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Dresdner Firma entwickelt Weltraum-Pflaster für schwere Verletzungen

Anhören Die wichtigste Anwendung von Stellar Heal erwarten die Forscher allerdings für irdische Patienten mit Wunden, die nicht heilen.

Lesedauer: 3 Minuten

Man sieht ein Labor.

Dresden. Ein Dresdner Forschungsunternehmen legt sich mit den ganz Großen der Medizintechnik an. Medizintechnik ist der Markt, in dem jetzt und künftig nahezu endlos Umsatz zu machen ist. Entsprechend umkämpft ist er auch. Die bessere Wundversorgung war und ist dabei eines der Dauerthemen. Sie ist bei aller Hightech-Innovation in der Medizin nach wie vor eines der großen Probleme. Genau dort will das Dresdner Institut für Luft- und Kältetechnik (ILK gGmbH) mit Stellar Heal auf den Markt kommen. Gemeinsam mit den Partnern der beiden Fraunhofer-Institute ISC (Würzburg) und ITEM (Regensburg) sowie der Medizinischen Hochschule Hannover war jetzt zum Jahresbeginn Projektstart von Stellar Heal für die Weltraum-Wundheilung.

Stellar Heal ist ein Forschungsprojekt aus Dresden, Hannover, Regensburg und Würzburg, das einen neuartigen Wundverschluss entwickelt.
Stellar Heal ist ein Forschungsprojekt aus Dresden, Hannover, Regensburg und Würzburg, das einen neuartigen Wundverschluss entwickelt.
Quelle: ILK Dresden

Eigentlich geht es um Krankenversorgung auf der Erde. Aber die beginnt diesmal im All, in der Schwerelosigkeit, berichtet Holger Reinsch der SZ. Er leitet für das ILK den Dresdner Projektteil. Sein Spezialgebiet ist Kryotechnik, Tiefkühltechnik, die er für lebende Zellen anpasst. Ohne die würde Stellar Heal nicht funktionieren. Hier wird der Prototyp eines neuen Wundverschlusses entwickelt. Der, so das Ziel, ist eben selbst bei größeren Wunden kein synthetischer Wundverband. Was anstelle dessen die Wunde verschließen soll, ist ein neuartiges Zell-Gel auf Biovlies-Watte. Ein Wundverschluss mit körpereigenen Zellen und letztlich bioabbaubar vom Körper selbst. Der Prototyp soll in zwei Jahren geschaffen werden, kündigt Reinsch an. Die klinische Nutzung in Krankenhäusern scheint innerhalb von zehn Jahren machbar. Was lang klingt, für neue Medizinprodukte wäre das eher schnell.

Wettbewerb gewonnen und Geld bekommen

445 Unternehmen und Forschungseinrichtungen hatten sich beworben. 199 Projekte aus 24 Ländern lagen der Jury zur Entscheidung vor. Nur sechs davon kamen weiter und bekommen nun den Zuschlag vom Inno-Space Masters Wettbewerb des Deutschen Zentrums- für Luft und Raumfahrt (DLR). Das Medizinprojekt mit dem ILK Dresden ist dort dabei. Stellar Heal kann damit innerhalb von zwei Jahren diesen neuartigen Wundverschluss entwickeln. Eine halbe Million Euro stehen zur Verfügung. Was bei weitem nicht reichen würde, gäbe es die bereits vorhandene, jahrzehntelange Erfahrung der Projektpartner nicht. Beim ILK Dresden ist dies die Kältetechnik für die Lebenswissenschaften. Beim Fraunhofer ISC sind es bereits Patente auf die bioabbaubare Vlies-Watte und beim anderen Fraunhofer-Partner ITEM die jahrelange Stammzellforschung.

Verletzungen auf langen Weltraummissionen sind ein Problem. Es geht dabei um große, schwer heilende Wunden durch Schnitte oder Verbrennungen. Ist die Heilung schon auf der Erde langwierig, so wird sie im All durch Schwerelosigkeit, körperliche Belastung und auch Strahlung zusätzlich gestört. Bei Stellar Heal soll eine bioabbaubare Faser-Watte in die Wunde kommen. Verschlossen wird diese mit einem bioaktiven Gel, aufgetragen aus einer Spritze. Es enthält spezialisierte, körpereigene Zellen. Dies sind Bindegewebszellen und spezielle Fresszellen, Makrophagen, heißt es dazu in den Projektunterlagen. Dies soll Wundverschluss, Gewebeneubildung und Infektionsschutz bringen, und zwar schneller und zuverlässiger als mit bisherigen Verfahren, und ohne weitere Wundauflagen.

Holger Reinsch leitet die Kryotechnik am Institut für Luft- und Kältetechnik Dresden.
Holger Reinsch leitet die Kryotechnik am Institut für Luft- und Kältetechnik Dresden.
Quelle: Jan Gutzeit

Die Konservierung der körpereigenen Zellen von Astronauten für eine lange Weltraumreise ist dann der Dresdner Job. Letztlich müssen die lebenden Zellen eingefroren werden, über Monate bis Jahre intakt bleiben und nach dem Auftauen ohne jede Schädigung vollends funktionieren. Wie die Abkühlung erfolgt und wie das Auftauen, das sei dabei entscheidend, berichtet Holger Reinsch. Es darf sich dabei kein Eis bilden, das letztlich die Zellmembranen zerstören würde. Wasserentzug wiederum schädigt Proteine und eine Volumenausdehnung würde Zellen platzen lassen.

Im ILK gibt es Erfahrungen, wie eine solche Zellkonservierung funktioniert und welche medizinisch zugelassenen sind. Doch solche Flüssigkeiten würden in der Schwerelosigkeit kleine Tröpfchen bilden und sich unkontrolliert in der Luft verteilen. Es muss also ein haftendes Gel gefunden werden, das alle medizinischen Voraussetzungen erfüllt, die Zellen vor Frostschäden schützt und in der Wunde haften bleibt. Dies wäre dann ein bioabbaubarer Wundverschluss.

Ins All und zurück zur Erde

„Es geht bei Stellar Heal nicht um ein Produkt, es ist eine neue Technologie, die hier entwickelt wird“, sagt Holger Reinsch. Die wird letztlich wohl weniger im All als viel mehr auf der Erde gebraucht. Schwer heilende, chronische Wunden sind auch aufgrund der älter werdenden Menschen eine Volkskrankheit, die oft durch Gefäßerkrankungen, Diabetes oder Bettlägerigkeit entsteht. Vorausgesetzt es funktioniert, was im Einzelfall für ferne Weltraumaufenthalte möglich scheint, es wäre für die standardmäßige klinische Anwendung durch die benötigten körpereigenen Zellen nicht bezahlbar. Diese Zellen aus Stammzellen zu gewinnen, ist extrem teuer. „Letztlich ist es unser großes Ziel, statt einem individuellen Zellpräparat, ein allgemein verträgliches zu schaffen.“ Dies wären dann Zellen, die zu sehr vielen Menschen passen, ohne gravierende Nebenwirkungen. Das wird Stellar Heal noch nicht erfüllen können. Aber es wäre als Prototyp die Voraussetzung, um genau das zu schaffen. In zehn Jahren etwa, so schätzt Holger Reinsch. Was medizintechnisch gesehen, ziemlich schnell wäre.

SZ

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