Von Jana Mundus
Menschen mit diesem Accessoire sind heute überall zu sehen: in der Bahn, auf der Einkaufsmeile, beim Joggen oder auf dem Fahrrad. Sie tragen voluminöse Kopfhörer, die ihnen vor allem eines garantieren sollen: den perfekten Klang beim Musikhören. Das könnte in Zukunft auch in deutlich kleinerem Format funktionieren – und dabei gleichzeitig mit weniger Gewicht, energiesparend und kostengünstig in der Herstellung. Möglich macht das eine in Dresden entwickelte Technologie.
Ein Team von Wissenschaftlern des Dresdner Fraunhofer-Instituts für Photonische Mikrosysteme IPMS und der Bosch Sensortec GmbH entwickelt weltweit einzigartige Mikrolautsprecher. Verbaut in In-Ohr-Kopfhörern sollen sie künftig nicht nur für den richtigen Musiksound sorgen.
Ein herkömmlicher Lautsprecher besteht aus einer Magnetspule und einer Membran. Die Spule erzeugt ein magnetisches Feld, das die Membran zum Schwingen bringt. Diese Schwingungen erzeugen wiederum Druckwellen in der Luft, die wir als Schall hören. Der Lautsprecher wandelt also elektrischen Strom in Schall um und ermöglicht auf diesem Weg das Hören von Musik und Klängen. Das Prinzip der Dresdner Entwicklung basiert auf einer gänzlich anderen Technologie. Grundlage hier ist ein winziger Motor.

Der nutzt Aktoren, winzig kleine elektrostatische Hebel. Wird Spannung angelegt, bewegt sich der Hebel, er krümmt sich. „Man kann sich das wie eine Art elektrostatischen Muskel vorstellen“, erklärt Bert Kaiser. Schon vor Jahren hatte sich sein Kollege Holger Conrad am Fraunhofer IPMS mit der Idee des Mikromotors beschäftigt. Nach den ersten positiven Ergebnissen baute er eine kleine Forschungsgruppe auf, auch Kaiser und Sergiu Langa sind damals schon dabei. Später melden die Wissenschaftler ein Patent an. „Die Frage war danach, wofür sich dieser neuartige Mikromotor einsetzen lässt“, erinnert sich Conrad.
Viele hundert Hebel sorgen für Töne
Viele Ideen hätten sie gesammelt. Eine reizt alle besonders: ein Lautsprecher im Miniaturformat, aufgebracht auf einen Chip. Dafür stapeln die Wissenschaftler unzählige solcher Hebel in einen Mikrochip – hochkant, mit hauchdünnen Abständen. Was einfach klingt, war lange Forschungsarbeit. „Unsere Technologie befindet sich nicht auf der Oberfläche. Wir mussten die Strukturen in die Tiefe des Chips hineinätzen“, erklärt Sergiu Langa, am Fraunhofer IPMS Experte für solche anspruchsvollen Aufgaben. „Stellen Sie sich vor, sie stehen an einer ein Meter breiten Felsspalte und sollen regeln, was in 30 Metern Tiefe passiert“, macht Holger Conrad die Schwierigkeit deutlich. Es war ein langer Lernprozess, bis die perfekte Lösung gefunden war.
Die vielen hundert Hebel auf dem Siliziumchip bilden nun quasi die Lautsprechermembran. Bewegen sich die Hebel, angeregt durch eine Spannung, pressen sie das Luftvolumen über eine Auslassöffnung aus dem Chip heraus und erzeugen somit die Töne. Viel Zeit steckten die Forscher in die Frage, wie die Hebel möglichst große Bewegungen vollführen. Wie müssen sie dafür aussehen? Mit dem jetzigen Design sind solch effektive Bewegungen möglich, dass damit auch eine große Lautstärke erreicht werden kann. Aktuell 120 Dezibel auf einer Chipfläche von drei mal drei Millimetern. Die Lärm-Schmerzgrenze für unser Ohr.

Um die Lautsprecher zu vermarkten, wurde 2019 die Arioso Systems GmbH als Spin-off des Fraunhofer IPMS und der Forschungsarbeiten an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg gegründet. Im Sommer 2022 übernahm die Bosch Sensortec GmbH die Ausgründung – mit dem Ziel, Spitzenprodukte auf Grundlage der neuartigen Lautsprecher-Technologie für den globalen Massenmarkt zu entwickeln.
Preis für Entwickler-Team
Holger Conrad arbeitete erst für Arioso, heute für Bosch. Zu seiner ehemaligen Gruppe am Fraunhofer IPMS pflegt er weiterhin gute Kontakte. Er, Kaiser und Langa erhielten im Mai für ihre gemeinsame Arbeit den Joseph-von-Fraunhofer-Preis 2023. Seit 1978 verleiht die Fraunhofer-Gesellschaft jährlich Preise für herausragende wissenschaftliche Leistungen an ihren Einrichtungen. „Wir haben den Preis aber stellvertretend für ein größeres Team angenommen“, erklärt Kaiser. Viele seien an der Entwicklung beteiligt gewesen.