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Dieser Dresdner ist das Gedächtnis der Mitropa

Manfred Wille erforscht Dresdner Gastro-Geschichte und hat als Mitropa-Manager einen Teil davon mitgeschrieben.

Lesedauer: 3 Minuten

Noch immer sind sie zu haben: die dickwandigen weißen Mitropa-Tassen und Kännchen. Auf Trödelmärkten und im Internet werden Fans fündig, und selbstverständlich gehören sie auch zu Manfred Willes Sammlung – allerdings in Deluxe-Ausführung. 

Leiter Vertrieb der Mitropa-Bahngaststätten, Niederlassung Dresden, Service im Zug – so hieß seine Stelle. Als er sie Mitte Juni 1992 antrat, hatte er fast 40 Jahre Erfahrung im Gastgewerbe zu bieten. Als Sohn eines Gastwirtsehepaares ist er förmlich in der Küche der Nordhäuser Ausflugsgaststätte seiner Eltern groß geworden. „Ich sollte den Betrieb später einmal übernehmen und habe eine Ausbildung zum Koch begonnen“, erzählt der 80-Jährige.

Vier Tage Arbeit am Stück hatten die Lehrlinge damals und waren jeweils zwölf Stunden im Dienst. Dann gab es drei Tage frei. Frei von Lehrbetrieb und Schule, nicht aber vom elterlichen Lokal. „Dort habe ich die anderen Tage gearbeitet – bis ich die Nase davon voll hatte.“ Doch Wille wurde nicht etwa Maschinenschlosser oder Opernsänger, um Schluss mit der Familientradition zu machen. Dafür liebte er es zu sehr, für möglichst perfekte Gastlichkeit zu sorgen. Eine Begeisterung, die er bis heute versprüht.

Mehrere Bücher hat Manfred Wille inzwischen geschrieben. Sie drehen sich rund um die Geschichte und die Geschichten aus dem Dresdner Gastgewerbe von den Anfängen bis zur Gegenwart. Die Bücher sind die Essenz aus rund 40.000 Fotomotiven, die Manfred Wille digital gesammelt hat: Szenen aus Kaffeehäusern, wie man sie heute vergeblich sucht, aus Großküchen, Speisegaststätten, Tanzsälen und Hotelbars. Speisekarten, Informationsblätter, Veranstaltungshinweise, Werbetafeln sicherte er und nimmt sie als ebenso spannende wie unterhaltsame Illustration.

Woher hat welches Restaurant oder Café seinen Namen, wie war es eingerichtet, wer leitete es? Was wurde wo und in welchen Mengen verzehrt, wie wurde serviert, womit gekocht, auf welche Weise bezahlt. Anekdoten über gestohlene Silberkännchen im Luisenhof, mäßig schwindelfreie Kellner auf dem Dresdner Fernsehturm und eine als Hochzeit getarnte Brigadefeier in der Churfürstlichen Waldschänke tafelt Manfred Wille auf. So bringt er seinen Lesern das Leben an Töpfen und Tischen unterhaltsam nahe. Zugleich bewahrt er historische Kleinodien auf. Wie zum Beispiel die metallüberzogenen, goldfarbenen Kinderschuhe, die Manfred Wille hütet. Sie gehören zum Nachlass der Dresdner Gastronomenfamilie Hoppe, die das Restaurant im Neustädter Bahnhof betrieb. Mit der Gravur „Rudi‘s erste Schühchen“ erinnerten die Seniorchefs an ihren Junior.

Willes Junior übernahm das elterliche Ausflugslokal nicht wie geplant. „Ich schloss eine weitere Lehre als Kellner ab und studierte dann in Leipzig Gastro- und Hotelwesen“, erzählt er. Weitere Studien folgten, damit war Manfred Wille bereit für die große weite Welt der DDR und leitende Tätigkeiten. Fast 30 Jahre lang arbeitete er für die Bezirksdirektion der Handelsorganisation Dresden und war unter anderem für die 150-köpfige gastronomische Einsatzreserve zuständig. Sie sicherte Großveranstaltungen im Palast der Republik Berlin ab. „So kam es, dass ich dort am 40. Jahrestag der DDR zu tun hatte, als sich draußen die Demonstranten versammelten“, erinnert er sich. Im Parlamentspalast wollte unter Erich Honecker, Fiedel Castro, Michael Gorbatschow und ihren Treuen nicht recht Stimmung aufkommen.

Es folgte ein gesellschaftlicher Umbruch, der auch das Gastgewerbe aus alten Zuständigkeiten riss und in neue überführen sollte. Manfred Wille blieb dabei, leitete ein ganzes Konglomerat aus Hotels und Gaststätten, hoffte auf Treuhandlösungen und wurde schließlich arbeitslos. Zuvor hatte er den Fremdenverkehrsverein Dresden mitgegründet und führte ihn durch eine spannende Zeit des Neuanfangs. Den gab es für ihn auch bald beruflich. Förmlich vorm Gartentor hörte Wille von einem Bekannten, dass die Mitropa einen leitenden Posten zu vergeben habe. Und schon bald stellte Manfred Wille als Vertriebsleiter den „Service im Zug“ sicher – insgesamt zwölf Jahre lang bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2004. Zu diesem Zeitpunkt war die gute alte Mitropa schon Teil der Deutschen Bahn AG geworden.

Manfred Wille blieb ein großer Fan der Gastronomie. Im Dresdner Schulmuseum hilft er, die Ausbildung im Restaurant- und Hotelfach zu verewigen. Und er hält Vorträge zur Gastlichkeit der alten Schule.

 

Von Nadja Laske

Foto: © Sven Ellger

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