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„Es braucht nur 15 Milliarden Euro, um die Solarindustrie wieder groß zu machen“

Gunter Erfurt ist Chef des in Sachsen produzierenden Solarunternehmens Meyer Burger. Für die Branche sieht er viel Potenzial. Im Interview erklärt er, was die Energiewende aber noch bremst.

Lesedauer: 5 Minuten

Gunter Erfurt, CEO von Meyer Burger steht in einem blauen Anzug und weißem Hemd neben einer Solarzelle, an die er sich locker lehnt. Im Hintergrund erstreckt sich eine grüne Landschaft, vereinzelte Windräder sind zu erkennen.
Gunter Erfurt ist CEO von Meyer Burger. Das Unternehmen stellt in Sachsen und Sachsen-Anhalt im großen Stil Solarzellen und Solarmodule her.

Freiberg. Die deutsche Solarindustrie erlebt aktuell ein Comeback. Ein Erfolgsbeispiel ist die Firma Meyer Burger, der momentan einzige Massenhersteller von Solarzellen außerhalb Asiens. Gunter Erfurt ist CEO des Unternehmens, das auch Standorte in Sachsen hat. Im Podcast „Thema in Sachsen“ spricht er über die Energiewende, den Aufbruch und wie die Politik dabei helfen könnte. Das Gespräch in Auszügen.

Herr Erfurt, seit zwei Wochen wird in Deutschland kein Atomstrom mehr produziert. Brechen für Ihre Branche jetzt sonnige Zeiten an?

Ich bin Kernphysiker, insofern finde ich die Kernenergie physikalisch sehr interessant. Fakt ist aber: Die Kernenergie hat in Deutschland nur noch eine kleine Rolle gespielt. Die Erzeugungsleistung von Biomasse beispielsweise war zum Schluss sogar doppelt so hoch. Es ist also ein kleiner Teil, der jetzt fehlt. Deutschland bleibt Netto-Energieexporteur. Diese Energie wird nicht verschenkt, sondern teuer verkauft. Demnach glaube ich, in der Debatte wird ein bisschen übertrieben. Natürlich gehe ich aber davon aus, dass die Photovoltaik und die Windenergie ein starkes Wachstum erleben werden.

Neben dem Atom-Aus gibt es auch noch einen geplanten Kohle-Ausstieg. Es ist beim Wachstum der Erneuerbaren also Eile geboten. Wie schnell könnte insbesondere die Solarindustrie wieder zu alter Stärke finden?

Sie haben völlig recht, es ist jetzt an der Zeit, diese Industrie wieder groß zu machen. Die Ausgangslage dafür ist nicht so schlecht, wie es manchmal scheint. Zwar werden Solarzellen momentan überwiegend in Asien produziert, Europa und insbesondere Deutschland ist jedoch nach wie vor Technologieführer. Auf dieser Basis kann der Wiederaufbau gelingen. Die Politik ist am Zug, die Weichen zu stellen.

Was könnte die Politik denn besser machen?

Da muss ich etwas ausholen. Wir führen in Deutschland eine Debatte, wo man manchmal den Eindruck bekommt, dass noch gar nicht entschieden sei, wo die Reise hingeht. Dabei ist klar, dass die Zukunft den erneuerbaren Energien gehört. Der Klimaschutz ist ein Argument dafür. In der realen Wirtschaft sind die Ausbaupläne aber vor allem deshalb so angesagt, weil Erneuerbare mit Abstand am günstigsten bei der Elektroenergieerzeugung sind. Die Kernenergie ist genau am anderen Ende, sie ist die teuerste Form. Gas und Kohle liegen irgendwo dazwischen. Genau diese Logik haben vor allem die Chinesen erkannt und schon im Jahr 2005 einen Plan aufgestellt, wo nichts Geringeres das Ziel war, diese Industrie de facto zu besitzen, zu kontrollieren und zu steuern. Und das tun sie jetzt.

Und was sollte das der Politik hierzulande sagen? Insbesondere auch in Sachsen, einem der nach wie vor wichtigsten Standorte in der europäischen Solarbranche …

Dass Energiepolitik immer auch Machtpolitik ist. Was ich deshalb wirklich kritisiere, ist, dass man diese Logik sowohl in der deutschen als auch in der europäischen Politik einfach nicht versteht. Wir sehen, dass andere Regionen sich voll auf dieses Thema konzentrieren, weil es die Zukunft ist. Dabei haben wir die Technik in diesem Land erfunden, wir sind eigentlich führend in der Photovoltaik. Die ersten industriellen Solarunternehmen befanden sich in Deutschland. Sie wurden vorangetrieben von Konzernen wie Siemens und Bayer. Und jetzt überlassen wir industriepolitisch diese Zukunftsbranche anderen Regionen. Das ist ein strategischer Fehler, den die Politik hier macht. Wenngleich das Land Sachsen unsere Ansiedlung sehr unterstützt. Mein Fingerzeig geht in Richtung Berlin und Brüssel.

Machen Sie es konkret. Wo hakt es?

Ein Beispiel: Es gibt für den Import von Solarmodulen aus Asien keine Handelsbarrieren. Module aus Asien kommen zollfrei in die Europäische Union und werden hier verkauft. Das ist grundsätzlich in Ordnung. Jedoch zahlen wir als europäischer Hersteller auf sämtliche Komponenten, die wir für unsere Produktion benötigen, Zölle. Komponenten, die wir nach dem Niedergang dieser Industrie hier teilweise gar nicht mehr vor Ort beziehen können. Wir werden also von der europäischen Industriepolitik dafür bestraft, dass wir als europäisches Unternehmen in Europa produzieren. Das muss aufgeräumt werden. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, die die Unterschiede in den Weltregionen ausgleichen.

Damit meinen Sie vor allem China.

Genau. Das Problem ist ja nicht, dass man in Europa nicht kosteneffizient oder wettbewerbsfähig produzieren kann, sondern dass vor allem China seit Ewigkeiten seine Industrie so stark subventioniert, dass anderswo nichts entsteht. Und dafür braucht es geschickte Instrumente im Bereich Förderung. Operative Unterstützung kann zum Beispiel so aussehen, dass Unternehmen, die ihre Energie aus erneuerbaren Energiequellen selbst beziehen, einen günstigen Industriestromtarif erhalten. Das wird Herstellern von Solarzellen nicht allzu sehr helfen, weil bei der Produktion relativ wenig Elektroenergie verbraucht wird. Aber es gibt in unserer Wertschöpfungskette auch Zulieferer, die sehr viel Energie verbrauchen.

Zölle streichen und günstigere Stromtarife würde sicher die Produktionskosten senken. Aber reicht das aus?

Eine Industrie, die schnell wachsen muss, kann auch viel aus eigener Kraft schaffen. Meyer Burger, also unser Unternehmen, konnte am privaten Markt über 800 Millionen Euro einsammeln und größtenteils in Standorte in Ostdeutschland investieren. Jetzt geht es aber darum, Industrieansiedlungen in der gesamten Branche zu beschleunigen. Dafür braucht es staatliche Unterstützung. Und es ist ja nicht so, dass die Photovoltaik für die nächsten 100 Jahre irgendeine Art von Förderung braucht. Wir glauben, dass die gesamte europäische Solarindustrie, also nicht nur der deutsche Teil, eine Anschubfinanzierung von 10 bis 15 Milliarden Euro braucht. Das klingt sehr viel, ist im Vergleich zum Gesamtbetrag, den die EU-Staaten allein seit Beginn des Krieges in der Ukraine nach Russland überwiesen hat, ein kleiner Betrag. Das sind mittlerweile 175 Milliarden Euro. Das ist Geld, das durch die Esse geht. Und wir reden hier über eine Investition, die Arbeitsplätze schafft, für Nachhaltigkeit sorgt und eine neue Industrie aufbauen kann.

Blick auf ein Qualitätsprüfsystem für Solarzellen im Meyer-Burger-Werk in Hohenstein-Ernstthal. In Freiberg hat die schweizerische Firma einen Standort zur Produktion von Solarmodulen. Solarzellen werden im sogenannten „Solar Valley“ bei Bitterfeld-Wolfen

Spätestens bei dem Argument, dass die Beschaffung von Gas wie Geldverbrennen ist, würden Kritiker der Solarindustrie jetzt dagegenhalten und sagen, Deutschland sei aufgrund seiner Lage keine geeignete Region, um diese Energieform zu einer tragenden zu machen. Ein Argument, das man auch in Sachsen nicht selten hört.

Das ist aber physikalischer Unsinn. Mal hypothetisch angenommen, man würde den gesamten Primärenergieverbrauch des Jahres 2021, also Elektroenergie und alles Weitere, rein über Solaranlagen decken, bräuchte man dafür etwa 5 Prozent der Landesfläche Deutschlands, um diese Energie einzusammeln. Das entspräche einer Fläche doppelt so groß wie Berlin. Das ist doch verhältnismäßig klein? Und noch ein Vergleich: Allein Fassaden und Dächer in Deutschland haben Potenzial für die Energieleistung von einem Terabyte. Die Bundesregierung hat sich bis 2030 im Gebäudesektor 215 Gigawatt vorgenommen. Das ist etwa ein Fünftel dessen. Man sieht anhand dieser Zahlen: Es wäre so viel mehr möglich. Schon jetzt.

Um Kritiker zu überzeugen, können wirtschaftliche Argumente hilfreich sein. Weil wir vorhin über die Dominanz Chinas sprachen. Hätte Sachsen bzw. der Osten Deutschlands denn das Potenzial, wieder international Vorreiter bei der Fertigung von Solaranlagen zu werden?

Absolut. Und ich glaube, es geht gar nicht unbedingt nur darum, dass man mit China in Konkurrenz tritt, sondern dass man eben hochqualitative Produkte hier herstellt, wo sie auch gebraucht werden. Dass man Wertschöpfung organisiert, Arbeitsplätze schafft und damit der Gesellschaft hilft, sich weiterzuentwickeln. Sachsen ist, auch wenn das vielleicht weniger bekannt ist in der Öffentlichkeit, heute schon die Region in ganz Europa, deren Solarindustrie am weitesten entwickelt ist.

Wirklich?

Es gibt allein in Sachsen fünf Hersteller von Solarprodukten, davon drei in Dresden. Unsere Firma ist in Freiberg und es gibt noch einen Hersteller in Torgau. Darüber hinaus hat Sachsen eine sehr starke Maschinenbauindustrie. Und nicht zu vergessen, in Nünchritz nordöstlich von Riesa ist ein großes Werk von Wacker Chemie. Dort wird Silizium für die Photovoltaikindustrie hergestellt. Wirklich ein sehr großes Werk. Wir haben also schon viele Anteile der Wertschöpfung hier vor Ort. Das gilt es auszubauen.

Das klingt ziemlich optimistisch. Vielleicht zum Schluss diese Frage: Was denken Sie, wo wir beim Thema Energiewende in zehn Jahren stehen?

Wir werden in zehn Jahren zurückblicken, uns alle anschauen und sagen: “Das war ja einfach.” Denn das Problem der Energieerzeugung wird bis dahin gelöst sein. Der Mix wird dann von Wind, Solar und grünem Erdgas dominiert. Fossile wird es zwar noch geben, aber zu einem deutlich geringeren Anteil. Zudem gibt es mittlerweile Lösungen für große Speichersysteme, die kurz vor der Industrialisierung stehen – sogenannte Redox-Flow-Batterien. Völlig verkannt wird gegenwärtig auch die Speicherfähigkeit in Wärme. Ich glaube, wir werden beim Zurückblicken wirklich denken, dass wir es längst hätten geschafft haben können, wenn wir schon Anfang der 2000er Jahre umgestellt und wie Länder in Asien Vollgas gegeben hätten.

Das Gespräch führte Fabian Deicke

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