Von Gunnar Klehm
Jetzt nimmt Lothar Gloger „die volle Dosis“, wie er sagt. Er lächelt dabei. Es handelt sich offenbar um nichts Gefährliches. Der Dresdner hakt einen spitzen Hammer an dem gusseisernen Schachtdeckel in der Einfahrt zu seinem Grundstück ein und hebt mit etwas Anstrengung die schwere rostfarbene Scheibe aus der Verankerung. Statt in die Tiefe eines Schachtes kann man nun auf einen Lüfter schauen. Das soll das Wunderwerk sein, das Menschenleben rettet? Der Laie wundert sich.
In diesem, nicht mal einen Kubikmeter großen Hohlraum hat Gloger schon mal eine Strahlenbelastung von mehr als 10.000 Becquerel je Kubikmeter gemessen. Das liegt an dem Radongas, das nun aus dem Loch entweicht. Gloger freut sich trotz des hohen Wertes. Denn es zeigt, sein Radon-Brunnen Marke Eigenbau funktioniert. Seine Konstruktion ist quasi die Unterbodenabsaugung für sein altes Fachwerkhaus, das direkt neben dem Brunnen steht.
Lothar Gloger will sich und alle, die in seinem Haus leben, vor dem radioaktiven Edelgas Radon schützen. „Also genau genommen nicht vor Radon, das ja sogar als Heilmittel angewendet wird, sondern vor dessen Zerfallsprodukten“, erklärt der 65-Jährige. Diese können sich beim längeren Einatmen in der Lunge festsetzen und im Extremfall Lungenkrebs auslösen.
Dazu gibt es bereits zahlreiche Studien. Eine gesundheitliche Gefahr bei einer langjährigen Radonbelastung in hoher Konzentration bestehe ohne Zweifel, erklärt auch Dirk Koschel, Leiter der Pneumologie am Uniklinikum Dresden und Chefarzt am Lungenzentrum in Coswig. Der mit Abstand größte Risikofaktor für Lungenkrebs bleibe zwar das Rauchen, doch die Zerfallsprodukte von Radon stehen schon an zweiter Stelle bei Lungenkrebs. Darauf ist auch die vielzitierte „Schneeberger Krankheit“ zurückzuführen, an der Bergleute häufiger leiden und auch sterben können.
Wohneigentümer befürchten hohe Kosten
Betroffen sind keineswegs nur Bergbauregionen, wie landläufig angenommen wird. „Die meisten denken, das betrifft nur Menschen im Erzgebirge, aber das stimmt nicht“, sagt Gloger. Sein Haus steht seit Jahrhunderten an der Weißeritz in Dresden-Plauen. Ähnlich wie in Bergbaustollen sammelt sich aus dem Erdboden austretendes Radon auch in Keller- oder Erdgeschossräumen. Im Bergbau hilft eine aufwendige „Bewetterung“, also Belüftung. Vor solchen Kosten schrecken Wohneigentümer oft zurück und nehmen die Radonbelastung in Kauf, die unsichtbar und nicht zu riechen ist.
Glogers Radon-Brunnen könnte den Gesundheitsschutz revolutionieren. Der Architekt berichtet von seinem ganz persönlichen Beispiel. 2013 kaufte er das beim Hochwasser 2002 arg in Mitleidenschaft gezogene Haus und hat es ein Jahr lang saniert. Für ihn als Architekt war Radon schon immer ein Thema. Doch auch nach 30 Jahren, in denen er im Thema ist, hat er kein allgemeingültiges Patentrezept, sich vor der natürlichen Radonstrahlung, die quasi seit dem Urknall aus der Erdkruste entweicht, sicher zu schützen.
„Es kommt auf viele Faktoren an, den Boden, die Beschaffenheit des Gebäudes oder den genauen Ort des Eindringens“, sagt er. Bei ihm an der Weißeritz hat der Radon-Brunnen Beachtliches bewirkt.
Maßnahmen zum Strahlenschutz
In dem kleinen Schacht aus ein paar Brunnenringen wird mit dem Radiallüfter und einer Zwischendecke ein Unterdruck erzeugt, so dass aufsteigende Gase nicht den Weg direkt nach oben nehmen, sondern Richtung Radon-Brunnen. So entsteht eine Art unterirdischer Trichter, von dem sogar noch Glogers Nachbarn profitieren.
Hatte er vorher Durchschnittswerte von weit über 1.000 Becquerel je Kubikmeter Luft in seiner Küche im Erdgeschoss gemessen, waren es danach stabil nur noch um die 130 Becquerel je Kubikmeter. Im Strahlenschutzgesetz ist festgelegt, dass Arbeitgeber Schutzmaßnahmen für ihre Beschäftigten ab dem Referenzwert von 300 Becquerel je Kubikmeter ergreifen müssen. Das gilt aber nur in ausgewiesenen Vorsorgegebieten. Dresden gehört nicht dazu, jedoch große Teile des Erzgebirges.
Für Gloger müsste dieser Gesundheitsschutz aber überall gelten. Sehr beeindruckend ist ein Diagramm, das die Messwerte bei ihm im Haus bei ausgeschaltetem Brunnen zeigt. Sofort stiegen die Werte auf das Zehnfache an. Beim zweiten Versuch und anderer Witterung das gleiche Ergebnis. Je trockener der Boden ist, desto rissiger wird er und damit durchlässiger.
Nachfrage steigt stetig
Das Haus an der Weißeritz ist inzwischen ein Lehrobjekt. Gloger macht dort Radon-Schulungen für die Sächsische Bauakademie. So lernten sich auch er und Dr. Michael Westphal kennen, der sich als Radon-Fachperson mit der Firma RadonTracer selbstständig gemacht hat. Die Nachfrage nach ihren Dienstleistungen steigt stetig. „Zum übergroßen Teil sind es kommunale Einrichtungen, Unternehmen oder Institutionen. Private sind noch zurückhaltend“, sagt Westphal. Wohnungsunternehmen seien nicht sonderlich aktiv, was für Mieter jedoch interessant wäre.
Dass das an horrenden zu erwartenden Kosten für den Radonschutz liegt, will Westphal so nicht gelten lassen. „Es gibt durchaus günstige Lösungen“, sagt er. Der Radon-Brunnen gehört dazu. Bei Glogers Eigenbau mussten noch mehr als 60 Löcher in die Brunnenringe aus Beton gebohrt werden. Vorgefertigte Teile bietet der Bauhandel nicht an. Weil seine Einfahrt ohnehin saniert wurde, ließ er den Radon-Brunnen gleich mit einbauen.
Als eigenständiges Projekt schätzt er die Kosten insgesamt auf maximal 4.500 bis 5.000 Euro. Die Stromkosten für den Betrieb beziffert er mit 250 Euro im Jahr. „Das ist mir die Gesundheit wert“, sagt er. Doch wer bietet die passenden Systeme an?
Die schwierigsten Radon-Fälle
Zu den wenigen Firmen, die in Sachsen technische Komplettlösungen für den Radonschutz in Gebäuden anbieten, gehört die Firma bioxX systems GmbH. Seit der Schutz von Arbeitsplätzen gesetzlich vorgeschrieben ist, haben die Anfragen stark zugenommen, sagt Geschäftsführer Karsten Butze. Das wirkt für seine Firma mit Sitz in Rabenau wie ein Konjunkturprogramm. Neben Sachsen hat auch Bayern Radonvorsorgegebiete festgelegt, wo Butze ebenfalls aktiv ist. Weil er nicht mehr alle Projekte selbst umsetzen kann, erarbeitet seine Firma auch Lösungen, die von Handwerksbetrieben vor Ort eingebaut werden.
Jedes Gebäude und manchmal sogar jeder Raum müssten einzeln betrachtet werden, erklärt Butze, um die passende Lösung zu finden. Der Radon-Brunnen ist dabei mit die effektivste und auch kostengünstigste. „Allerdings passt das nur bei kiesigen Böden“, erklärt Butze. Am Weißeritzufer bei Lothar Gloger ist das der Fall. In Hanglagen ist der Brunnen dagegen ungeeignet. „Die schwierigsten Fälle sind Gebäude auf lehmigem Boden ohne Keller“, erklärt Butze. Gute Ergebnisse bei der Reduzierung der Radonbelastung erzielten Lüftungen in Kellern. Das sei auch nicht sehr teuer. Für einen Vermieter kalkuliert er gerade eine Absauganlage mit Bodenlöchern für ein Zehn-Parteien-Haus und rechnet mit Investitionen von rund 4.000 Euro. „Der Strom für die zwei Lüfter verbraucht dann so viel wie eine 100-Watt-Glühbirne. Das ist überschaubar“, sagt er.
Schweden schützen sich viel besser
Keller werden eher selten beheizt. Der Wärmeverlust durch Lüfter ist dann verschmerzbar. In einem bewohnten Erdgeschoss müsste dagegen ein Wärmetauscher eingebaut werden, um Heizenergie nicht zu vergeuden. Da ist die Investition schnell fünfstellig. Kommt noch ein Baugrundgutachten dazu sowieso. „Hilfreich wäre so ein Gutachten natürlich immer“, sagt Butze. Seit Kurzem hat Sachsen ein Förderprogramm für die Radonsanierung aufgelegt.
Bevor solche Investitionen getätigt werden sollte man aber „messen, messen, messen“, sagt Fachberater Westphal. „Manchmal ist es ein einziger Wanddurchbruch, etwa eines Abflussrohres, über den das Radon eindringt“, sagt er. Dann wäre eine Abdichtung die einfachste Lösung. „Hohe Sanierungskosten lassen sich in den allermeisten Fällen durch eine genaue Gebäudeanalyse vermeiden“, sagt Westphal.
Radon und seine Folgen
Im Jahr 2009 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein Handbuch über den Schutz vor Radon in Gebäuden veröffentlicht. Darin wird ein Zielwert von 100 Bq/m³ empfohlen. Kann dieser aufgrund der bestehenden Randbedingungen nicht erreicht werden, sollte der Referenzwert nicht höher als 300 Bq/m³ liegen.
Arbeitgeber müssen ihre Beschäftigten laut Strahlenschutzgesetz vor regelmäßiger hoher Belastung durch das radioaktive Edelgas Radon und deren Zerfallsprodukte schützen. Seit 2021 muss im Radonvorsorgegebiet jeder messen, der im Erdgeschoss oder Keller Räume zum Arbeiten oder zum sonstigen regelmäßigen Aufenthalt von Beschäftigten vorhält. Der Referenzwert liegt bei 300 Becquerel pro Kubikmeter. Bei Werten darüber müssen Maßnahmen zur Reduzierung ergriffen werden. Zudem muss die Überschreitung gemeldet werden.
Radon entsteht beim Zerfall des Elements Radium. Es ist ein natürliches Gas, das aus der Erdkruste entweicht. Gelangt es über Risse und Undichtigkeiten im Fundament oder in Wänden in Räume, erhöht sich dort die Konzentration erheblich.
Auf ein Bodengutachten hat Lothar Gloger verzichtet. Seit Jahrhunderten haben Menschen in seinem Haus gelebt – und mit dem Radon. Doch erhöht sich mit jeder Gebäudesanierung die Radonbelastung stark. Das hat mit der Energieeinsparverordnung bzw. dem Gebäudeenergiegesetz zu tun.
Zog es früher durchs undichte Fachwerk oder die einfachen Fenster und Türen, ist jetzt die Hülle des Gebäudes dicht. Die Fenster in Glogers altem Haus sehen zwar historisch aus, sind aber moderne, doppelt verglaste Fenster mit Gummidichtung. Außen ist ein Dämmputz angebracht. Auch Dachfolie verringert den Luftaustausch. Radon kann sich viel besser sammeln als früher.
„Die Schweden schützen sich viel besser“, sagt Gloger. Dort gilt für alle Neubauten ein Grenzwert von 200 Becquerel. Für bestehende Gebäude ist das der Richtwert. Hausbesitzer müssen über die Radon-Konzentration informieren. Auch in anderen skandinavischen Ländern sei man beim Radonschutz schon weiter als in Deutschland.