Von Luisa Zenker
Dresden. Die Sonne strahlt durch die gebogenen Fenster und beleuchtet die helle Betonwand. Sie ist nur 22 Zentimeter dick. Das ist die Hälfte von herkömmlichen Betonwänden. Der Grund: Das komplette Gebäude auf dem Universitätscampus in Dresden besteht aus Carbonbeton. Ein Baumaterial, das 50 Prozent weniger Beton benötigt und damit 70 Prozent der Treibhausgase einspart.
Manfred Curbach, Professor für Massivbau an der Technischen Universität Dresden, – er gilt gemeinsam mit Professor Peter Offermann vom Institut für Textil- und Bekleidungstechnik an der TU als Begründer des Zukunftsmaterials – hat daraus das erste Haus weltweit in Sachsen erbauen lassen: den Cube. „Ich bin stolz auf das Gebäude, aber ich bin nicht stolz, dass das 30 Jahre gedauert hat.“ Bereits in den 90ern haben Wissenschaftler an dem Material aus Textilfasern geforscht. Die strikten Baurichtlinien verzögerten aber die Umsetzung um Jahrzehnte.
Der Professor nennt deshalb das deutsche Baurecht als Grund, dass die Revolution im Bauwesen nicht kommt. Dabei muss sie starten. Schleunigst. Da ist sich der Professor sicher: Der Bausektor trägt 11 Prozent zum Brutto-Inlands-Produkt (BIP) bei, mindestens 25 Prozent der Emissionen entstehen durchs Bauen, aber nur 0,65 Prozent der Forschungsgelder werden in den Bereich gesteckt, listet er auf. „Es eilt tatsächlich, in 21 Jahren will Deutschland klimaneutral sein.“
Die erste Idee unterlag
Deshalb will der Ingenieur ein Forschungszentrum für die Baurevolution. Eigentlich hatte er sich auf die Strukturgelder in der Lausitz beworben, damals noch mit dem Namen LAB Lausitz. „Ich war sehr enttäuscht, dass man sich nicht für etwas gesellschaftlich Relevanteres entschied“, sagt er im Nachhinein. Denn seine Idee unterlag dem Forschungszentrum für Astrophysik, das die Millionenförderung bekam.
Curbach hielt an seiner Idee fest. Und hat von der Regierung recht bekommen. Im vergangenen November hat der Bundeshaushalt eine Förderung von 68,6 Millionen Euro für die nächsten fünf Jahren zugelassen. Auf sächsischer Seite haben zudem die Landkreise Bautzen und Görlitz zugesagt, den Aufbau mit bis zu 450 Millionen Euro aus den Strukturwandelgeldern zu unterstützen. Thüringen und Brandenburg steuern einen weiteren Teil bei. Doch seit November ist wenig passiert: Erst im Juni billigte der Bundeshaushalt die Gelder. Im August erhielt Curbach die ersten 3,6 Millionen Euro.
Während der Chiphersteller ESMC bereits einen Spatenstich vollzieht, wird Curbach das Lab zur Jahreswende gründen und in Phase 1 eintreten. Finanzierung, Personal, Standortsuche werden dann im Vordergrund stehen. In zehn bis 15 Jahren, rechnen die Gründer, werden für das Lab mehr als 1.000 Wissenschaftler arbeiten. Der Hauptstandort soll in Bautzen entstehen, endgültig entschieden ist das noch nicht. „Die Baubranche hat das Vorurteil, konservativ zu sein“, meint Manfred Curbach. Es gehe viel Zeit verloren, ehe moderne Materialien zugelassen sind. Das sei gut so, will man ja nicht, dass Brücken einstürzen. Es helfe aber nicht, um die Bauwirtschaft voranzutreiben.
Globale Zusammenarbeit
Curbach will dennoch nicht länger warten. Für nächstes Jahr geht die Forschungsgruppe vier Schwerpunktthemen an: Neutralität – also Emissionen sparen; Neubau – hier sollen neue Materialien und Methoden wie 3D-Druck und Extrusion ausprobiert werden; Altbausanierung und -erhalt sowie Zirkularität. Letzteres bedeutet, den Abfall wiederzuverwenden. 38 Prozent des Abfalls entstehen durch die Bauwirtschaft. Die Dresdner Ökonomin Edeltraud Günther schlägt deshalb ein „Haus aus Abfall“ vor. Das werde nun von Experten verschiedener Disziplinen konzipiert. Günther ist Direktorin des Universitätsinstituts der Vereinten Nationen in Dresden, es ist auf Ressourcenschonung weltweit spezialisiert.
Denn das Zentrum ist nicht nur ein Projekt der TU Dresden, sondern kooperiert global. UNO-Untergeneralsekretär Professor Tshilidzi Marwala aus Südafrika betont deshalb die Bedeutung der Bauforschung gerade im stark wachsenden globalen Süden: „In den Ländern des globalen Südens fand im Jahr 2022 über 80 Prozent der Zementproduktion statt.“
Und damit die Forschung nicht nur im Stübchen bleibt, will man Handwerker und Ingenieure weiterbilden, inspirieren für die neue Art des Bauens. Doch bisher steckt vieles noch in der Schublade. Der Professor hat mehr als 50 Ideen für die Zukunft des Bauens, sagt er. Carbonbeton sei nicht die einzige Lösung . „Es braucht Hunderte, tausend Ideen.“
Damit die Baubranche schnellnachhaltig wird, will er von der Pandemie lernen. Impfstoffe wurden erstmalig mittels des Rolling-Review-Verfahrens zugelassen, damit werden Genehmigungen beschleunigt. Hierbei wurden Impfstoffkandidaten bewertet, bevor alle erforderlichen Daten für einen Antrag erhoben waren. Curbach will das für Baumaterialien.
Eine Frage bleibt am Ende dennoch: wer kann sich nachhaltiges Bauen überhaupt leisten? Darauf der Professor: „Wie lange werden wir es uns noch leisten können, den Preis des CO2 nicht einzukalkulieren?“
Curbach steht nun wieder draußen vor dem Carbonbetonhaus. Ein Teil des Cubes wurde standardisiert gefertigt- gleichartige Bauteile konnten so schnell auf der Baustelle zusammengesetzt werden. Auch das senke die Kosten.
Dennoch: Der Cube hätte mit normalem Stahlbeton sicherlich 2,3 Millionen weniger gekostet. Doch Curbach fordert, den gesamten Lebenszyklus zu betrachten. Sind doch Gebäude aus Carbonbeton langlebiger, rostbeständiger. Die teure Sanierung könnte somit gesenkt werden. So sein Ansatz fürs günstige Bauen.