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Dow-Pläne verunsichern Mitteldeutschland – was genau steht auf dem Spiel?

Der US-Chemiekonzern erwägt eine massive Kürzung seiner Produktion in Böhlen und Schkopau. Produkte, Jobs, Lösungsvorschläge – die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Sparplänen.

Lesedauer: 3 Minuten

Andreas Dunte

Leipzig. Endgültig entscheiden will der US-Chemieriese Dow Chemical erst im Sommer. Aber allein die Ankündigung, über Produktionsschließungen in Mitteldeutschland nachzudenken, sorgt für Aufregung. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Plänen.

Wie ernst ist es Dow Chemical mit den Schließungsplänen?

Der Konzern teilt zwar mit, dass er verschiedene Optionen prüft. Aber wahrscheinlich sind laut Aussagen des Managements eine vorübergehende Schließung der Anlagen im sächsischen Böhlen und in Schkopau nahe dem sachsen-anhaltischen Merseburg beziehungsweise sogar die Stilllegung für immer. Die Gründe sind Überkapazitäten und hohe Energiepreise in Deutschland.

Welche Anlagen sind betroffen?

Dow will den Cracker im sächsischen Böhlen abschalten. Er ist das Herzstück des Dow Olefinverbundes. Vor dem Aus stehen auch die Chloralkali- und Vinylanlagen in Schkopau.

Was stellt Dow in Mitteldeutschland her?

Dow Chemical zählt zu den weltweit größten Produzenten von Kunststoffen, synthetischem Kautschuk sowie den Grundchemikalien Chlor und Natronlauge, Propylenoxid, Ethylenoxid und Methylcellulose und von einigen Acrylaten. In Böhlen wird Rohbenzin durch thermisches Cracken in die chemischen Grundstoffe Ethylen und Propylen umgewandelt und in ein komplexes Rohrleitungsnetz eingespeist, das mehrere Standorte im mitteldeutschen Chemiedreieck miteinander verbindet. Dow produziert an mehreren Standorten in der Region unter anderem Klebstoff für die Autoindustrie, Kunststoffe für PET-Getränkeflaschen sowie Pulver für Fliesenkleber und Mörtel.

Wo ist Dow in Mitteldeutschland vertreten?

Neben dem Werk in Böhlen (Landkreis Leipzig) betreibt der US-Konzern in Sachsen-Anhalt Werke beziehungsweise Anlagen in Schkopau, Leuna, Teutschenthal und Bitterfeld (alle Sachsen-Anhalt).

Will Dow nur in Mitteldeutschland Anlagen abschalten?

Nein, auch eine Anlage in Großbritannien steht auf der Kippe. Der US-Chemieriese erwartet offenbar keine Verbesserung der Wirtschaftslage in Europa und verschärft daher das Sparprogramm.

Hat nur Dow Chemical Probleme?

Die Branche steckt tief in der Krise. Insbesondere den Herstellern von Basischemikalien fällt es schwer, in Deutschland profitabel zu produzieren. Anlagen wurden auch an den Chemiestandorten in Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz), Leverkusen (NRW) oder Schwarzheide in Brandenburg abgeschaltet.

Gibt es spezielle Probleme mit den ins Visier genommenen Anlagen?

Ja, sagt Ute Spring, die neue Vorstandschefin von Dow Deutschland. Es gebe spezielle Nachfrageprobleme. „In den letzten Jahren haben Unternehmen und unsere direkten Kunden an den Standorten Anlagen geschlossen. Deindustrialisierung findet also ganz real statt“, sagt sie. So sei in Schkopau beispielsweise mit der Schließung der PVC-Anlagen ein Hauptkunde der Chloranlagen weggefallen.

Und was ist mit dem Cracker?

Generell hätten es Binnenanlagen schwer. Andere Standorte von Dow hätten eine direkte Hafenanbindung, Böhlen sei nur über eine Pipeline mit dem Rostocker Hafen verbunden. Daraus würden sich Wettbewerbsnachteile ergeben in Bezug auf notwendige Investitionen in die Dekarbonisierung der Anlagen.

Was bedeuten die Sparpläne für die Werke?

Dow rechnet damit, dass rund 500 der 1500 Arbeitsplätze in Böhlen und Schkopau wegfallen können. „Uns hat die Entscheidung, auch wenn sie noch nicht final ist, wie ein Schlag ins Gesicht getroffen“, sagt der Böhlener Betriebsratschef Andreas Zielke. Bei den Kollegen in Schkopau sei das nicht anders gewesen. „Für uns in Böhlen nehmen die Sparpläne fast schon existenzielle Ausmaße an, denn ohne den Cracker steht der gesamte Standort vor dem Aus“, so Zielke. Zu Angst um den Arbeitplatz gesellt sich Wut, sagt er weiter. „Wut auf die industriefeindliche Politik der letzten Jahre.“ Er hoffe auf die Unterstützung der Region, damit die Schließung verhindert werden kann.

Was sagt die Politik zu den Plänen?

Sachsen Wirtschaftsminister Dirk Panter (SPD) will gemeinsam mit seinem Ministerkollegen Sven Schulze (CDU) aus Sachsen-Anhalt erneut, wie er sagt, das Gespräch mit dem Dow-Management suchen. Die Schließungspläne müssten verhindert werden, so Panter. Ganz wichtig sei, dass die Bundesregierung, wie angekündigt, schnell niedrige Energiepreise für energieintensive Unternehmen auf den Weg bringt. „Was einmal abgeschaltet ist, kommt nicht zurück“, sagt Fabian Magerl, Hauptgeschäftsführer der IHK zu Leipzig. „Wenn ein Cracker wie in Böhlen vom Netz geht, verliert Deutschland nicht nur ein Werk – wir beschädigen eine industrielle Lebensader, mit Dominoeffekten für eine komplette Wertschöpfungskette.“ Die IHK Halle-Dessau wie auch diverse Landespolitiker in Sachsen-Anhalt sehen die Bundesregierung gefordert. Sie müsse für rasche Entlastung bei den Energiekosten sorgen.

Würde Dow ein Industriestrom, wie ihn die neue Koalition angekündigt hat, helfen?

Bei Dow heißt es dazu: „Das kommt sehr auf die Ausgestaltung an und das Kleingedruckte.“ Pauschal könne sie das nicht bewerten, sagt Ute Spring von Dow auf Nachfrage dieser Zeitung. „Aber grundsätzlich würden der Industrie natürlich wettbewerbsfähigere Energiekosten – gerade im internationalen Vergleich – in jedem Fall helfen.“ Ute Spring bestätigt, dass es zahlreiche Gespräche mit Politikern in Berlin und Brüssel gegeben habe. „Aber bahnbrechende Lösungen gibt es nicht.“

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