Um ein Haar wäre Daniel Wohlgemuth der Musikschule Dreiländereck verloren gegangen. Doch als es darauf ankam, entschied er sich richtig. „Nachdem ich am Carl-Maria-von-Weber-Gymnasium in Dresden das Abitur gemacht hatte, war für mich klar, dass ich Musik studieren würde. Das habe ich dann auch an der gleichnamigen Uni getan. Doch ich musste überlegen, ob ich Orchestermusiker oder Musikpädagoge werden wollte.“
Da kamen ihm seine Erfahrungen während der Studienzeit zu Hilfe. „Nebenher habe ich ein bisschen unterrichtet. Das gefiel mir so sehr, dass ich mich für die menschliche Komponente entschied“, erinnert sich der heute 37-Jährige. In Orchestern werde Musik „nur“ wiedergegeben, im Musikschulunterricht könne man die Fähigkeiten der Schüler wachsen sehen. „Deshalb wurde mir schnell klar, dass eine Orchesterkarriere nichts für mich ist.“
Der zweite Glücksumstand war die Musikschule Dreiländereck selbst. „In Niesky war damals eine Dreiviertelstelle ausgeschrieben. Ich hatte erst Vorbehalte, weil ich mit der Region bisher noch nie etwas zu tun hatte, obwohl ich aus Neustadt/Sa. stamme.“ Da habe sich in seinem Kopf wohl ein klischeebehaftetes Bild festgesetzt: hohe Arbeitslosigkeit, düstere Gegend – zu Unrecht, wie sich schon bald nach seinem Wechsel in die Lausitz herausstellen sollte.
Wohlgemuth zog mit „Sack und Pack“, mit der kompletten Familie hierher – zuerst lebte er sieben Jahre in Görlitz, nach dem Wechsel in seinen Arbeitsort wohnt er in Niesky. Hier hat er sich in den vergangenen Jahren einiges aufgebaut. „Ich bin damals mit der Maßgabe angenommen worden, eine Geigenklasse aufzubauen. Das erschien nicht nur mir, sondern auch meinen neuen Kollegen schwierig.“
Doch der junge Musiklehrer ließ sich nicht entmutigen, tingelte durch Kitas und Grundschulen und profitierte von einem Trend, der aus zwei Phänomenen seine Zugkraft bezog. „Es gab damals eine Kindertrickserie. Die hieß ‚Little Amadeus‘. Und die war absolut ‚in‘.“ Zudem stieg Stargeiger David Garrett gerade die ersten Stufen auf der Erfolgsleiter empor. „Das hat alles dazu beigetragen, die Geige als Instrument populärer zu machen.“
Wohlgemuth war keineswegs auf der Suche nach dem Nieskyer Garrett-Verschnitt. „Wer ein guter Geigenspieler werden will, braucht vielleicht zehn Prozent Talent. Alles andere ist konsequentes Üben.“ Sich durchzukämpfen, trage zur Charakterbildung bei, findet er. „Ich denke, dass die Beschäftigung mit der Musik für jeden Menschen ein großer Gewinn sein kann. Ein falscher Ton ist jederzeit möglich. Wichtig ist aber, dass man dabei bleibt und die Lust nicht verliert.“
Zurück blickt der Geigenlehrer auf harte, aber auch schöne Momente. „Durch das wachsende Können ‚meiner‘ Kinder habe ich mich oft reich beschenkt gefühlt. Vor allem dann, wenn es nicht nur um Übungsstunden ging, sondern die Musik auch in der Praxis, beim Ständchen für die Oma, angekommen ist.“ Darüber hinaus richtet Daniel Wohlgemuth jetzt den Blick nach vorn: „Für mich war es schon ziemlich überraschend, als Herr Stapel nach Görlitz ging.“ Als Dirigent, Komponist und Geiger sei sein bisheriger Chef ein absoluter Glücksfall für die Musikschule in Niesky gewesen.
Doch nun musste die Nachfolge geregelt werden. Ermutigt von Kollegen, habe er „wirklich lange überlegt, ob ich die Leitung des Standortes übernehmen will“, so Wohlgemuth. „Ich wollte mich erst überhaupt nicht bewerben, weil ich ein Mensch bin, der Dinge lieber mit Leben ausfüllt, als sie zu gestalten. Mit Bürokratie habe ich eigentlich nichts am Hut.“ Schließlich rang er sich doch dazu durch und ist seit Mitte März Chef in Niesky sowie stellvertretender Leiter der Musikschule Dreiländereck.
Und hat jetzt ein durchaus gutes Gefühl. Er versuche, ganz fleißig zu sein, um Verwaltungsaufgaben und Lehrtätigkeit unter einen Hut zu bekommen, so Wohlgemuth. Immerhin hat er in Niesky 30 und in Weißwasser weitere 13 Geigenschüler unter seinen Fittichen, muss sich insgesamt um rund 230 Kinder in neun Instrumentalklassen und die musikalische Früherziehung in den Kitas kümmern. Zudem steht in den nächsten Jahren ein altersbedingter Umbruch bei angestellten und auf Honorarbasis arbeitenden Musikpädagogen an.
Beim Musikschullehrerstreik, an dem Wohlgemuth zuletzt auch teilgenommen hat, sitzt er indes zwischen den Stühlen. Musikschule sei momentan ein Graubereich, findet er. Es gibt zwar einen Bildungsanspruch. Aber in allen sonstigen Belangen werden wir in den Bereich Kultur gesteckt.“ Es sei gut und wichtig, dass man sich mithilfe der Gewerkschaft jetzt in einem Diskurs befinde und müsse abwarten, was der Politik die musikalische Bildung wert sei. Selbst will Daniel Wohlgemuth in Niesky künftig noch stärkere Akzente setzen. „Wir sollten als Musikschule mehr in der Stadt zu erleben sein.“ Auch mit den Kirchgemeinden wolle er diesbezüglich sprechen. Wobei: „Ich bin keiner, der irgendwelche Luftschlösser baut. Ich bin Pragmatiker und gehe diese Aufgaben völlig unaufgeregt an.“
Von Frank-Uwe Michel
Foto: © André Schulze