 für die Start-up-Landschaft in Sachsen?
Erste Zahlen des Startupdetectors zeigen, dass die Zahl der Startup-Gründungen in Sachsen 2024 entgegen dem Deutschlandtrend leicht rückläufig war. Vorangegangen war 2023 aber auch ein starkes Wachstum von über 30 Prozent zum Vorjahr. Für mich sind das vor allem statistische Schwankungen. Man darf nicht von Jahr auf Jahr schauen. Die Zahl schwankte in den letzten Jahren zwischen 70 und rund 100 Startups in Sachsen pro Jahr. Zum Vergleich: vor fünf Jahren waren es noch 50-70. Auch im Bereich Venture Capital ging die Anzahl an Deals und das Dealvolumen in Sachsen etwas zurück. Noch liegen keine finalen Zahlen vor, aber ich gehe für 2024 vom gleichen Niveau wie 2023 aus. Doch der positive Langzeittrend ist in Takt.
Der Start-up-Verband hat diese Woche Bilanz für 2024 gezogen. Danach sind im letzten Jahr so viele Technologiefirmen wie seit langem nicht in Deutschland entstanden. Im Bundesländerranking liegt Sachsen hinter Brandenburg. In der Top 10 der Gründerstädte tauchen Dresden und Leipzig nicht auf, Potsdam ist die einzige ostdeutsche Stadt. Woran fehlt es?
Potsdam profitiert sicher von der Nähe zu Berlin und mit Berlin ist auch eine Stadt im Osten Deutschlands führend in derartigen Statistiken. Dresden und Leipzig haben sich für Gründer in den letztes Jahren sehr positiv entwickelt, aber auch noch großes Potential. Die Forschungsbasis ist sehr gut und die Landespolitik durchaus engagiert. Es gibt aber noch keine so etablierte Gründungskultur und privates Kapital ist – auch historisch bedingt – besonders knapp. Es gibt wenige Konzernsitze als potentielle Partner oder auch für Ausgründungen aus F&E-Abteilungen. Hier müssen Land, Kommunen und Privatwirtschaft im Schulterschluss mit den Gründern noch besser werden. Um die Lücke auf München oder Berlin zu schließen, müsste man überproportional viel für Startups tun und die anderen Standorte entwickeln sich derweil ebenfalls weiter. Hinzu kommt, dass kleinere Städte mit starken Hochschulen wie Heidelberg, Aachen oder Darmstadt in so einer Statistik typischerweise stark abschneiden.
Was sind ihre Forderungen an die neue Landesregierung in puncto Startup-Unterstützung?
Mit dem Koalitionsvertrag will man „mutig neue Wege gehen“. Eine passendere Überschrift für Startups könnte ich mir kaum wünschen. Der Koalitionsvertrag bekennt sich zwar klar zu Unternehmertum und spricht von einer Gründerwelle, die man initiieren will, aber andererseits kommt das Wort „Start-up“ darin nur dreimal vor. Ganz klare neue Maßnahmen und Instrumente für Startups sind zwar Mangelware, aber auch andere Instrumente wie die Zukunftsstiftung und einige der Maßnahmen an Hochschulen können einen positiven Beitrag liefern. Mit Michael Kretschmer als Ministerpräsidenten und Dirk Panter als Wirtschaftsminister sowie Sebastian Gemkow als Wissenschaftsminister haben wir in den höchsten Funktionen Menschen, die durchaus ein Herz für Startups haben. Eines ist klar: will man im Bundesländervergleich nach oben aufschließen, muss man noch mehr machen als zuvor. Das gilt aber ebenso für große Unternehmen in Sachsen, die mit dem Venture Clienting-Ansatz von Startup-Innovationen selbst profitieren können und gleichzeitig das Startup-Ökosystem in Sachsen stärken. Von letzterem profitieren große Unternehmen langfristig doppelt. Denn Startups bilden genau die agilen Menschen aus, die sie suchen.
SZ