Von Gunnar Klehm
Rechtzeitig vor Beginn der Frühschicht standen Dutzende Beschäftigte des Recyclingunternehmens SRW metalfloat vor dem Westtor des Unternehmens im sächsischen Espenhain. Bis vergangener Woche befanden sie sich im Streik. Der wurde jetzt jedoch unterbrochen, wie die Industriegewerkschaft (IG) Metall erklärte. Damit wolle man auf den Arbeitgeber zugehen.
Die Beschäftigten wurden aber nicht an ihre Arbeitsplätze gelassen. Mitarbeiter eines vom Unternehmen beauftragten Sicherheitsdienstes ließen niemanden von denjenigen durch, die bis Freitag gestreikt hatten. Die Schlüsseltransponder waren allesamt gesperrt.
Das Unternehmen teilte mit, dass es von seinem Recht auf Aussperrung Gebrauch mache. Was die IG Metall als Friedensgeste bezeichnete nannte das Unternehmen einen Taschenspielertrick. „Es ist das durchsichtige Manöver, den bisher komplett erfolglosen Arbeitskampf direkt ins Unternehmen zu tragen. Wir fordern die IG Metall erneut auf, den Arbeitskampf endlich zu beenden und einzusehen, dass jeder weitere Tag die Spaltung der Belegschaft bei SRW unnötig verschärft“, erklärte Daniel Fischer, Finanzchef Deutschland der Scholz-Recycling-Gruppe, zu der SRW gehört.
Firma begründet Aussperrung
Begründet wurde die Aussperrung auch damit, dass „eine kurzfristige Wiedereingliederung der am Arbeitskampf teilnehmenden Personen in die inzwischen etablierten neuen Strukturen objektiv nicht möglich ist.“ Weil wegen des Ausstands nicht mehr so viele Beschäftigte zur Verfügung stehen, wurde etwa von einem Dreischicht- auf einen Zweischichtbetrieb umgestellt. Zudem bestehe die Befürchtung, dass der unbefristete Streik jederzeit und ohne Vorankündigung wieder aufgenommen werden könnte.
Aus Sicht der Gewerkschaft sei diese Begründung „hanebüchen“, wie es in einer Mitteilung heißt. „Gemeinsam mit dem Betriebsrat waren wir am 3. Mai persönlich beim Geschäftsführer der SRW, Thomas Müller. Wir haben angeboten, gemeinsam das Schichtsystem zu überarbeiten, um reibungslose Arbeitsabläufe zu ermöglichen. Dies hat der Geschäftsführer abgelehnt“, erklärt Michael Hecker, Zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Leipzig. So wollten die Streikenden etwa erst mal den Resturlaub von 2023 abgelten.
Stattdessen hing am Montagmorgen ein Schreiben der Geschäftsführung am Zaun des Eingangs. Darin heißt es, dass die Streikenden vorerst bis zum 31. Mai ausgesperrt seien und für sie ein Hausverbot für das gesamte Betriebsgelände gelte.
Keine Lohnfortzahlung
Die Entscheidung, wieder an die Arbeit gehen zu wollen und den Streik zu unterbrechen, sei der Streikleitung nicht leicht gefallen – nach 180 Tagen im Ausstand. Das war der längste Streik von Arbeitnehmern, den es in Deutschland je gegeben hat.
Für die Industriegewerkschaft Metall wäre ein ergebnisloses Ende des Streiks eine bittere Niederlage, auch wenn es offiziell hieß, dass der Streik ab 6. Mai lediglich „unterbrochen“ ist. „Wir gehen mit der Entscheidung einen gewaltigen Schritt auf den Arbeitgeber zu“, sagte Michael Hecker, Verhandlungsführer und Zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Leipzig, unmittelbar nach der Entscheidung. Von einer möglichen Aussperrung war da noch keine Rede.
Laut IG Metall hat es das seit 40 Jahren nicht mehr in Deutschland gegeben. Aussperrung bedeutet, dass der Arbeitgeber auf die angebotene Arbeitsleistung der streikenden Beschäftigten verzichtet. Trotz gültigen Arbeitsvertrags muss in der Zeit auch kein Lohn gezahlt werden. Der letzte bekannte Fall einer Aussperrung stammt aus dem Jahr 2011. Während eines Lokführerstreiks hatte das Unternehmen Veolia Lokführer ausgesperrt. Ein Gericht wies das als unzulässig zurück. Allerdings nur, weil nicht alle Streikenden ausgesperrt wurden. Das könnte im Fall SRW eine andere juristische Situation sein. Ob sich Gerichte damit befassen müssen, ist noch unklar.
„Anstatt auf unsere ausgestreckte Hand zu reagieren, ist die Aussperrung ein Schlag ins Gesicht für die Beschäftigten von SRW“, erklärt Hecker und weiter: „Wir sind entsetzt, mit welcher Kälte und Verachtung unsere Kolleginnen und Kollegen von den Verantwortlichen bei Scholz Recycling und SRW behandelt werden.“
Arbeitgeber dürfen aussperren
SRW sieht es als verbrieftes Recht an, auf Streiks mit Aussperrung zu reagieren. Dafür sind allerdings enge rechtliche Rahmen gesetzt. Das Unternehmen ließ lediglich mitteilen, dass ein Ende des Streiks „überfällig“ sei. Es dürfte aber auch ums Geld gehen. Im Streikfall zahlt die IG Metall ein Streikgeld. Das variiert je nach Dauer der Mitgliedschaft in der Gewerkschaft und beträgt um die 350 Euro pro Woche.
Seit 8. November 2023 wurde bei SRW metalfloat in Espenhain bei Leipzig gestreikt. Die Hauptforderung war eine Tarifbindung des Betriebs, die es bisher nicht gibt. Die IG Metall forderte anfangs für die Beschäftigten acht Prozent mehr Entgelt, eine Erhöhung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes auf je 1.500 Euro und eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf 38 Stunden.
Später entwickelte die IG Metall einen Haustarifvertrag auf Basis der vom Unternehmen veröffentlichten Werte und Entgelten, die der Arbeitgeber an den anderen deutschen Konzernstandorten freiwillig erhöht hat.
Streikbereitschaft war ein Problem
Von der Gewerkschaft wurde die Streikbereitschaft unter den Beschäftigten aber offenbar höher eingeschätzt, als sie letztlich war. Das Unternehmen musste zwar erhebliche Einbußen durch den Arbeitsausfall hinnehmen. Mit den nicht streikenden Beschäftigten konnte jedoch weiterhin ein Betrieb in zwei Schichten aufrechterhalten werden, wenn auch unter extremen Bedingungen.
Finanziell hätte die IG Metall auch noch länger Streikgeld an die Beschäftigten zahlen können. „Die Streikkasse der IG Metall bekommt keiner leer“, hieß es hinter vorgehaltener Hand.
Wie das Unternehmen vor Kurzem mitteilen ließ, gingen jedoch wichtige Protagonisten des Streiks von der Fahne. So habe der amtierende Betriebsratsvorsitzende „um Aufhebung seines Anstellungsverhältnisses zum 30. April gebeten“. Der Nachrücker in den Betriebsrat hat ebenfalls das Unternehmen verlassen wollen. Inzwischen würde nur noch eine Minderheit der Beschäftigten streiken.
Dem widerspricht die Gewerkschaft. Knapp 100 der 180 Beschäftigten hätten sich am Streik beteiligt. Bei der Urabstimmung am Anfang hätten sogar 90 Prozent für einen Streik gestimmt. Tatsächlich waren es dann aber weniger, die in den unbefristeten Ausstand traten. In der Verwaltung arbeiteten – wie geplant – alle weiter.
Unternehmen spricht mit Betriebsrat
Das Unternehmen SRW Metalfloat gehört zur Scholz Recycling Gruppe mit Sitz in Essingen in Baden-Württemberg. Daniel Fischer, Finanzchef Deutschland von Scholz Recycling, erklärte nach den „persönlichen Entscheidungen“ der Betriebsräte: „Diese sollten den Gewerkschaftsfunktionären zu denken geben. Unser Angebot gilt: Wenn der Betriebsrat der SRW metalfloat wieder verhandeln möchte, stehen wir bereit.“
Ende 2016 übernahm mit der Chiho Environmental Group Limited ein börsennotiertes Schrottrecyclingunternehmen aus China die Scholz Holding GmbH und damit auch SRW metalfloat. Die Chiho Environmental Group residiert in Hongkong und ist auf den Cayman Islands registriert.
Politiker blitzten ab
Zahlreiche Politiker von Bund und Land hatten in dem Streik ihre Hilfe und Vermittlung angeboten. Vor zwei Wochen forderten noch 79 Abgeordnete des Bundestags in einem offenen Brief die Firma Scholz Recycling auf, einen Tarifvertrag für SRW metalfloat abzuschließen und damit einer Forderung der IG Metall nachzukommen. 78 Abgeordnete gehören den Fraktionen SPD und Bündnis90/Grüne an. Zudem hatte der Leipziger CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Lehmann (CDU) den Brief mit unterzeichnet. Das Unternehmen sprach daraufhin von einer „inakzeptablen Einmischung der Politik“.
Auch Linken-Politiker wie Gregor Gysi kamen ans Werktor zu den Streikenden und sagten ihnen Unterstützung zu. Selbst Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) besuchte die Streikenden und wollte helfen, in der Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber zu vermitteln. Doch auch er konnte keine Bewegung in die Sache bringen.
Von einer Niederlage will Gewerkschaftsfunktionär Michael Hecker nicht sprechen. Die Beschäftigten seien weiter entschlossen, um verbesserte Arbeitsbedingungen zu ringen. Es gäbe sogar Verständnis für die Kollegen, die nun in ein Unternehmen mit Tariflohn gewechselt seien.
Hecker hat seinen Optimismus nicht verloren und geht immer noch davon aus, dass unter den nun entspannteren Bedingungen „ein Gesprächsprozess darüber beginnen kann, wie die Arbeitsbedingungen der Kolleginnen und Kollegen kollektiv und rechtssicher von den Sozialpartnern vereinbart werden können – gegebenenfalls mit externer Moderation“.