Dresden. Es ist ruhig geworden um Susanne Dumas. „Und das ist gut so“, sagt die Dresdnerin. An einem Donnerstag, Mitte Februar 2023, war das anders. Ein halbes Dutzend Fernsehkameras und Mikrofone waren auf sie gerichtet, als sie den Saal des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt verließ. Tränen in den Augen – vor Freude, nach vier Jahren endlich Recht bekommen zu haben für ihre Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit. Sie sei „froh über diesen Meilenstein“, sagt sie damals in der ARD-Tagesschau: „für meine Töchter und alle Frauen in Deutschland“. Und für sich selbst?
Die heute 47-Jährige wirkt aufgeräumt, als sie das Geschehen und seine Folgen dieser Tage Revue passieren lässt. Selbstbewusst posiert sie für den Fotografen vor dem Dresdner Landgericht – Arme und Hände ausgebreitet, als balanciere sie „Gesetz“ und „Rechtsspruch“, die monumentalen Kalksteinfiguren am Hauptportal des Dresdner Landgerichts. Auch ihr Klageweg war ein Balanceakt.
Rückblick: Die diplomierte Kauffrau war Außendienst-Mitarbeiterin bei der Photon Meissener Technologies GmbH, einem Hersteller u. a. von Ladestationen, Notruf- und Infosäulen für Bahn und Straße. Anfangsgrundverdienst: 3500 Euro brutto im Monat. Zufällig fand sie 2018 heraus, dass ihr nur zwei Monate früher eingestellter Kollege gegenüber mit vergleichbarer Qualifikation für die gleiche Arbeit 1000 Euro mehr bekam als sie.
Im 3. Anlauf doch noch erfolgreich
Dumas fragte nach. Der Arbeitgeber wiegelte zunächst ab, berief sich später auf Vertragsfreiheit und argumentierte, der Mann habe eben besser verhandelt. Kein Einlenken, selbst als sich die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eingeschaltet hatte.
Sie müsse sich damit abfinden, hieß es hier und da. Doch das tat die dreifache Mutter nicht und klagte – ohne Rechtsschutzversicherung und anfangs ohne Anwalt. „Ich war ziemlich naiv“, erinnert sich Dumas. Sie verlor in zwei Instanzen. Da waren schon Kosten von 5000 Euro aufgelaufen, und sie wollte aufgeben. Das Risiko auch im 3. Anlauf zu scheitern, war ihr zu groß, zumal sie dann auch die Kosten der Gegenseite hätte übernehmen müssen.
Doch die Gesellschaft für Freiheitsrechte ermutigte und unterstützte sie. Zudem hatte die Unerschrockene mit Susette Jörk eine engagierte und siegessichere Anwältin.
Gesetz gilt in Sachsen für 0,4 Prozent der Betriebe
Frauen verdienen selbst bei gleicher Arbeit im Schnitt sechs Prozent weniger als Männer, über alle Berufe sind es laut DGB sogar 16 Prozent. Der Anspruch „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ basiert auf EU-Recht.
In Deutschland garantiert das 2017 in Kraft getretene Entgelttransparenzgesetz ein Auskunftsrecht – aber erst in Betrieben ab 200 Beschäftigten. Das sind laut Wirtschaftsauskunftei Creditreform in Sachsens kleinteiliger Wirtschaft keine 1.000 von fast 200.000 aktiven Unternehmen.
Zudem braucht es sechs vergleichbare Beschäftigte. Eine neue EU-Richtlinie, die Deutschland bis Mitte 2026 umgesetzt haben muss, verspricht Besserung. Sie sieht unter anderem vor, dass alle Arbeitgeber bereits im Bewerbungsprozess über Einstiegsgehalt oder Gehaltsspannen informieren müssen.
Dumas kannte das Gesetz, wusste aber um die Hürden im damals etwa 80-köpfigen Betrieb. Sie berief sich auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das auch für kleinere Betriebe gilt. Zwar konnte ihr Arbeitgeber eine Benachteiligung wegen des Geschlechts widerlegen, scheiterte aber mit dem Verweis auf das Verhandlungsgeschick. Er musste 17.000 Euro Gehalt nachzahlen, dazu eine Entschädigung von 2000 Euro.
Was bleibt nach vier Jahren Kampf, begleitet von Corona, Scheidung, gesundheitlichen Problemen? „Die Frauen in Deutschland haben das Urteil gefeiert“, sagt Susanne Dumas. Sogar aus Italien und Österreich habe sie Glückwünsche und Blumen erhalten. Ihrem Ex-Chef habe der Prozess nicht geschadet, in dessen Firma seien nur noch Männer im Außendienst tätig. Das wegweisende Urteil bescherte Anwältin Jörk „Die Goldene Robe 2023“, einen Preis des Leipziger Anwaltsvereins.
„Man kommt aus Google nicht mehr raus“
Und was hat es ihr selbst gebracht – außer Medienrummel und 19.000 Euro, abzüglich eigener Gerichtskosten? „In den USA hätte ich vermutlich Millionen erstritten“, erinnert sich Dumas an Worte der Richterin. Mittlerweile hat die Betriebswirtschafterin mit 25 Jahren Industrieerfahrung schon den zweiten Folgejob. Die Sächsin, die nach vielen Jahren im Ausland auch Französisch und Englisch spricht, ist derzeit für einen international aktiven Dresdner Betrieb mit 300 Leuten tätig – noch in der Probezeit.
Susanne Dumas wollte keine Heldin sein, aber „Vorbild für meine beiden Mädels, damals Teenies“. Doch ihr Sieg sei auch eine Last bei der Jobsuche, gesteht sie. Personalchefs machten sich vorab schlau, wen sie sich ins Haus holen. „Man kommt ja aus Google nicht mehr raus”, sagt die vermeintliche Querulantin. Sie meidet Instagram und TikTok, ist nur unter Pseudonym bei Facebook unterwegs.
Am einfachsten ist es, die Kollegen am Kaffeeautomaten nach ihrem Gehalt zu fragen und sich zu vernetzen. – Susanne Dumas, erfolgreiche Klägerin „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“
Mittlerweile gibt es viele Urteile, die sich auf ihren Fall beziehen. Das mache sie stolz, sagt sie. Derzeit würden Frauen auch bei Marken-Konzernen klagen. Dazu brauche es Mut, sagt sie. Schließlich unterstelle man schon mit der Anfrage, nicht fair behandelt zu werden. Ihr Tipp: „Einfach die Kollegen am Kaffeeautomaten nach ihrem Gehalt fragen und sich vernetzen.“ Devise: Über Geld redet man sehr wohl – dann hat man es auch.
SZ